Von Peter Hossli
Wie Geister wabern sie in der malerischen Bucht von Mallorca, schimmern violett in der Sonne. «Bis vor drei Jahren gab es hier nie Quallen», sagt ein spanischer Wirt. «Jetzt sind sie überall und keiner getraut sich ins Wasser.»
Azurblau strahlt die Baie des Anges vor Nizza (F). Doch statt Engel tanzen Medusen in der Bucht. Mit engmaschigen Netzen ziehen Fischer das schlabbrige Getier aus dem Meer, damit Franzosen sorglos baden können.
Ein einziges Mal crawlt der Schweizer Familienvater im Indischen Ozean vor Khao Lak in Thailand. Eine Qualle streift ihn, was höllisch brennt. Fortan planschen er, seine Frau und die Kinder nur noch im Hotelpool.
Quallen sind weltweit zur Qual geworden. Die atemberaubend schönen Wesen breiten sich vor Florida und im Golf von Mexiko aus, vor Japan, sie bevölkern das Mittelmeer und die Küste vor Namibia. «Und sie erobern gerade das Schwarze Meer», sagt Ilka Sötje (49) vom Zoologischen Institut der Universität Hamburg. «Dort waren sie zuvor überhaupt nicht.» Früher kam es im Mittelmeer alle zehn bis 15 Jahre zu einer Qualleninvasion. Jetzt findet sie jährlich statt. «Ja, es gibt weltweit viel mehr Massenauftreten», sagt Forscherin Sötje. Die einst nur in Asien heimische Portugiesische Galeere verbreitet sich im Mittelmeer und tötet Kinder. Letztes Jahr liessen sich an der Costa Brava gegen 20000 Touristen wegen Juckreiz nach Quallenkontakten behandeln.
Das Gallertgetier verdirbt Italiens «ferragosto» und «les vacances» in Frankreich. Und es verdrängt andere Bewohner der Ozeane. Als frisch gekrönte «Königin der Meere» beschreibt der «Spiegel» die Qualle. Dabei ist sie blind, hat weder Herz noch Hirn. Sie besteht zu 98 Prozent aus Wasser. Nur Wellen und Strömungen treiben sie an.
Unsterbliche Wesen
Die Evolution zog an den Nesseltieren vorbei. «Quallen gehören zu den ältesten Arten der Welt», sagt Sötje. «Sie haben ihren Grundbauplan seit 600 Millionen Jahren kaum verändert.» Ihr Milieu – Salzwasser – verhielt sich stets ähnlich. «Quallen sind potenziell unsterblich», so Sötje. Festsitzenden Polypen setzen ständig neue schwimmende Medusen ab. Frisst sie kein Fisch, fängt sie kein Fischer, leben sie immerfort. Sötje schätzt die Zahl ihrer Arten auf 5000. Die kleinste ist so gross wie ein Reiskorn, die grösste etwas kleiner als ein Stier.
Manche Quallen haben lange Tentakel. Darin führen sie Giftpfeile, die sie mit Hochdruck auf Plankton und Fische abfeuern. Das Gift lähmt. Es zersetzt Gewebe, damit Quallen die Beute rascher verdauen. «Einige haben sehr starkes Gift, das Menschen tötet», sagt Sötje. Das Herz steht still, wenn eine Seewespe einen Schwimmer streift, oder eine Portugiesische Galeere ein Kind harpuniert. Ihr Gift lähmt Atemmuskulatur und Nerven von Menschen, es löst deren Gewebe auf. «Die giftigsten Quallen gibt es vor Australien», so Sötje. «Aber auch im Mittelmeer leben jetzt tödliche Medusen.»
Doch warum breiten sie sich so rasant aus? «Die Quallen sind eine Flaschenpost, die uns das Meer an den Strand schickt», sagte der spanische Meeresforscher Josep Maria Gili im «Spiegel». Die Botschaft: «Ihr zerstört mich.» Das Meer verendet, die Medusen übernehmen.
Weil der Mensch die Ozeane ausraubt, wimmelt es von Waberwesen, sagt die Hamburger Forscherin Sötje. Ölplattformen sind perfekte Nistplätze für Polypen, die in immer wärmeren Gewässern immer mehr Medusen freisetzen. 2014 waren die Weltmeere so warm wie nie seit dem Beginn der Messungen 1880.
Zudem trägt Ballastwasser bei Leerfahrten in Tankern Quallenlarven in die Welt. So etwa wurde das Schwarze Meer von Glibbermonstern besiedelt.
Vor allem aber sind die Meere überfischt. Und das begünstigt die Quallen doppelt. Zum einen schrumpft der Bestand natürlicher Feinde. In Folge bleibt den Quallen mehr Nahrung: mehr Plankton, Fischeier und Larven. «Ideale Bedingungen, sich zu vermehren», erklärt Sötje. «Quallen produzieren unheimlich hohe Mengen an Nachkommen.»
Die Medusen verändern die Balance der Macht im Meer. Sie verätzen Fangnetze, töten die Bestände von Fischfarmen und verstopfen Entsalzungsanlagen. Zuweilen verkleben sie Kühlwassersysteme von Kraftwerken.
Olivenöl einreiben
Allenfalls Möwen und Albatrosse profitieren von der Quallenpest. Sie picken Geschlechtsorgane aus den Schwabbelleibern und laben sich an fettigen Eiern.
Menschen aber sind wehrlos. Schauspielerin Veronica Ferres (50) konnte wochenlang nicht auf der Bühne stehen, weil eine Medusa ihr Gesicht verätzt hatte. Im Mittelmeer schmieren sich Einheimische von Kopf bis Fuss mit Olivenöl ein bevor sie ins Wasser steigen. Wer Nesselgift abbekommt, sollte sich mit Essig abwaschen. Vermehrt hissen Bademeister an Stränden mit Quallen bemalte Warnflaggen. Oder sie versuchen, ihre Stände mit Netzen rein zu halten.
Sicher ist nur: In Schweizer Seen gibt es keine Quallen.