Mit spitzen Hellebarden gegen rauchende Colts

Wie Credit-Suisse-Präsident Urs Rohner Konzernchef Tidjane Thiam zum Rücktritt drängte – und was das über das Zürcher Establishment aussagt.

Von Peter Hossli

Dienstagnacht. Der Chef der Credit Suisse, Tidjane Thiam, 57, drückt auf den Bildschirm seines Smartphones. Mit einem Klick veröffentlicht er auf Instagram eine Foto, auf dem er fröhlich lacht. Nicht nur er. Um ihn herum versammelt ist die Konzernleitung der ehrwürdigen Bank. Alle lachen, wie man es bei privaten Fotos macht.

Privat aber bleibt das Bild nicht. Zuerst sehen es Thiams Follower. Danach verbreiten andere Medien weltweit die Foto, die am ­Ende einer Sitzung der Geschäftsleitung entsteht. Was innerhalb der CS manchen irritiert.

Die Foto wird zum sprichwörtlichen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Drei Tage nach der Veröffentlichung, am Freitag vor Börsenstart, gibt die CS Thiams Rücktritt bekannt. Auf ihn folgt der bisherige Schweiz-Chef Thomas Gottstein, 55.

Gottstein ist einer der zwölf Fröhlichen auf Instagram. Dass Thiam es veröffentlicht, sollen er und andere nicht gewusst haben. Sie fühlen sich nicht nur vorgeführt, sondern für einen PR-Coup missbraucht. Weil der angezählte Thiam versucht habe, den Rückhalt in seinem Team zu beweisen. Das erzählt eine Person, die es weiss und anonym bleiben will.

Aufstand der Verwaltungsräte
Am Tag nach der Veröffentlichung des Fotos tagt der Verwaltungsrat der Credit Suisse in Zürich. Es ist keine Sondersitzung, der Termin seit langem anberaumt. Das wichtigste Traktandum: die seit Herbst anhaltenden Unruhen, welche die Beschattung des einstigen CS-Managers und heutigen UBS-Bankers Iqbal Khan, 44, ausgelöst hatten. Versammelt sind Persönlichkeiten, die sich von ausländischen Aktionären angegriffen fühlen und sich wehren wollen. Sie vermuten, der CEO habe die Hände im Spiel. Über die Medien haben in den Tagen vor der Sitzung drei Investoren – Harris Associates, Silchester International und der US-Hedgefonds Eminence Capital – gedroht, sie würden CS-Präsident Urs Rohner ent­machten, sollte dieser Thiam an der VR-­Sitzung entlassen.

Diese öffentliche Drohung missfällt dem 60-jährigen Rohner und den anderen Verwaltungsräten. Würden sie ihr nachgeben, kämen sie ihrer Verantwortung als Aufsichtsorgan nicht mehr nach. «Die öffentliche Bekundung der Aktionäre hatte eine stark kontraproduktive Wirkung», sagt eine Person, die das Taktieren der Verwaltungsräte kennt. «Das Vorpreschen der Aktionäre verstimmte die Mitglieder des CS-Verwaltungsrates.» Deshalb sei es schneller als ursprünglich geplant zur Ablösung des Konzernchefs gekommen.

Als «für die Schweiz ungewöhnlich» empfindet man die Interventionsversuche. Besonders irritiert war Roche-CEO und CS-Verwaltungsrat Severin Schwan, 52. Dass Aktionäre öffentlich mitreden, ist er beim Basler Pharmakonzern nicht gewohnt. Der Zeitpunkt scheint reif, einen Schlussstrich zu ziehen unter einen Prozess, den er seit Monaten hinter den Kulissen zusammen mit Rohner abgewickelt hat. Zuletzt gelingt es den beiden, den Verwaltungsrat zu einen und den CEO zum Rücktritt zu drängen. Den rauchenden Colts aus Amerika und Grossbritannien setzen sie spitze Hellebarden entgegen. Alle Entscheide fallen einstimmig. «Wir handeln nicht auf Zuruf», lautete die Haltung des VR.

Rücktritt statt Entlassung
Zuerst hat Rohner ein kniffliges Problem zu lösen: Er muss Thiam dazu bringen, selbst zu gehen. Denn die Aktionäre würden rechtlich gegen ihn vorgehen, falls er den Chef entliesse. Und das will der Jurist verhindern.

