Von Peter Hossli
Die Welt hielt kurz inne, als der ältere Mann mit den grauen Haaren auf die Treppe vor dem Gefängnis trat. Zaghaft winkte er dem wartenden Volk und den Fernsehkameras zu. Dann strahlte Nelson Mandela, damals 71 Jahre alt.
Im Februar 1990 entliess das südafrikanische Apartheid-Regime den alten Mann in die Freiheit, nach über 27jähriger Gefangenschaft. Vier Jahre später setzte sich der ehemalige ANC-Führer auf den Präsidentenstuhl des inzwischen demokratisch strukturierten Landes am Kap der Guten Hoffnung. – Eine Lebensgeschichte, die geradezu nach einer Verfilmung ruft.
Das haben mehrere Leute gleichzeitig erkannt. Vor zwei Jahren begannen der Schauspieler Sidney Poitier und der US-Produzent Bernard Sofronski «One Man, One Vote» zu entwickeln, einen Film über die letzten sechs Gefängnisjahre und die Entlassung Mandelas. Finanziert wird das Projekt von Viacom, dem weltweit drittgrössten Medienkonzern.
Der südafrikanische Produzent Anant Singh entfachte darauf eine hitzige Diskussion um den vermeintlichen Kulturraub, begangen von «amerikanischen Imperialisten». Es sei nicht zulässig, wenn die Amerikaner die Geschichte Südafrikas erzählten. Umgehend kündete Singh an, selbst ein aufwendiges «Biopic» über Mandela zu drehen, «im Stil von «Ghandi»». Erzählen werde er von Mandelas Jugendjahren, dem Gefängnisaufenthalt sowie dessen Rolle als erster schwarzer Präsident Südafrikas.
Noch befindet sich Singh im Hintertreffen. Die Dreharbeiten zu «One Man, One Vote» haben Anfang Mai begonnen. Präsident Mandela, ein Mann, der die Öffentlichkeit selten scheut, weigert sich aber hartnäckig, den Set von «One Man, One Vote» zu besuchen. Nicht Poitier, sondern Anant Singh besitzt die Leinwandrechte an Mandelas Leben. Es sei «unsere Pflicht», liess Mandela verlauten, «südafrikanische Künstler zu unterstützen». Produzent Singh bezeichnete er als «grossen Filmemacher». Öffentlich sagt Mandela, er wünschte sich, ein Südafrikaner würde Mandela spielen.
Gänzlich konfliktfrei verlief diese präsidiale Parteinahme jedoch nicht. Mandela lud den Amerikaner Poitier in seine Residenz und liess sich zusammen mit der prominentesten Figur des US-Projekts ablichten. Die Bilder gingen um die Welt.
Hintergangen fühlte sich darob die südafrikanische Schauspielergewerkschaft. Ihre Mitglieder vertreten die Meinung, Nelson Mandela stehe für einen bedeutenden Teil der südafrikanischen Geschichte. Er sei nationales Kulturgut. Ausländische Leinwandmimen dürften daher keineswegs den Volkshelden Nelson und dessen Ex-Frau Winnie Mandela verkörpern.
Singh hält seinen Mandela-Darsteller noch geheim. Er möchte verhindern, dass eine Polemik um sein Projekt «Mandela» entsteht, bevor er Anfang 1997 mit den Dreharbeiten beginnt. Sein letztjähriger Entscheid, den Amerikaner James Earl Jones und den Iren Richard Harris als Akteure in seiner Version des Klassikers «Cry, the Beloved Country» zu engagieren, hat die südafrikanischen Schauspieler tief gekränkt.
In der Filmindustrie zweifelt trotzdem niemand, dass Singh einem namhaften Hollywoodstar die Rolle des ANC-Kämpfers und heutigen Präsidenten geben wird. Es wäre «kommerzieller Selbstmord», sagt die südafrikanische Kolumnistin Daryl Accone, Mandela von einem unbekannten südafrikanischen Schauspieler spielen zu lassen, «niemand ausserhalb Südafrikas würde sich den Film ansehen». Sie schlägt Morgan Freeman vor, wegen dessen «Gentlemen-Qualitäten». Chancen werden aber auch Denzel Washington eingeräumt.
Er kennt die südafrikanische Geschichte. 1987 verkörperte er in Richard Attenboroughs «Cry Freedom» den Bantu-Führer Steve Biko, ein Jahr später trat er in einem Dokumentarfilm als Gefängnisinsasse Mandela auf.
Kaum Kontroversen dürfte das dritte Projekt auslösen. Aus mehreren hundert Stunden mit Mandela geführter Interviews entstand ein abendfüllender Dokumentarfilm. Die Endfassung hat der südafrikanische Präsident persönlich abgesegnet. Produziert wurde der Film von Jonathan Demme, US-Regisseur in Hollywood.