Interview: Peter Hossli und Guido Schätti, Fotos: Sabine Wunderlin
Hauptsitz der Credit Suisse, in Zürich. Auf dem Tisch des Sitzungszimmers steht eine volle Flasche Cola Zero. Konzernchef Brady Dougan setzt sich, schenkt Cola ein.
Mister Dougan, wie viel Bargeld tragen Sie auf sich?
Brady Dougan: Etwa 100 Franken.
Nur Franken, keine Dollar?
Meist noch 100 Dollar. (Er greift in die Hosentasche.) Aber mein Portemonnaie ist jetzt nebenan im Büro.
Sie sind Amerikaner. Welche Schweizer Bank nimmt Sie noch als Kunde?
Ich habe mein Hauptkonto bei der Credit Suisse in den USA.
Weil die CS Schweiz Sie nicht mehr will?
Wie alle anderen US-Staatsbürger muss auch ich mich strikten Vorschriften unterziehen. Deshalb sind Schweizer Banken aus dem grenzüberschreitenden US-Geschäft ausgestiegen.
Ist es seltsam, Chef einer Bank zu sein, die Sie und Ihre Landsleute nicht mehr als Kunde will?
Es ist die neue Realität.
Die CS hat sich schuldig bekannt, Tausenden von Amerikanern beim Steuerbetrug geholfen zu haben. Was wussten Sie darüber?
Bis ich im Mai 2007 CEO wurde, war ich in keiner Weise in dieses Geschäft involviert. Damals begann die Finanzkrise, was mich stark absorbierte. Als der UBS-Fall bekannt wurde, war uns sofort klar: Wir müssen unsere Risiken in diesem Geschäft überprüfen. Wir veranlassten, keine UBS-Kunden zu übernehmen. Und es war klar: Wir ziehen uns aus diesem Geschäft zurück.
Was sagte Ihnen Ihr Vorgänger Oswald Grübel über das Geschäft mit US-Kunden?
Wir haben darüber nicht diskutiert.
Es war mit Grübel kein Thema?
Er hat sich nie mit mir zusammengesetzt, um darüber zu sprechen.
Er hat Sie nicht auf die Gefahren hingewiesen?
Natürlich wusste man um das grenzüberschreitende Geschäft. Es gab bei der Credit Suisse jedoch klare Regeln und Vorschriften, wie dieses Geschäft zu führen ist. Leider fanden wir zu spät heraus, dass es Leute gab, die diese Vorschriften missachteten.
Es fällt schwer zu glauben, dass Sie vor 2007 nichts wussten. Zumal Hunderte von CS-Bankern involviert waren. Für den Schweizer Finanzsektor war das Geschäft lukrativ.
Das Geschäft, von dem wir sprechen, war relativ klein. Bei der CS umfasste es rund ein Prozent der verwalteten Vermögen.
Alle wussten, in der Schweiz lagert viel ausländisches Schwarzgeld.
Es gab verbindliche Weisungen, die geltenden Vorschriften im grenzüberschreitenden Geschäft einzuhalten. Das heisst, welche Dienstleistungen kann ein Berater einem Kunden aus einem bestimmten Land in der Schweiz und vor Ort anbieten. 2006, also noch vor meiner Zeit als CEO, haben wir begonnen, das grenzüberschreitende Geschäft unter die Lupe zu nehmen und Vorschriften zu verschärfen.
Was ist schlimmer für den Chef: Nichts zu wissen – oder es zu wissen und nichts zu tun?
Ich habe nie etwas Illegales toleriert. Nie. Bei jeder Gelegenheit betone ich: Wir halten uns an Gesetze.
Die Herausgabe von Weisungen hat offenbar nicht gereicht.
Bei einem Konzern mit 50000 Menschen kann es einzelne geben, die sich nicht an alle Regeln halten. Das versuchen wir zu stoppen. Leider gab es dennoch Fehltritte.
Am Schluss ist der Chef verantwortlich. Sie sind der Chef.
Das ist richtig, ich bin verantwortlich für den Konzern. Und ich muss dafür sorgen, dass wir die richtigen Regeln haben.
