“Gesünder, reicher, gescheiter”

Die Stadt Zürich soll zu Europas Silicon Valley werden. Lino Guzzella erklärt, warum das für die ganze Schweiz wichtig ist.

Von Peter Hossli (Interview) und Pascal Mora (Fotos)

guzzella_hossliLino Guzzella ist verspätet. Der Präsident der ETH Zürich steckt im Stau. «Schnee!», sagt sein Sprecher. Er öffnet Guzzellas Büro, platziert den Reporter auf den Sessel des Präsidenten – und wählt dessen Handynummer.

Guten Morgen, Herr Guzzella …
Lino Guzzella:
… Sorry, ich stecke fest!

Kein Problem. Sind Sie ein Vorbild für das Zürich von morgen?
Nein, überhaupt nicht.

Wie digital ist Ihr Leben?
Ich bin kein IT-Spezialist (IT = Informationstechnologie; Red.), aber wie alle modernen Menschen benutze ich digitale Hilfsmittel.

Reicht es, Zürich in die digitale Zukunft zu führen?
Nein. Die digitale Zukunft ist für die Schweiz entscheidend – nicht nur für Zürich. Die traditionelle Industrie kommt unter Druck …

… Alstom entlässt gerade im Aargau rund 1300 Mitarbeiter.
Wir müssen weiter in die Maschinen- und Elektroindustrie investieren – aber gleichzeitig neue Bereiche erschliessen. Die digitale Welt eröffnet riesige Chancen für die Schweiz.

Das heisst, wir sind noch nicht stark genug?
Es gibt schon rund 12000 Schweizer Firmen in diesem Bereich, aber wir müssen noch stärker werden.

Sie unterstützen die Initiative Digital Zurich 2025.
Zürich hat hervorragende Voraussetzungen. Die Stadt zieht kreative Köpfe an. Zürich hat sehr gute Universitäten. Google ist schon hier, dazu Microsoft, IBM und das einzige Disney-Labor in Europa.

Alle wegen der tiefen Steuern!
Sie kommen, weil die Rahmenbedingungen insgesamt stimmen, Steuern und ein liberaler Arbeitsmarkt sind zentral. Genau wie Talente und hohe Lebensqualität. Und es gibt reichlich Unternehmergeist in Zürich.

Banken haben die Stadt reich gemacht. Werden sie nun von digitalen Firmen überholt?
Der digitale Sektor stärkt die Banken. Der Finanzplatz und IT -befruchten einander enorm.

Die digitalen Zentren liegen im Silicon Valley, Polen oder in Tel Aviv. Sind wir Schweizer agil genug, um da zu bestehen?
Konkurrenz belebt das Geschäft. Zürich hat gute Chancen. Wir wollen alle den Wohlstand halten in dieser Stadt und in diesem Land, und das können wir nur, wenn wir initiativ bleiben.

Was ist nötig, damit Zürich mithalten kann?
Zuerst gute Köpfe – Menschen, die motiviert und fähig sind. Es braucht ein Hochschulsystem, das den Zugang zum globalen Wissen garantiert. Und es braucht eine freundliche Umgebung, Firmen und Einzelne, die aktiv sind. Die gescheitesten Köpfe wollen in eine Gegend ziehen, wo sie mit Familien angenehm leben. Aber das reicht nicht. Es braucht ein Ökosystem der Innovationen.

Warum engagiert sich die ETH bei Digital Zurich 2025?
Es gibt egoistische und altruistische Gründe. Der egoistische: Digitalisierung und Data Science sind Forschungsbereiche, die entscheiden, ob man sich als gute oder schlechte Hochschule etabliert. Wollen wir eine der weltbesten Universitäten bleiben, müssen wir im IT-Bereich spitze sein.

Und der altruistische?
Die ETH hat einen gesetzlichen Auftrag, der Schweiz wirtschaftlich zu helfen. Unser Beitrag: Wir kreieren neues Wissen und arbeiten mit der Industrie zusammen. Unsere Forschenden sind vernetzt. Sie gehen ins Silicon Valley. Sie bringen Wissen zurück.

