Von Peter Hossli
Die Concierge des «Grand Hotel» in Locarno wiederholte es wie ein Beschwörungsritual: «Wann er genau kommt, wissen wir nicht – aber die Betten sind gemacht.»
Doch die Betten in der eigens reservierten Suite blieben kalt. Jean-Luc Godard, der einzig wahr hafte Stargast des diesjährigen Filmfestivals, liess sich vergeblich bitten. Während der ersten Woche blieb er Locarno ganz fern – und trieb die Festivalleitung zur schieren Verzweiflung.
Schon am Eröffnungstag zuckte Festivaldirektor Marco Müller auf Fragen nach seinem Star nur mit den Schultern. In der Folge wurden zwischen Locarno und Rolle, dem Wohnort des Meisters, täglich gegen 15 Telekopien hin und her gefaxt. Meist waren es Anfragen über den aktuellen Gemüts zustand der sich zie renden Diva Godard.
Die Hiobs botschaften folgten sich. Ein erstes geplantes Kolloquium liess Godard genauso ungerührt platzen wie vereinbarte Interviewtermine. Von einem Abendessen, das anlässlich der Verleihung eines Ehrenleoparden für sein über achtzig Filme umfassendes Gesamtwerk hätte stattfinden sollen, wurden vorsorglich sämtliche Medienleute mitsamt dem Presseattaché des Festivals ausgeladen.
Godard, einziger Schweizer Filme macher von Weltruf, bestätigte durch das Wegbleiben sein Image als öffentlichkeitsmüder Exzentriker. Vor zwei Jahren hatte er die Frage nach dem schwindenden Publikumsinteresse, das seinen Filmen entgegengebracht wird, salopp und mit arrogantem Unterton beantwortet: «Das Publikum interessiert mich nicht.»
Das bekam Müller einen Monat vor dem Start des 48. Filmfestivals zu spüren. Godard beschied dem Direttore del festival Anfang Juli, dass er sein für Locarno geplantes multimediales Projekt «Godard: La véritable histoire du cinéma» nicht termingerecht realisieren würde. Und Lust, im August, wie vereinbart, an den Lago Maggiore zu kommen, verspüre er keine mehr. Dabei war alles so schön geplant: Mit der Anwesenheit der einzigen Jahr hundertfigur helvetischen Filmschaffens wollte Müller das Jahrhundertjubiläum des Films würdig begehen. Vier Teile von Godards eigenwilliger Annäherung an die Filmgeschichte, «Histoire(s) du cinéma», sollten präsentiert und dazu Filme gezeigt werden, die Godard selbst als Teil der hundertjährigen Geschichte des Kinos akzeptiert.
Doch plötzlich genügte Godard nun das vom Bundesamt für Kultur (BAK) und der Kulturstiftung Pro Helvetia gesprochene Geld nicht mehr, um die von ihm als Gegenleistung geforderte Kunst pünktlich abzuliefern. Der Lohn war ihm zuwenig. Dabei unterstützte allein Pro Helvetia das Projekt mit 100 000 Franken. Und auf ein von Marco Müller und Festi valpräsident Raimondo Rezzonico eingereichtes Gesuch hin hatte das BAK im Rahmen seines 100-Jahre- Kino-Kredites einen zusätzlichen Betrag in der Höhe von 135 000 Franken gesprochen.
Mit dem BAK-Geld sollte vor allem die Publikation eines Buchs unterstützt werden. Das von Godard mit der Videokamera, Computern sowie Farb kopierern gestaltete Album, so die Abmachung, sollte am Festival in einer limitierten Spezial edition medienwirksam der Öffentlichkeit vor gestellt werden. «Godard schlägt mit seinem Werk eine Brücke vom ersten zum zweiten Zentenarium des Kinos», hatte Müller pathetisch angekündigt.
Müller konnte es sich nicht leisten, die Affäre kurz vor Festivalbeginn eskalieren zu lassen. Er reagierte schnell und wandte sich ans BAK. Dessen Direktor, Müller-Vorgänger David Streiff, sollte die Angelegenheit zum Guten wenden. Aber Streiff war abwesend. Und der Chefposten der Sektion Film im BAK zu diesem Zeitpunkt noch verwaist: Marc Wehrlin würde ihn erst am 2. August antreten.
Madeleine Fonjallaz musste ran, die stellvertretende Chefin der Sektion Film. Mit ihr, Festivalpatron Rezzonico und Godards Produzentin Ruth Wald burger trat Müller eine Bittfahrt nach Rolle an. Empfangen wurde die Delegation in der Waadt von einem sichtlich gereizten Godard. Der liess seine Besucherschar nochmals wissen, so berichten Insider, dass er daran denke, sein Locarno-Projekt abzubrechen: Das versprochene Buch werde keinesfalls fertig, und sein Besuch auf der Piazza sei fraglich.
Der exzentrische Wirrkopf und ge niale Künstler bestand darauf, den Abgabe termin für das Album zu verschieben. Zudem wolle er nicht bloss eines, sondern gleich vier Alben herstellen. Nur eine derart aufwendige und entsprechend kostspielige Lösung entspräche seinen Vorstellungen. «Godard ist ein Künstler, kein Buchhalter», wiegelt Marco Müller ab.
Aber: Geld für die kurzfristige Ausdehnung des Projektes war keines mehr da, die 235 000 Bundesfranken längst auf gebraucht. «Wir waren nicht bereit, mehr Geld in das Projekt zu stecken», sagt Fonjallaz. Sie bestand jedoch darauf, dass «Godard seine Gegenleistung termin gerecht erbringen muss».
Nach hitzigen Diskussionen einigte man sich in Rolle auf eine Not lösung: Am Festival sollte Godard bloss einen Band in einer ungebun denen, dafür handsignierten und nu merierten Auflage von 150 Exemplaren vorstellen.
Geschlichtet konnte der Disput nur werden, weil Godard-Produzentin Ruth Wald burger, so verrieten Insider, tief in die eigene Tasche gegriffen und zusätzlich 40 000 Franken aufgebracht habe. Damit waren die Chancen immerhin gestiegen, dass Godard seinen Ehrenleoparden auf der Piazza doch noch persönlich in Empfang nehmen würde.
«Er holt doch nur die 20 000 Franken ab, die er mit dem Preis erhält», frotzelte der Festivalsprecher, sichtlich enerviert vom tagelangen Warten auf Godard: Es hatte sich zunehmend zur Provinzposse um einen Regisseur entwickelt, der zwar noch immer vom Ruhm seines Namens zehrt, sein Publikum aber längst verloren hat. �