Neuer Stoff für alte Affäre

Wenn Monica Lewinsky vor einem Gericht unter Eid auspackt, kann US-Präsident Bill Clinton wohl einpacken.

Von Peter Hossli

Als sei bereits Weihnachten, freute sich am späten Montagabend CNN-Talkmaster Larry King über ein verwegenes Gerücht. An einem unbekannten Ort in Midtown Manhattan hätten sich Mitarbeiter des Sonderermittlers Kenneth Starr mit Monica Lewinsky zu einer längeren Aussprache getroffen. Die 25-jährige angebliche Liebhaberin von Bill Clinton überlege sich ernsthaft, vor Gericht auszusagen. Zudem habe sie erstmals vor Zeugen zugegeben, mit Clinton eine sexuelle Beziehung gehabt zu haben. «Trifft das tatsächlich zu», sagte King zum Produzenten seiner Talkshow, würde «endlich wieder Feuer in die Sache kommen».

Das ist dringend nötig. Seit Monaten füllen amerikanische Zeitungen und Magazine ihre Seiten mit endlosen Berichten über eine Sexaffäre, deren komplexe juristische Ränkespiele niemand mehr folgen mag. Stundenlang diskutieren Anwälte, Politiker und Kommentatoren auf allen Kanälen über Sein oder Nichtsein des ausserehelichen präsidialen Geschlechtslebens. Hinschauen will schon lange keiner mehr. Die Einschaltquoten sacken täglich tiefer. Amerika hat genug von Sexaffären. Schliesslich leiste der Präsident gute Arbeit.

Jetzt aber, hoffen die angeschlagenen US-Medien, könnte die Sache für Clinton doch brenzlig werden. Dann dürfte sich das Fernsehpublikum erneut einschalten. Angeblich gab Monica Lewinsky während des New-Yorker Treffens, an dem Starr selber nicht teilnahm, offen zu, mit Clinton geschlafen zu haben. Der Präsident, betonte Lewinsky, habe sie jedoch nie gezwungen, über ihr Verhältnis öffentlich zu lügen. Das sei ihre eigene Entscheidung gewesen.

Eine dramatische Entwicklung, die den lange Zeit erfolglosen Sonderermittler Kenneth Starr wieder ins Rampenlicht rückt. Innert weniger Tage verbuchte Starr gleich zwei nennenswerte Erfolge: Ende letzter Woche schickte er eine gerichtliche Vorladung an das Anwaltsteam von Bill Clinton. Den Präsidenten, der mehrmals jegliche sexuelle Beziehung zu Lewinsky abgestritten hat, will Starr zur eidesstattlichen Aussage vor eine Grand Jury zwingen. Gleichzeitig soll Lewinsky unter Eid reden. Widersprechen sich die beiden Erklärungen, käme es wohl zum Gerichtsfall mit einem einzigen Angeklagten: Präsident Bill Clinton.

Verweigert sich Clinton der Vorladung Starrs – dieses Recht steht ihm zu -, drohten am Sonntag etliche republikanische Kongressabgeordnete mit dem Impeachment, dem Verfahren, das zur Absetzung des US-Präsidenten führen kann.

Die von Starr angestrebten Befragungen sollen endlich Licht in eine verworrene Angelegenheit bringen. Starr ist davon überzeugt, dass Clinton mit Lewinsky eine längere sexuelle Beziehung gehabt hat. Ein Verbrechen ist das zwar nicht. Weil der Präsident jedoch genau das verneinte, habe er das amerikanische Volk belogen. Zudem habe Clinton seine Sexgespielin zur Falschaussage gedrängt. Der erzwungene Meineid sei Verbrechen genug, Clinton des Amts zu entheben.

Tatsächlich hielt Lewinsky während der Untersuchungen der vermeintlichen Affäre Clintons mit der Sekretärin Paula Jones in einer eidesstattlichen Erklärung zuerst fest, nie eine sexuelle Beziehung mit Clinton gehabt zu haben – ein Widerspruch zu Tonbandaufnahmen, die genau das beweisen würden. Und ein Widerspruch zum New-Yorker Gespräch Anfang dieser Woche.

Die Wende überrascht. Die meisten Beobachter in Washington waren sich bisher einig, die Ermittlungen würden im Nichts verlaufen.