Mit Geld schubst er Thiam weg – und vor allem mit der Aussicht, würdevoll aus dem Chefsessel steigen zu dürfen. Man einigt sich auf eine einvernehmliche Trennung. In der dazugehörigen Medienmitteilung schreibt die CS, der CEO habe nichts von der Beschattungsaffäre gewusst und sich nichts zuschulden kommen lassen. Diese Aussage ist juristisch wichtig, damit Thiam seine gesperrten Boni erhält. Gemäss Hochrechnung des «Tages-Anzeigers» sollen es mit dem Lohn 30 Millionen Franken sein. Hätte man Thiam wegen Mitwisserschaft oder wegen eines Vergehens entlassen, hätte er das Geld verloren.

Zudem verlässt Thiam die Credit Suisse durch die Vordertüre. Nicht per sofort, sondern am 14. Februar. Das ermöglicht es dem CEO, am Donnerstag an der Bilanz-Medienkonferenz die Geschäftszahlen des letzten Jahres vorzustellen. Ein Anliegen, das Thiam wichtig war. Stolz sei er auf das erreichte Resultat, und das will er persönlich der Welt verkünden. «Dass Thiam die Zahlen präsentieren darf, war für ihn ein wichtiger Teil der Vereinbarung», sagt eine Person, die es weiss.

Insgesamt habe er keinen schlechten Job gemacht, sagen Verwaltungsräte der CS jetzt. Erfolgreich habe er Kosten heruntergefahren und die Vermögensverwaltung gestärkt. «Sehr professionell» und gelassen habe er reagiert, als ihm der VR am Donnerstagabend die Bedingungen des Abgangs offenbarte. Längst sei dem CEO klar, dass er trotz Rückhalt bei den drei Aktionären nicht mehr mit Rohner und dem Rest des Verwaltungsrates arbeiten könne. Zumal der Präsident sich die Unterstützung anderer Grossaktionäre aus Katar, Saudiarabien und Norwegen habe zusichern lassen, wie zu hören ist.

Einmal mehr hat Rohner eine Qualität bewiesen, die ihm jene zuschreiben, die ihn kennen: Unter Druck kann er führen. Vom «Last Man Standing» ist die Rede, vom Letzten, der noch steht. Erklärt wird das mit eiserner Selbstdisziplin. Wie der einsame Gary Cooper in «High Noon» stellt er sich gegen den Wind. Daraus schöpft er Kraft, um den Druck auszuhalten. Kritik, er agiere viel zu langsam, ignoriert er. Bewusst wartet er den richtigen Zeitpunkt ab – zumal er zuerst die volle Unterstützung des Verwaltungsrates braucht.

Die Folgen der zweiten Beschattung
Die Krise beginnt letzten September, als die Beschattung von Iqbal Khan durch von der CS angeheuerte Detektive auffliegt. Publik werden peinliche Details eines seit Monaten schwelenden Konflikts zwischen Thiam und Khan. Rohner kann ihn nicht schlichten. Die Weltpresse verspottet die Schweizer Bank.

Eine der CS nahestehende Anwaltskanzlei führt eine interne Untersuchung durch. Anfang Oktober liegen die Resultate vor. Rohner entschuldigt sich für die Beschattung und spricht noch von einem Einzelfall. Weder er noch Thiam wollen etwas davon gewusst haben. Gehen muss Pierre-Olivier Bouée, Thiams engster Verbündeter. Zurück bleibt eine Bank mit angeschlagener Reputation und anämischem Aktienkurs.

Noch glaubt man bei der CS aber, die Sache aussitzen zu können. Bis die NZZ Mitte Dezember die Beschattung des ehemaligen CS-Personalchefs Peter Goerke aufdeckt. Ein Einzelfall ist Khans Beschattung nun nicht mehr, innerhalb der CS herrscht offenbar eine Kultur des Misstrauens. Eine Kultur, die nicht mehr vertretbar scheint gegenüber den Kunden, dem Personal und der Öffentlichkeit.

Das Ende der Ära Thiam beginnt. Erfolgen sollte der Abgang irgendwann nach der Präsentation der Geschäftszahlen am 13. Februar, heisst es. Dann würde es nicht nach einer hastigen Entlassung aussehen, zumal Rohner ja Thiam in die Bank geholt hatte. «Wären die Aktionäre nicht öffentlich vorgegangen, hätte es einen anderen Zeitplan gegeben.»