Wo ist die ETH besonders stark?
Wir bilden junge Menschen aus, betreiben weltweit beachtete Grundlagenforschung und engagieren uns im Wissenstransfer. Und dies mit Erfolg: Alleine 2015 sind 25 Spin-offs entstanden, rund ein Viertel ist im IT-Bereich. In den letzten 20 Jahren gründeten ETH-Angehörige rund 330 Firmen.

Hat die Digitalisierung unser Leben wirklich besser gemacht?
Unser Leben ist viel einfacher und besser geworden. Das wirtschaftliche Wachstum der letzten Jahre geht auch auf die Digitalisierung zurück. Früher machten wir mehr Fehler, viel Zeit ging verloren. Wären Sie damals an die ETH gekommen, hätte dieses Interview schlicht nicht stattfinden können, weil es keine Handys gab.

Wir brauchen kluge Köpfe. Viele Schweizer Politiker aber wollen unser Land abschotten.
Irgendwie muss das Geld verdient werden. Digital Zurich 2025 ist eine Möglichkeit, Wohlstand für viele Generationen zu sichern. Dazu brauchen wir Spitzenkräfte von überall. Ich appelliere an die Politik, das zu ermöglichen.

Was ist für IT wichtiger – Kapital oder Ideen?
Es braucht drei Dinge, alle sind gleich wichtig. Machen Sie ein Feuer, brauchen Sie Zündhölzer – die Idee –, nötig ist ebenso Holz – das Kapital –, und schliesslich braucht es Sauerstoff – das gesellschaftliche, politische und steuerliche Umfeld. Im Silicon Valley gibt es eine positive Grundhaltung, bei uns ist man oft negativ. Wir müssen diese positive Haltung in die Schweiz tragen und mutiger werden, ohne die Menschen zu erschrecken.

Wie wollen Sie das erreichen?
Indem man Erfolgsgeschichten erzählt – und andere Leute motiviert, es ebenfalls zu tun. Zudem steigt der Druck von aussen. Früher gab es nirgends so viele ausgebildete Menschen wie hier. Heute studieren allein 20 Millionen Chinesen an Universitäten. Wir Schweizer müssen einfach wieder an die Säcke.

Wie verändert die digitale Transformation die Schweiz?
Im Kern verändert sie uns nicht. Wir bleiben Menschen mit Gefühlen, Wünschen und Träumen. Ich fürchte die Automatisierung nicht. Sie bringt einen effizienteren Umgang mit Energie und einen intensiveren Dialog. Wir können Menschen von repetitiven Arbeiten entlasten, sie können ihr kreatives Potenzial voll ausschöpfen. Digitalisierung macht uns im besten Fall gesünder, reicher, gescheiter.

Wir sind uns noch nie begegnet. Woher rührt Ihr Optimismus?
Fahre eben in die Tiefgarage, bin in fünf Minuten im Büro, dann können Sie mich persönlich kennenlernen, und wir reden über Optimismus.

hossli_guzzella(Vier Minuten später) Schön, Sie zu treffen. Nochmals, woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Schauen Sie, wie wir vor 100 und 200 Jahren lebten und wie wir es heute tun. Wir werden gesünder, älter. Die Luft in Zürich war nie so gut, wir reisen, wir bilden uns weiter. Wir hatten noch nie so viel Wohlstand – dank Wissenschaft und Technik. Werden wir noch besser, profitieren weltweit mehr arme Menschen davon.

Wann ist Ihr erster Assistent ein Roboter?
Eine Maschine wird bis zu meinem Tod nie die Intelligenz entwickeln, die ein Mensch hat.

Viele fürchten sich vor Robotern.
Das weiss ich. Es geistern Zahlen herum, wonach 90 Prozent der KV-Jobs verschwinden. Diese Angst halte ich für übertrieben.

Klaus Schwab vom WEF sagt: Führungskräfte und das Servicepersonal werden arbeiten, jene in der Mitte aber verschwinden.
Wenn die in der Mitte das gleiche tun wollen wie jetzt, ist das korrekt. Aber ich bin überzeugt, dass der Mensch anpassungsfähig ist. Er ist intelligent. Kreativität wird Muskeln und Langeweile ablösen. Das ist doch herrlich!