Was haben wir nur alles verpasst

Die Pandemie hat unser Leben klein gemacht. Ab morgen wird es wieder grösser. Wie viele Kinoerlebnisse sind uns entgangen? Wie viele durchtanzte Nächte? Wie viele geschminkte Lippen und wie viele Würste im Fussballstadion?

Von  Peter Hossli und Michael Furger Illustration: Illumüller

34-mal auswärts essen verpasst

Fast jeden dritten Tag treten wir irgendwo in der Schweiz durch die Tür eines Restaurants, Cafés oder einer Kantine. Normalerweise. Letztes Jahr sind die 115 jährlichen Restaurantbesuche pro Kopf aber auf 72 gefallen. 43-mal haben wir also den servierten Kaffee, das Feierabendbier in der Bar und die Pommes frites im Pistenrestaurant verpasst. Und wenn wir das noch genauer betrachten wollen: Richtig auswärts gegessen – nicht nur etwas getrunken – haben wir letztes Jahr pro Kopf nur 55-mal. Das sind 34-mal weniger als sonst.

278 Handschläge verpasst

Im Laufe seines Lebens schüttelt ein Mensch gegen 15000 Hände. Das haben britische Wissenschafter berechnet. Historiker erklären den Handschlag als pazifistisches Symbol: Wer die Hand zum Gruss hinstreckt, hält unter dem Ge­wand weder Dolch noch Revolver. Und Biologen glauben, der Händedruck habe im Zug der Evolution die tierische Eigenschaft des ­Beschnüffelns ersetzt. Als die ­Pandemie kam, mussten wir uns das Begrüssungsritual abgewöhnen. Verpasst haben wir so bis heute etwa 278 Handschläge. Hochgerechnet hat sich die ­gesamte Schweizer Bevölkerung 1937550362-mal die Hand nicht gereicht. Schlimm ist das nicht. Über Hände bereiten sich Keime rasant aus. Vor Corona nahmen es 95 Prozent mit der Handhygiene nicht so ernst.

3 Flüge in die Ferne verpasst

Ferien im fernen Ausland, das wurde im Laufe der Pandemie zwar wieder möglich, aber gewagt haben es die meisten trotzdem nicht. Die Passagierzahlen der Schweizer Flughäfen brachen vom April 2020 bis März 2021 um fast 90 Prozent ein. Im gleichen Umfang gingen auch die Umsätze der Reisebranche mit Auslandreisen zurück. Normalerweise unternimmt jede Bewohnerin und jeder Bewohner der Schweiz im Schnitt 1,6 Flugreisen pro Jahr. Da eine Flugreise aus Hin- und Rückflug besteht, sind das etwas mehr als drei Flüge – oder besser gesagt: wären es gewesen. Ein Einbruch von 90 Prozent heisst: Von den drei Flügen ist statistisch nicht einmal mehr ein halber Flug übriggeblieben. Damit kommt man nirgendwohin.

4,3 Milliarden geschminkte Lippen verpasst

Warum noch Lippenstift auftragen, wenn die Schutzmaske alles verdeckt? Oder wenn man in der Videokonferenz die Kamera deaktivieren kann? Das hat sich offenbar manche Frau gefragt. Lippenstift ist ein Pandemie-Opfer. Das zeigen die Nettoimporte der Zollverwaltung. 50,3 Tonnen Lippenstiftfarbe weniger sind von Frühling 2020 bis Frühling 2021 in die Schweiz eingeführt worden im Vergleich zur Vorjahresperiode. Umgerechnet sind das 14,7 Millionen Stifte. Machen wir eine Hochrechnung. Ein durchschnittlicher Lippenstift reicht für 293 Anwendungen, teilt die ­Kosmetikfirma Estée Lauder mit. Das bedeutet, dass während der Pandemie 4,3 Milliarden Mal eine Lippe ungeschminkt blieb, die sonst eingefärbt worden wäre. Sagenhafte 11,8 Millionen Lippenstiftausfälle pro Tag, und das angesichts von 3,6 Millionen Frauen ab 16 Jahren in der Schweiz. Natürlich wird ein Stift mehrmals pro Tag genutzt und geht auch mal verloren oder wird zerbrochen. Was die bittere Bilanz aber nicht rettet: Kaum eine Frau trug noch Farbe auf den Lippen. Das werde sich ändern, hofft Estée Lauder. Die geschminkte Lippe werde zurückkehren, wenn die Pandemie hinter uns liege.