Im Geheimen bereitet Rohner den Wechsel an der CS-Spitze vor. Noch letzte Woche widerspricht er einer Meldung der Nachrichtenagentur «Bloomberg», er habe eigens eine Liste mit möglichen Thiam-Nachfolgern erstellt. Eine Lüge ist das nicht. Gottstein ist schon lange als Teil der Lösung vorgesehen.

Geballte Macht
Mit einer «Verkettung sehr unglücklicher Umstände» erklärt der ehemalige Besitzer der Privatbank Wegelin, Konrad Hummler, die Krise bei der Credit Suisse. «Das Allzumenschliche ist in geballter Form an die Oberfläche gespült worden. Geht das Menschliche mit Machtballung einher, wird es problematisch», sagt Hummler. «Ist die Macht geteilt, lösen sich die menschlichen Probleme schnell. Die Machtballung von CEO Thiam war sehr gross.»

Die Beschattung sage viel aus über das ­Gebaren am Finanzplatz. «Das Bonussystem züchtet eine rücksichtslose Brut heran», erklärt Hummler, 66. «Da das Substrat weniger geworden ist, wird Kundenklau belohnt.» Bringen Banker ihre Kunden zum neuen Arbeitgeber mit, winken Boni. Banken wehren sich, etwa mit Beschattungen. «Die heutigen Usanzen bei Banken sind barbarisch, wie im Mittelalter, als man dem Nachbarn die Felder abräumte, statt selber produktiv zu sein. Was derzeit passiert, ist ein Sittenzerfall.»

Heimatverlust des Establishments
Ein Sittenzerfall, den viele in Zürich zähneknirschend hinnehmen. Und den mancher während Monaten an der Figur Thiams festmacht. Er schade dem Ruf ihrer Bank, heisst es im Zürcher Establishment. Für viele zählt die 1856 von Alfred Escher als Schweizerische Kreditanstalt gegründete CS zu seinen Stützen. «An der Affäre Khan/Thiam zeigt sich der Machtverlust des Zürcher Teigs», sagt Hummler, der als ehemaliger NZZ-Präsident zumindest Einblick genoss. «Seine Bedeutung schrumpft, und zwar in einem grösseren Masse, als es die Zürcher wahrhaben wollen. Das Aktionariat der CS liegt nicht mehr in den Händen des Zürcher Establishments. Es sind erkennbar andere grosse Aktionäre, die den Ton angeben. Versteckt rümpft man darüber die Nase. Aber dagegen tun kann man nichts.»

Hummler beobachtet «einen Heimatverlust des Establishments» und erkennt literarische Dimensionen: «Das ist wie ein Stück Honoré de Balzac. Soziologisch gesehen, ereignet sich ein gesellschaftlicher ‹Buddenbrooks›.» Ein über Generationen sich hinziehender Niedergang. «Die Zürcher haben die Macht fahrlässig und willentlich verloren. Seit dem Abgang von Ulrich Bremi gibt es in Zürich keine Figur mehr, die einen Führungsanspruch erhebt.»

Bloss noch an den linken und rechten Rändern strebe man nach Führung. «Es fehlt der Führungsanspruch der gesitteten und nor­malen Eliten. Die aristotelische Mitte ist weg. Wir haben die Aurea Mediocritas verloren. ­Deshalb wird man anfällig für Skandale. Die Tatsache, dass man ein Detektivbüro beauftragen muss, zeigt, dass man sich heute nicht mehr vertraut.»

Rassismusvorwurf
Der Konflikt zwischen Rohner und Thiam gärt seit langem. Früh missfällt dem Präsidenten, wie forsch sein CEO auftritt. Thiam kommt im Sommer 2015 an den Paradeplatz, von der Versicherung Prudential in London. Nach sechs Monaten hat der Franko-Ivoirer seine Leute installiert und dominiert die Bank am Paradeplatz. Als die CS 2016 einen Abschreiber von einer Milliarde Franken vermeldet und Thiam sagt, in welch schlechtem Zustand er die Bank übernommen habe, realisiert Rohner: Er ist in Bedrängnis, sein Zögling greift ihn an. Meisterhaft versteht es hingegen Thiam, in der CS eine Hausmacht aufzubauen.

