Von Peter Hossli
Kandidatin Hillary Clinton (69) verspreche «alles, um gewählt zu werden», polterte Donald Trump (70) im Wahlkampf. «Was ich sage, das gilt.»
Eine Mauer werde er bauen entlang der 3145 Kilometer langen Grenze zu Mexiko.
Obamacare, die Krankenkasse von Barack Obama? «Schaffe ich ab!»
Elf Millionen Menschen, die sich illegal im Land aufhalten? «Schaffe ich aus!»
Sei er mal in Washington, «dann trockne ich den dortigen Sumpf aus».
Nun ist Trump seit fünf Tagen gewählter Präsident – und sitzt schon mitten im Sumpf. Er umgibt sich mit genau jenen Lobbyisten und Insidern, die er aus Washington vertreiben wollte. Sie stellen derzeit sein Kabinett zusammen.
Als Stabschef und somit engsten Mitarbeiter hat er Reince Priebus (44) ernannt, seit Jahren Parteichef der Republikaner und Teil des verkrusteten Polit-Apparats, den Trump aufbrechen wollte.
Ein Zaun reicht
Die Mauer? Ein Zaun könnte reichen, sagte Trump gestern in einem Interview mit dem amerikanischen TV-Sender CBS. Was er nicht sagte: 1078 Kilometer Zaun stehen bereits an der Grenze, errichtet unter Präsident George W. Bush (70).
Nicht mehr elf Millionen möchte der künftige Präsident ausschaffen, sondern nur «zwei bis drei Millionen», sagte Trump zu CBS-Interviewerin Lesley Stahl (74). Das sind so viele, wie Obama ausweisen liess.
Von Obamacare werde er die «besten Aspekte behalten», sagt Trump jetzt – und befindet sich damit genau auf der politischen Linie seiner Gegnerin Hillary Clinton. Sie kritisierte Obamacare und hatte vor «zu behalten, was funktioniert» und «zu ersetzen, was nicht gut ist».
Keine Priorität für «Sperrt sie ein!»
Sobald er Präsident sei, werde er einen Sonderstaatsanwalt einsetzen und Clinton strafrechtlich verfolgen, versprach Trump in jeder Rede. «Sperrt sie ein! Sperrt sie ein!», schrien seine Anhänger. Trump: «Ich werfe Clinton ins Gefängnis!»
Da sei er sich jetzt nicht mehr so sicher. «Darüber muss ich zuerst nachdenken», sagte er zu CBS. «Aber ich glaube, mein Fokus liegt bei den Jobs, bei der Gesundheitsreform und der Immigration.» Nichts mehr von «Sperrt sie ein! Sperrt sie ein!»
China bezeichnete Trump vor dem Wahltag als «Währungsmanipulator», gegen den er mit «voller Härte» vorgehen werde. Nach einem Telefongespräch am Wochenende mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping (63) meinte Trump: «Wir haben grossen Respekt füreinander.»
Übrig bleiben von Trumps Wahlversprechen der Protektionismus, Steuersenkungen im Umfang von 3000 bis 5000 Milliarden Dollar – und der Austritt aus der Nato. Alles, so Ökonomen und Aussenpolitiker im Vorfeld der Wahlen, werde die Weltwirtschaft ins Chaos stürzen, die Welt destabilisieren.
Vermutlich hat Trump auch das alles nicht so gemeint.
Trump in bester Gesellschaft
Trump ist in bester Gesellschaft. Fast jeder US-Präsident vor ihm hat sich nicht an seine Wahlversprechen gehalten. Das Infrastruktur-Programm von Obama? Kam trotz tiefen Zinsen nicht. Das verfassungswidrige Gefängnis in Guantanamo auf Kuba? Noch immer offen!
«Lest meine Lippen! Ich erhöhe die Steuern nicht!», versprach George H. W. Bush (92) im Wahlkampf – und sah sich gezwungen, die Steuern zu erhöhen.
Der Wahlkampfslogan von Woodrow Wilson (1856–1921) im Jahr 1916: «Ich halte euch von Kriegen fern!» Ein Jahr später führte er die USA in den Ersten Weltkrieg.
Franklin D. Roosevelt (1882–1945) versprach 1940, keine «amerikanischen Boys in Kriege im Ausland zu schicken». Die Japaner griffen 1941 auf Hawaii in Pearl Harbor an – und Roosevelt schickte seine Boys in den Krieg.
Die Katze im Sack gewählt
Ronald Reagan (1911–2004) schaffte den Sprung ins Weisse Haus mit dem Versprechen, er werde das obligatorische Schulgebet in die Verfassung schreiben lassen. Im Amt hat es ihn nicht mehr interessiert.
Mit Trump hat Amerika die Katze im Sack gewählt. Es zählt nicht, was jemand verspricht, sondern ob jemand mitreisst – und das hat Trump getan.