Am Donnerstag letzter Woche, dem 25. Geburtstag Lewinskys, meldeten sich Starrs Mitarbeiter plötzlich bei der ehemaligen Praktikantin. Sie luden sie zum Gespräch an einem «neutralen Ort» ein. Weil in Los Angeles und in Washington etliche Kamerateams Lewinsky ständig folgen, entschied man sich für ein Geheimtreffen in Manhattan.

Am Morgen nach der fünfstündigen Aussprache einigten sich Lewinskys und Starrs Anwälte auf ein Abkommen über Straffreiheit für Lewinsky. Dafür will sie ein sexuelles Verhältnis mit Clinton gestehen. Auf das Recht auf Immunität – falls sie jetzt nämlich die Wahrheit sagt, hat sie zuvor gelogen – hat Lewinsky seit Januar gepocht.

Ob Clinton nun tatsächlich fällt, bezweifeln Kommentatoren nach wie vor. Fest steht, dass wieder reichlich Stoff vorhanden ist, die Affäre weiter zu drehen. Zumindest CNN-Talkmaster King bereitet sich auf den präsidialen Gast vor. «Jetzt muss Clinton sein Schweigen öffentlich brechen. Natürlich bei mir.»

Die Affäre Lewinsky-Clinton

Es begann mit einem unbezahlten Praktikum

Juni 1995
Monica Lewinsky, damals 21, beginnt ein unbezahltes Praktikum im Weissen Haus.

November 1995
Lewinsky beginnt eine Beziehung mit Bill Clinton, die laut ihren späteren Bemerkungen gegenüber Linda Tripp 18 Monate gedauert haben soll.

Dezember 1995
Lewinsky wird im Weissen Haus fest angestellt.

April 1996
Lewinsky wechselt ins Pentagon und freundet sich dort mit Linda Tripp an.

August 1997
Tripp behauptet, dass eine Angestellte des Weissen Hauses, Kathleen Willey, 1993 ein Verhältnis mit Clinton hatte. Clintons Anwälte bezweifeln Tripps Glaubwürdigkeit.

Herbst 1997
Tripp nimmt heimlich Telefongespräche mit Lewinsky auf, in denen diese sagt, sie habe ein Verhältnis mit dem Präsidenten.

Dezember 1997
Lewinsky verlässt das Pentagon.

Januar 1998
Lewinsky unterschreibt eine eidesstattliche Erklärung, nie ein sexuelles Verhältnis mit Clinton gehabt zu haben. Tripp übergibt Sonderermittler Kenneth Starr darauf ihre Aufnahmen, auf denen Lewinsky angeblich behauptet, Clinton und einer seiner Freunde hätten sie gedrängt, die Affäre zu leugnen. Jetzt wird gegen Clinton auch in Sachen Anstiftung zum Meineid ermittelt. Der Präsident verneint wiederholt, je ein sexuelles Verhältnis mit Lewinsky gehabt zu haben.

Überzeugter Eepublikaner
Am 5. August 1994 nimmt er seine Arbeit auf, der Mann, der den Präsidenten stürzen will. Zu Beginn sammelt der überzeugte Republikaner Kenneth Starr Indizien wegen Betrugs bei einer Bauspekulation der von Clinton mitgegründeten Whitewater Corporation im Jahr 1978. Starr kommt mit der Untersuchung nicht voran und verlagert sein Interesse auf das erotische Privatleben des Präsidenten. Dabei geht es dem als obsessiv geltenden Sonderermittler darum, Bill Clinton als Lügner zu entlarven. Starr vermutet, dass der Präsident auch im Fall der dubiosen Whitewater-Spekulation mit hohen Bankenverlusten gelogen hat.

Immunität für Lewinsky
Nun hat Kenneth Starr endlich die Zeugin gefunden, die beweisen soll, dass der Präsident eine lange Nase hat: Monica Lewinsky. Die Nicht-Affäre zwischen der Ex-Assistentin und Clinton ist bekannt. Starr hat es nun fertig gebracht, Monica Lewinsky zu einer Aussage über die von ihr selbst bisher bestrittene Liebelei zu bringen.

Saubermann Starr wird sich bei Lewinsky für ihr Mitspiel in diesem amerikanischen Pinocchio-Drama mit der Immunität bedanken, die sie selbst von der Anklage des Meineids befreit.

Starr, dessen Mutter behauptet, er habe als Kind am liebsten Schuhe sauber gewichst, darf sich die Hände reiben. Die 30 Millionen Dollar, die seine Arbeit bisher gekostet hat, wird er für eine gute Investition halten – nicht für eine närrische Spekulation wie Clintons Whitewater-Business.