“Alle wollen, dass es endlich aufhört”

IKRK-Präsident Peter Maurer über seine Syrien-Reise – er ist verhalten optimistisch.

Interview: Peter Hossli Fotos: Céline Bayer

In Babila, einem Vorort der Hauptstadt Damaskus, unterhält sich der IKRK-Chef mit Einheimischen. Alle sind vom Krieg müde.

In Babila, einem Vorort der Hauptstadt Damaskus, unterhält sich der IKRK-Chef mit Einheimischen. Alle sind vom Krieg müde.

Peter Maurer (59) reiste letzte Woche fünf Tage durch Syrien. Er besuchte Homs sowie ländliche Regionen um Damaskus. Maurer traf Mitglieder der syrischen Regierung und Vertreter der bewaffneten Opposi­tion. Dabei versuchte er, den Zugang des Roten Kreuzes zu verbessern.

Herr Maurer, seit Samstag ruhen in Syrien die Waffen. Wird der Waffenstillstand Bestand haben?
Peter Maurer: Wir hoffen es, damit wir die humanitäre Arbeit ausbauen können. Aber wir sind nicht darauf angewiesen. Das IKRK muss auch humanitär arbeiten können, wenn es Kämpfe gibt.

Was bringt der Waffenstillstand?
Unser Problem in Syrien ist die Unvorhersehbarkeit. Ein Waffenstillstand macht neue Gebiete zugänglich, jedoch nicht sofort. Wir brauchen zusätzliche Abmachungen, um in belagerten Regionen zu arbeiten.

Wo haben Sie kriegerische Scharmützel erlebt?
Praktisch überall, wir waren nah am Geschehen. Der Luftkrieg ist zu sehen und zu hören. Sowohl in Homs wie
in ländlichen Vororten von Damaskus erlebten wir kriege­rische Aktivitäten, ständig explodierten Bomben.

Wie sicher konnten Sie reisen?
Jedes Kriegsgebiet ist voller Risiken. In Syrien hat das IKRK aber gute Kontakte zu allen verschiedenen Parteien. Wir hatten das Einverständnis aller Seiten. Daher war es relativ sicher.

Sie haben Bilder eines zerstörten Spitals getwittert. Was denken Sie, wenn Sie das sehen?
Das ist in diesem Konflikt unsere grösste Sorge. Spitäler und Schulen sollten besonders geschützt werden. In den letzten drei Jahren sind sie in Syrien aber gezielt ins Visier geraten.

Wie sah das Spital aus?
Verheerend. Es funktioniert nur noch im Parterre und im Keller. Die oberen Stockwerke sind weggebombt. Für Brutkästen fehlt eine stabile Stromversorgung. Es mangelt an medizinischen Instrumenten und Medikamenten.

In Homs spricht Maurer in einem vom Syrischen Roten Halbmond betriebenen Spital mit einem Dialysepatienten.

In Homs spricht Maurer in einem vom Syrischen Roten Halbmond betriebenen Spital mit einem Dialysepatienten.

Warum ist es schlimm, wenn Spitäler angegriffen werden?
Es gibt derzeit keinen anderen Konflikt, wo das Gesundheitssystem so nachhaltig geschädigt worden ist wie in Syrien. Maximal 30, vielleicht nur noch 15 Prozent der Kapazitäten sind intakt geblieben, der Rest ist zerstört. Viele Menschen sterben in Syrien, weil die medizinische Versorgung nicht mehr sichergestellt ist.

Wie ist die Versorgungslage?
Unterschiedlich. Es gibt Ort, wo es nichts mehr hat, wo die Menschen regelrecht in die Armut gebombt worden sind. Dann gibt es Gebiete in Syrien, die zwar betroffen sind, wo man mit Geld aber noch etwas kaufen kann. Es ist eine prekäre Normalität mit sehr hohen Preisen.

Wie geht es den Menschen?
Sie sind sehr verzweifelt. Auf allen Seiten – bei der Regierung wie bei der bewaffneten Opposition – habe ich niemanden getroffen, der die Nase nicht gestrichen voll hätte.

Diese Frau floh mit sieben Kindern aus der Nähe von Aleppo nach Homs. Ihr Haus wurde niedergebrannt, ihr Mann ist tot.

Diese Frau floh mit sieben Kindern aus der Nähe von Aleppo nach Homs. Ihr Haus wurde niedergebrannt, ihr Mann ist tot.

Niemand glaubt an einen Sieg?
Doch, es gibt noch solche, die an eine militärische Lösung glauben. Sie sind aber in der Minderheit. Die meisten hoffen einfach, dass der Waffenstillstand jetzt eine Dynamik auslöst, die eine Normalität gewährleistet.

Sind die Syrer müde vom Krieg?
Seit Jahren ziehen sie von einem provisorischen Unterstand zum nächsten, von einer Notlage zur anderen. Das zehrt sogar den Stärksten aus.

Wie viele wollen denn noch die Flucht ergreifen?
Es gibt Menschen, die bei der kleinsten Perspektive auf Besserung sofort in ihre Häuser zurückgehen und alles wiederaufbauen wollen.

Sahen Sie denn Zeichen der Hoffnung?
Es ist wieder möglich, in die Altstadt von Homs zu gehen. Sie ist stark beschädigt, aber ich habe ­einige Menschen getroffen, die in ihren Wohnungen hämmern und schreinern. Sie versuchen, den kleinen Raum, der ihnen gehört, wieder bewohnbar zu machen.

Dann fliehen weniger aus Syrien?
Das ist schwer zu sagen. Vor allem unter Jugendlichen gibt es eine grosse Resignation. Gut möglich, dass viele von ihnen Syrien rasch verlassen wollen.

Wen sehen die Syrer als Gefahr – die Regierungstruppen, den IS oder die russischen Flugzeuge?
Ich war überrascht, wie wenig ideologische Rhetorik ich hörte. Das habe ich nicht erwartet. Die Menschen haben einfach genug. Es ist ihnen egal, wer jetzt noch interveniert. Die Menschen wollen, dass es aufhört, dass endlich alle aufhören.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass es Frieden gibt in Syrien?
Schwierig zu sagen. Würde ich nur auf interne Akteure hören, wäre ich heute ein bisschen optimistischer als auch schon.

Entscheidend sind die externen Akteure?
Die Frage ist, ob externe Akteure, die einen Einfluss haben …

… also Russland, Iran, Saudia-Arabien, die Türkei, die USA …
… ob sie diese Signale ebenfalls hören, oder ob sie weiterhin an eine militärische Lösung glauben.

Gibt es eine militärische Lösung?
Es ist sehr zu bezweifeln, dass die eine oder die andere Seite eine mili­tärische Lösung im Sinn eines überragenden Siegs erzielen kann. Es gibt keine Alternative zum Frieden am runden Tisch.