«Wir lassen keine Illegalen sterben, das würde Jesus auch nicht»

Sam Hall patrouilliert mit seiner Milizarmee Patriots for America an der Grenze zu Mexiko.

Interview: Peter Hossli

Es war ein neuer Rekord: 250 000 Migranten haben Ende letztes Jahr die Grenze zwischen Mexiko und den USA überquert. Das zeigt eine Auswertung des Pew Research Center von offiziellen Regierungszahlen.

Die US-Grenzbehörde hat alle Hände voll zu tun. Deshalb hat es sich Samuel Hall zur Aufgabe gemacht, selbst die US-Grenze zu «beschützen». Mit seiner Organisation Patriots for America patrouilliert er regelmässig in den Grenzgebieten zu Mexiko.

Herr Hall, Sie sind Chef einer privaten Miliz, die an der mexikanisch-amerikanischen Grenze Patrouille schiebt. Kann sich der Staat nicht selbst schützen?
Samuel Hall: Die «Patriots for America» (PFA) gehen auf das Jahr 2015 zurück. Die politische Atmosphäre war sehr aufgeheizt, als Donald Trump (77) und Hillary Clinton (76) gegeneinander antraten. Die Menschen hatten Angst, politische Veranstaltungen zu besuchen. Wir beschlossen, sie zu schützen. Ob Demokrat oder Republikaner – wir müssen in der Lage sein, an einer Kundgebung teilzunehmen, ohne angegriffen, misshandelt, verprügelt oder verletzt zu werden.

Heute bewachen Sie die Südgrenze zu Mexiko.
Wir versuchen, Kinder zu retten, die über die Grenze in die USA geschmuggelt werden. Das ist aber nicht alles, was wir sehen. Einwanderer sind in unseren Armen gestorben, anderen haben wir das Leben gerettet.

Man wirft Ihnen vor, das Gesetz in die eigenen Hände zu nehmen und die Politik der Republikaner zu propagieren.
Wir sind mehr eine christliche Organisation als eine republikanische. Wir lassen niemanden sterben, der illegal in unser Land kommt. Das würde Jesus Christus auch nicht tun.

Es ist Aufgabe des Staates, die Grenze zu bewachen. Sie stören die Behörden.
Das wird Ihnen niemand bestätigen, aber wir arbeiten mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen: Seite an Seite mit der Grenzpolizei, der Nationalgarde und den lokalen Sheriffs. Wir tauschen uns intensiv aus.

Damit jeder weiss, was der andere tut?
Wir wollen uns nicht gegenseitig auf die Füsse treten. Das Schlimmste wäre, dass die Behörden uns mit Schlepperkartellen verwechseln. Wir sind ausgerüstet wie die Kartelle, tragen wie sie kugelsichere Westen. Das Kartell, das Militär und wir – alle tragen Uniformen und Sturmgewehre vom Typ AR-15. Umso wichtiger ist es, dass die Strafverfolgungsbehörden wissen, wo und wie wir vorgehen.

Die Strafverfolgungsbehörden tolerieren Sie. Aber willkommen sind Sie nicht?
Das ist eine heikle Frage. Offiziell sagt man das nie. Inoffiziell unterstützen sie uns. Viele lokale Beamte danken uns für unsere Arbeit.

Private Milizen haben den Ruf, ausserhalb des Gesetzes zu agieren. Die Behörden lehnen sie ab.
Niemand wird Ihnen zu Protokoll geben, dass er uns unterstützt. Aber sie wissen, dass wir uns ergänzen. Wir haben Drohnen und Waffen, die an der Grenze nützlich sind.

Was ist Ihre Aufgabe?
Wir schützen Amerika, indem wir die Grenze beobachten. Wir nehmen aber keine Einwanderer fest. Entdecken wir illegale Einwanderer, alarmieren wir die Grenzpatrouille. Sind unbegleitete Minderjährige in einer Gruppe, versuchen wir herauszufinden, ob sie Opfer von Sexhandel sind.

Sie sind von einem 15-tägigen Einsatz an der Grenze zurückgekommen. Wie empfinden Sie die Situation?
So schlimm habe ich es noch nie erlebt. Viele Menschen sterben bei dem Versuch, die Wüste zu durchqueren, vor allem in Arizona. In der Umgebung von Eagle Pass ist es sicherer, da kommen 4000 bis 5000 Menschen pro Tag in grossen Gruppen.

Ende Januar hat das texanische Militär den Stadtpark «Shelby Park» in Eagle Park geschlossen, ein beliebter Übergang. Er gleicht jetzt einem Fort. Ist die Krise eingedämmt?
Die Zahl der Grenzübertritte hat sich kaum verändert. Die Kartelle bringen die Migranten jetzt einfach nördlich und südlich von Eagle Pass über den Rio Grande. Das Militär muss seine Operationen wohl nach Norden und Süden ausbreiten. Einfach ist das nicht. Allein in Maverick County bei Eagle Pass verdienen die Kartelle 32 Millionen Dollar pro Woche. Auf so viel Geld werden sie nicht verzichten.