356 Opern- und Ballett­aufführungen verpasst

Der Vorhang des Opernhauses Zürich fiel am 12. März 2020. Seither haben die Liebhaber klassischer Musik insgesamt 277 regulär geplante Aufführungen auf der grossen Hauptbühne verpasst. Darunter fielen 170 Opern, 72 Ballettvorführungen, 12 klassische Konzerte, 8 Liederabende, 13 Kinderabende sowie zwei Aufführungen mit Schülerinnen und Schülern der Tanz- und Ballettschulen. Dazu kommen 79 abgesagte Opern- und Ballettvorführungen am Grand Théâtre in Genf.

571 Torjubel im Stadion verpasst

Zwar rollte der Ball in den Schweizer Fussball-Profi-Ligen trotz der Pandemie weiter, allerdings meistens vor leeren oder fast leeren Rängen. Die Fans litten und feierten alleine vor dem Fernseher statt zusammen im Stadion. Nicht bejubeln konnten sie 571 Tore, die ihre Teams in der Super League und der Challenge League im Heimstadion erzielt haben. Kaum zum Spielen kamen aber die Juniorinnen und Junioren sowie die Amateurinnen und Amateure: Der Fussballverband sagte ihre Matches ab, damit haben Spieler von klein bis gross sowie ihre Eltern, Freundinnen und Freunde total 200000 Fussballspiele verpasst. Und nicht nur der Jubel und das Fieber hat gefehlt. Jeder dritte Matchbesucher isst in der Pause einen Cervelat oder eine Bratwurst vom Grill. Den Durst löscht jeder im Schnitt mit einem halben Liter Bier. Insgesamt gingen 2317265 weniger Fans in die Stadien der Profi-Ligen. Das heisst, sie assen 667372 Stadion-Würste weniger als im gleichen Zeitraum vor der Pandemie. Und sie tranken 1251323 Liter weniger Bier. Ein Fan, der alle Heimspiele seines Teams besucht, verpasste 5 Würste und 9,7 Liter Bier.

23400 Partys verpasst

Neun Monate steht das Nachtleben in der Schweiz schon still. Es gilt faktisch ein Tanzverbot. Keine Musik, keine Ekstase, keine Flirts an der Bar, keine taumelnde Glückseligkeit bis zur Morgenröte. Jede Woche finden 600 Partys nicht statt, die zu anderen Zeiten stattgefunden hätten – total 23 400 Ausfälle sind es bis jetzt schon. Und nicht nur das: Auch Konzerte, Theater, Comedy wurden gestrichen. 11,25 Millionen Eintritte sind bisher ausgefallen, sagt die Bar und Club Kommission. Und es wird nur zögerlich besser. Bars gehen wieder auf, aber Partys in Klubs sind weiterhin nicht möglich.

383 neue Kinofilme verpasst

Das Licht geht aus, Popcorn raschelt, über die Leinwand flimmert nach langer Werbung endlich die erste Szene. Die Pandemie hat uns diese Magie vorenthalten. Insgesamt 470000 Kinovorstellungen konnten seit dem 1. März 2020 nicht stattfinden. Statt 14,8 Millionen wie in anderen Jahren sahen während der Pandemie nur 2,62 Millionen Personen einen Film auf der grossen Leinwand. Sie mussten überdies aus einem bescheidenen Angebot auswählen. Blockbuster wie zum Beispiel der neue «James Bond» oder «Top Gun 2» wurden x-mal verschoben. Nicht nur diese Filme haben wir bis jetzt verpasst. Insgesamt kamen 383 neue Filme weniger in die Schweizer Kinos als in der gleichen Zeit ein Jahr vorher. PS: Der neue Bond soll jetzt am 30. September starten und «Top Gun 2» an Weihnachten. Vielleicht.