Interview: Peter Hossli Fotos: Sabine Wunderlin
Der Präsident Kroatiens ist ein ungewöhnlicher Politiker. Ivo Josipovic (56) bekämpft Korruption und komponiert Opern. Als Jugendlicher spielte er Fussball, entschied sich dann für ein Musik- und ein Jus-Studium. An der Universität lehrte er Recht und stand für Menschenrechte auf dem von Krieg und Hass geschundenen Balkan ein. Seit 2010 ist der Sozialdemokrat dritter Präsident des Landes. 2012 erreichte er sein erstes Ziel: Kroatien trat der EU bei. Josipović ist verheiratet und hat eine Tochter. Er sprach am Freitag am Europa Institut in Zürich.
Herr Präsident, warum sind Sie nicht in Brasilien?
Ivo Josipovic: Warum sollte ich?
Ihr Team begeistert an der WM.
Mein Job verlangt alles von mir ab. Kroatien ist in einer Rezession. Es gehört sich nicht, Geld für eine Reise nach Südamerika auszugeben.
Sie unterstützen Ihr Team nicht?
Doch, aber erst im Final.
Für Kroatien spielen Fussballer, die ihr ganzes Leben in der Schweiz verbrachten. Warum?
Sie gingen davon aus, dass die kroatische Mannschaft besser ist als die schweizerische.
Josip Drmic oder Mario Gavranovic spielen aber für die Schweiz!
Kroatien bestückt in Brasilien drei Mannschaften: Kroatien, Australien und die Schweiz. Wir exportieren Fussballer. Sie gehen ins Ausland, weil sie dort mehr verdienen.
Wann bleiben sie in Kroatien?
Wenn unsere Wirtschaft stärker ist.
Sind Sie bestechlich?
Korruption auszumerzen, hat für mich Priorität.
Die Schweiz zahlt 45 Millionen Franken an die Modernisierung Kroatiens. Akzeptieren Sie deshalb, dass die Schweiz die Personenfreizügigkeit nicht auf Kroatien ausdehnt?
Die Zahlung zeigt: Die Schweiz setzt sich für Europa ein. Die Personenfreizügigkeit ist etwas anderes. Die EU will sie für alle Bürger. Dazu gehören wir Kroaten. Nun wird es Verhandlungen geben zwischen der Schweiz und der EU. Es braucht ein Resultat, das beide akzeptieren.
Was ist akzeptabel für Kroatien?
Die Personenfreizügigkeit! Kroatien darf nicht anders behandelt werden als alle anderen EU-Mitglieder. Auf EU-Ebene ist nur die Personenfreizügigkeit akzeptabel.
Der Bundesrat will ab 2017 Kontingente einführen. Ist das ein akzeptables Resultat?
Die EU ist gegen Kontingente – und ich bin gegen Kontingente. Natürlich respektieren wir den Schweizer Entscheid. Die Schweiz kämpft für ihre Interessen. Aber seien Sie sicher: Das tut auch die EU!
Kann die Schweiz die bilateralen Verträge mit der EU ohne Personenfreizügigkeit behalten?
Darüber werden die Schweiz und die EU jetzt verhandeln.
Kroaten dürfen in der Schweiz arbeiten. Reicht Ihnen das?
Für uns ist das nicht genug. Wir wollen wie alle anderen Europäer behandelt werden. Zumal Kroaten für die Schweiz keine Bürde sind.
Schweizer fürchten, Kroaten nehmen ihnen die Jobs weg.
Die Schweiz hat 2,5 Prozent Arbeitslose. Wir Kroaten – und alle anderen EU-Bürger – erhöhen diese Zahl bestimmt nicht. Ausländer stärken die Schweizer Wirtschaft.
Wie viele Kroaten wollen denn jetzt in der Schweiz arbeiten?
Das ist nicht wichtig. Versichern kann ich Ihnen aber: Halb Kroatien kommt nicht hierher. Heute leben 30 000 Kroaten in der Schweiz, dazu viele Eingebürgerte. Sie alle leisten viel in der Schweizer Wirtschaft und der Gesellschaft.
Für Sie war der EU-Betritt Kroatiens ein politisches Ziel. Warum?
Kleine Nationen wie Kroatien können allein nicht in der Weltwirtschaft mithalten. Die Schweiz ist zwar kein EU-Mitglied, aber sie ist sehr stark in die EU eingebunden.
Krieg lähmte lange den Balkan. Wollten Sie deshalb in die EU?
Die europäische Einheit ist sowohl ein wirtschaftliches Projekt wie ein Projekt des Friedens. Als wir von Europa träumten, träumten wir von Sicherheit, Demokratie – und Frieden. Nun will ich unseren Nachbarn zum EU-Beitritt verhelfen.
Wann folgen Serbien und Bosnien?
Sobald sie ihre Reformen beendet haben. Beide sind gut unterwegs.
Wann hat Kroatien den Euro?
Frühestens in fünf Jahren. Dann dürften wir die nötigen Voraussetzungen erfüllen. Wir wollen den Euro. Wir sind bereits ein Euro-Land – vieles wird in Euro bezahlt.
Spanien, Portugal und Griechenland wären froh, sie könnten während einer Rezession eine eigene Währung abwerten.
Keines dieser Länder steigt aus dem Euro aus. Sie wissen: Wer langfristig denkt, bleibt beim Euro.
Bei den EU-Wahlen erhielten EU-skeptische Kräfte Auftrieb …
… nicht in Kroatien …
… warum wollen Sie einer Union mit vielen Skeptikern angehören?
Kennen Sie ein Land, das sich bisher entschieden hat, auszutreten? Nein. Was Ihre Frage erübrigt.
Viele EU-Länder haben Angst vor Zuwanderern aus Kroatien …
… fürchten muss man sich nur vor dem kroatischen Fussball-Team.
Sie sind Komponist. Was bereitet mehr Freude, Musik oder Politik?
Klar Musik. Aber ich kann nicht nur Freude haben, ich muss arbeiten. Trete ich aus der Politik zurück, werde ich wieder Opern komponieren. Zuerst eine über John Lennon.
Warum gerade Lennon?
Er war ein grosser Künstler, sogar sein Mörder Mark Chapman bewunderte ihn. Die Oper handelt von Chapman und Lennon. Von einem, der den tötete, den er verehrte.