Um die Krise zu stoppen, muss man die Kartelle bekämpfen?
Nein. Wir müssen ein kaputtes Einwanderungssystem reparieren. Die Demokraten halten die Grenzen aus politischen Gründen offen. Sie importieren Wählerstimmen, um die politische Stimmung in Texas und in anderen Staaten der USA zu verändern. Und wenn ihnen das gelingt, können sie sehr lange an der Macht bleiben.

Das ist eine krude These, die viele als rassistisch bezeichnen. Weisse wie Sie wollen keine Latinos im Land.
Die PFA ist keine rassistische weisse Organisation. Bei uns sind Menschen aller Ethnizitäten tätig. Meine Frau und zwei meiner Kinder sind Latinos. Wir verurteilen jede Art von rassistischer und hasserfüllter Rhetorik.

Menschenrechtsorganisationen widersprechen Ihnen und unterstellen den «Patriots for America» rassistische Absichten.
Das ist diffamierend und falsch. Und ich hoffe, dass Sie diese Aussage veröffentlichen. Wir sind eine christlich-konservative Organisation. Wir verurteilen jede Form von Hass. Bei uns gibt es keine hasserfüllte, rassistische Rhetorik weisser Vorherrschaft. Mit unserer Haltung zur Einwanderung stehen wir nicht allein da.

Auch in liberalen Städten gibt es zunehmend Widerstand gegen Einwanderer.
Selbst demokratische Städte wie New York und Chicago haben die Nase voll von dem, was an unserer Südgrenze passiert. Sie spüren den Druck. Sie sehen, wie Kriegsveteranen und ältere Menschen aus Häusern geworfen werden, um Platz für Einwanderer zu schaffen. Sie sehen, wie Steuergelder für die Gesundheitsversorgung und für Sozialleistungen illegaler Einwanderer ausgegeben werden.

Das Problem lässt sich nicht leugnen. Hätte denn Donald Trump eine Lösung?
Unter Donald Trump hatten wir eine der sichersten Grenzen in unserer Geschichte. Für ihn war die Grenze oberste Priorität. Was nicht heisst, dass keine Menschen mehr mit Fentanyl und anderen Drogen über die Grenze kamen. Aber die Zahlen waren viel geringer als heute. Wird Trump gewählt, wird er sich auf seine Politik von 2016 besinnen. Und er wird die Grenze sichern, so wie er es vorher getan hat.

Wie sind die «Patriots for America» organisiert?
Wir haben je einen Ableger in Texas, in Missouri und in Chicago. Zu uns kommen aber Freiwillige aus den ganzen Vereinigten Staaten.

Jeder, der schiessen kann, darf mitmachen?
Alle durchlaufen ein strenges Auswahlverfahren. Wer sich bei uns bewirbt, bekommt einen Link für einen Hintergrundcheck. Acht oder neun von zehn füllen den Hintergrundcheck gar nicht erst aus. Die fallen sofort raus. Uns spart das viel Zeit und Mühe. Wir wollen sicherstellen, dass der Charakter und die Integrität aller mit unserem Auftrag übereinstimmen.

Wovor haben Sie Angst?
Wir wollen niemanden mit bösen Absichten in unserem Team. Eine einzige solche Person könnte unsere Organisation gefährden. Das FBI hat gegen uns ermittelt, die Texas Rangers, das ATF (Amt für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengstoffe) – und jede andere Behörde mit drei Buchstaben. Wir haben diese Ermittlungen überstanden, weil wir nichts zu verbergen haben und nichts Illegales tun.

Trotzdem sind Sie diskret. Wie viele Leute für Sie arbeiten, sagen Sie nicht. Ihre Nummer publizieren Sie nicht.
Wir müssen befürchten, von Spitzeln des FBI unterwandert zu werden. Es ist möglich, dass uns eine ruchlose Behörde mit drei Buchstaben eine Falle stellen will, wie es der Miliz von Michigan widerfahren ist. Wir sind besorgt, infiltriert und hereingelegt zu werden. Aber unsere Mitglieder wissen genau, was die gesetzlichen und verfassungsmässigen Grenzen sind. Diese Grenzen überschreiten wir nicht.

Wer sind die Mitglieder der PFA?
Ich habe vor vielen Jahren an einer Bibelschule studiert und war Missionar. Etwa die Hälfte unserer Mitarbeiter sind ehemalige Militärs und ehemalige Polizisten. Die andere Hälfte sind konservative, patriotische Leute, die ganz normale Arbeiter- und Angestelltenjobs haben. Alle arbeiten freiwillig und unentgeltlich für uns.

Rüsten Sie Ihre Miliz aus? Oder bringt jeder seine eigenen Geräte mit?
Die Leute haben ihre eigene Schutzausrüstung, ihre eigenen Waffen. Wir achten darauf, dass alle Waffen legal sind. Unsere Einsätze an der Grenze dauern zwischen einer und mehreren Wochen, dann fahren wir nach Hause und ruhen uns aus.

Kann ich Sie auf einer Tour an die Grenze begleiten?
Schicken Sie mir den Link zu Ihrem Artikel. Ist er ausgewogen, bekommen Sie die Erlaubnis, uns zu begleiten. Wir lassen Sie dann wissen, wann es losgeht. Wir erwarten nicht, dass Sie uns anfeuern. Wir erwarten, dass Sie fair und integer über uns berichten.