Jetzt geht Thiam reich, aber gekränkt. Er soll unter Rassismus gelitten haben, der ihm an der Limmat entgegengeschlagen sei. Früh hiess es, er «führe unschweizerisch». Man meinte: Da steht einer an der Spitze unserer Bank, der keiner ist von uns. Viele sehen in Thiam nicht nur einen Ausländer, sondern einen Fremden. «Zum Vorschein kam versteckte Xenophobie», sagt Hummler. «Der Zürcher Teig blickt bei Thiam kritischer auf gewisse Charaktereigenschaften als bei eigenen Leuten. Bei einem Schweizer Manager sagt man: So etwas macht man nicht. Bei Thiam hiess es: So etwas macht man nicht in der Schweiz», schildert Hummler. Als er in den 1980er Jahren bei der Bankgesellschaft gearbeitet habe, seien sonderbare Dinge geschehen. «Da hat man schon einmal ein Auge zugedrückt, wenn es eigene Leute gewesen waren.»

Der Druck auf Rohner hält an
Die abweisende Haltung verstärkt Thiams Wagenburg-Mentalität. Er sieht sich als hervorragenden Banker, dessen Qualitäten andere zu wenig anerkannten. Die als rassistisch empfundenen Angriffe lähmen ihn. Der CS-Präsident unterschätzte diesen Aspekt.

Mit dem Abgang Thiams verändert sich die Position Rohners. Vor wenigen Wochen hiess es noch, er könne sich kaum bis 2021 halten. Nun traut ihm der Verwaltungsrat am ehesten zu, die Bank zusammenzuhalten. Er hat den klaren Auftrag, schnell Ruhe in die CS zu bringen, damit Gottstein die von Thiam eingeschlagene Strategie weiterverfolgen kann.

Gerettet ist Rohner nicht, das weiss der ehemalige Hürdenläufer selbst. Die angriffigen ausländischen Aktionäre wollen ihn nach wie vor abwählen. Rohner selbst rechnet damit, dass er bis zur Generalversammlung im April weiter öffentlich desavouiert wird.

Der Stimmrechtsvertreter Ethos geht auf Distanz zu ihm. «Ethos hat sich seit der Generalversammlung von 2017 stets gegen die Wiederwahl von Urs Rohner ausgesprochen», sagt Ethos-Direktor Vincent Kaufmann. «Auch an der nächsten GV werden wir voraussichtlich gegen ihn stimmen. Wir sind der Überzeugung, dass Herr Rohner nicht die nötige Glaubwürdigkeit mitbringt, um diese Funktion auszuüben.» Rohner habe seine wichtigste Aufgabe nicht wahrgenommen, nämlich die Aufsicht über das Management. «Das hat er nicht geschafft, deshalb ist die Krise mit Thiam eskaliert», sagt Kaufmann. Die Bank habe seit Rohners Amtsantritt Fehler gemacht. Es sei falsch gewesen, dass die CS bei den Grossaktionären Olayan und Qatar Holding Kredite aufgenommen habe. Zu spät erfolgt sei die Neuausrichtung mit der Reduktion des Investment-Bankings erfolgt.

Management by Instagram
Die Krise bei der CS deutet Hummler als Symptom einer verunsicherten und richtungslosen Branche. Schweizer Grossbanken hätten ihre Identität eingebüsst. «Es wäre in den 1980er Jahre ungewöhnlich gewesen, dass jemand in einer Position wie Khan zu einer anderen Grossbank wechselt», sagt er. «Das war ein Kartell, die haben sich abgesprochen. Bestimmend waren Anstand und Achtung.»

Das sei vorbei. Mit viel Aufwand müssten sich zwei Finanzplätze neu erfinden: London nach dem Brexit und die Schweiz nach dem Ende des Bankgeheimnisses. «Es wird spannend, zu sehen, wer das besser kann.» Hummler setzt auf London. «Dort gibt es mehr Gemeinsinn und Streben nach Exzellenz.»

Das fröhliche Gruppenbild ist nicht der erste Instagram-Post Thiams, der irritierte. Als diese Zeitung vor zwei Wochen publik machte, dass sich der Streit bei der CS an einem dritten Mann entzündete, konterte Thiam eine Aussage des Artikels mit einem zornigen Instagram-Post. «Ein CEO, der so reagiert, hat verloren», heisst es aus der Spitze der Bank. «So kann man ein Unternehmen nicht führen.»

Mitarbeit: Albert Steck, Birgit Voigt, Chanchal Biswas