Die Legende vom Bauchfett

Das Landesmuseum tischt zur Schlacht von Marignano falsche Fakten auf.

Von Peter Hossli

marignano_webVor 500 Jahren zofften sich bei Mailand die Eidgenossen mit den Franzosen. Zehntausend Schweizer fielen am 13. und 14. September 1515. Diese Schlacht von Mari-gnano gilt als zentrales Ereignis unserer Geschichte.

Es ging ans Eingemachte, zeigt jetzt das Landesmuseum in Zürich. Schlimmste Gräuel hätten deutsche Landsknechte in französischen Diensten verübt: «Die Sieger plündern das Schlachtfeld und nehmen alles Wertvolle mit», so eine Tafel im Museum. «Als spezielle Demütigung schneiden sie den Leichen das begehrte Bauchfett heraus.»

Dann kam es im grossen Stil zu Leichenfledderei?

Zumindest schreibt es die «NZZ». Toten Eidgenossen, so das Blatt, sei in Marignano «das Bauchfett aus dem Leib» geschnitten worden.

ausstellungNur: Es stimmt so nicht. Das staatliche Museum hält sich in der seit Jahren wichtigsten Ausstellung nicht an die Fakten. «Es gibt keinen Beleg, dass in Marignano jemand Bauchfett entnahm», sagt Geschichtsprofessor Valentin Groebner (52) von der Universität Luzern. «Mir ist keine konkrete Quelle bekannt.» Dabei hat er seine Habilitation über das Söldnerwesen verfasst.

Damit konfrontiert, gesteht die Kuratorin der Ausstellung «1515 Marignano», Erika Hebeisen (49): «Wir haben nur indirekte Quellen für Marignano, die Entnahme von Bauchfett war damals übliche Praxis.» Jedoch nicht auf Schlachtfeldern, so Groebner. Henker weideten Geköpfte aus und verkauften deren Fett an Apotheker, «als Nebenerwerb». Dass gefallene Krieger ihre Ranzen verloren, «werfen sich Kriegsgegner zwar gegenseitig vor, es ist aber nur Gräuelpropaganda».

Solcher Propaganda ist das Landesmuseum aufgesessen. 25 Jahre nach der Schlacht erwähnte der Berner Chronist Valerius Anshelm (1475–1547), der Urner Landammann Johannes Püntener (1459–1515) hätte in Marignano seinen Speck verloren: «Den Ammann Püntener von Uri, den beleibten Mann hauten sie auf und salbten mit seinem Schmalz ihre Spiesse und Stiefel.»

GroebnerDas sei «reformierte Polemik gegen den damals katholischen Solddienst», sagt Groebner. «Anshelm beschuldigte die Innerschweizer, Menschen wie Fleisch zu verkaufen.» Gezielt habe Anshelm das Söldnerwesen verunglimpft. «Dabei stiegen die Berner 40 Jahre später selber ein.»

Für Kuratorin Hebeisen war Anshelms Satz – obwohl Propaganda – Beleg genug für den Fettraub von Mari-gnano. Jetzt muss sie eingestehen: «Es war wohl nur ein Einzelfall, unsere Passage zum Bauchfett ist zu hoch gehängt.» Es sei «ein dramaturgisches Mittel, um auf Drastisches hinzuweisen». Hat sie zugespitzt? «Ja, ich nenne das Dramatisieren», sagt Hebeisen.

Heikel für Historiker. Zumal der Urner Püntener in Marignano wohl sein Fett nicht einbüsste. «Die Belege fehlen», sagt Groebner. «Nach Schlachten wurde viel geplündert, aber nicht der Speck – sondern die Kleider und die Waffen.»

Warum war Bauchfett denn «begehrt»? Apotheker boten es vom 15. bis Ende des 18. Jahrhunderts feil. Dem «Axungia hominis» – Menschenschmalz – schrieben sie magische Kräfte zu. Salbe aus Armensünderfett sollte Knochen- und Zahnschmerzen lindern, Tuberkulose heilen, Rheuma sowie Arthritis beseitigen.