CS-Angestellte sind sauer, weil Sie vor dem US-Senat sagten: «Die Chefs wussten nichts, es waren ein paar wenige Leute.»
Die Leute werfen mir vor, ich würde die Chefs schützen. Dabei waren schlicht keine Topkader involviert. Das sind die Fakten und daran halten wir uns.
Das ist schwer zu glauben.
Die Fakten sind bekannt. Dieses Geschäft wurde sehr genau untersucht. Hätten die Behörden Belastendes gefunden, wäre das heute publik.
Die Reaktion in der Schweiz war: Sie sagten nicht die Wahrheit!
Ehrlich gesagt, darüber bin ich frustriert. Die Untersuchung dauerte dreieinhalb Jahre. Es ist alles bekannt. Sehr viele Anwälte haben sehr genau hingeschaut, dazu etliche untersuchende Behörden.
Haben die US-Behörden von Ihnen jemals verlangt, den Job niederzulegen?
Nein.
Und von Urs Rohner?
Nein.
Dachten Sie daran, zu gehen?
Nein. Ich arbeite seit bald 25 Jahren für diese Bank, ich setze mich voll für die Credit Suisse ein, für Kunden, das Personal, die Aktionäre. Ich wollte die Angelegenheit so rasch als möglich lösen. Ich fühle mich der Credit Suisse und den Menschen, mit denen ich arbeite, absolut verpflichtet.
Auch nach dem Vergleich?
Selbstverständlich.
Steuerhinterziehung ist in den USA ein Delikt. Warum müssen Sie trotzdem keine Kontodaten von US-Kunden preisgeben?
Weil es nach derzeitigem Schweizer Recht nicht erlaubt ist, Informationen herauszugeben.
Wie lösten Sie das Problem?
Die Schweizer und die US-Behörden haben eine Lösung dafür erarbeitet wie dies künftig möglich sein soll. Sie ist aber nicht Teil unserer Einigung.
Es wäre billiger geworden, Sie hätten Daten liefern dürfen?
Das ist Spekulation. Fakt ist, gemäss geltendem Recht konnten wir diese Daten nicht liefern.
Sind Sie nicht zufrieden mit dem Vergleich?
Wir sind erleichtert, eine Lösung gefunden zu haben. Zumal uns das ohne Notrecht gelang.
Die Schweizer Regierung half der CS nicht?
Sie hat uns natürlich unterstützt. Notrecht war keine Option.
Statt Notrecht zu erbetteln, zahlte die CS lieber eine hohe Busse?
Entscheidend ist, dass wir jetzt eine gute Lösung haben.
Wie sehr trug Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf dazu bei? Sie traf sich mehrmals mit den US-Behörden.
Ich bin nicht in alle Gespräche zwischen den Regierungen eingeweiht worden. Der Bundesrat bemüht sich um die Interessen des gesamten Finanzplatzes, und er hat uns unterstützt.
Euphorisch tönt das nicht.
Es geht hier nicht nur um die Credit Suisse. Es sind ein Dutzend weiterer Banken in der Kategorie 1. Hinzu kommen über 100 Banken in den Kategorien 2 und 3. Es ist wichtig, dass alle ihre Probleme lösen können. Der Bundesrat versuchte für den Finanzplatz eine Gesamtlösung zu finden. Für uns bedeutete das: Wir konnten während zweier Jahre nicht mit der US-Jusitz sprechen.
Strafklagen in den USA bedeuten in der Regel das Aus einer Firma. Wie nah war die Credit Suisse dem Kollaps?
Vor uns haben schon andere Banken wie die UBS und die Royal Bank of Scotland Schuldeingeständnisse bei Tochtergesellschaften abgelegt. Die US-Behörden versicherten uns, wir würden die Banklizenz nicht verlieren. Das war sehr hilfreich. In der Schweiz halfen auch die Finma und die Nationalbank.
Sie hatten nie Angst um die CS?
Eine Strafklage wäre gefährlich gewesen. Wir konnten das vermeiden, und das Geschäft läuft normal. Ich bin sehr dankbar, dass die Kunden die Situation verstehen, und wir konnten in den letzten Tagen auch wichtige neue Kunden gewinnen.
Finma und US-Justizministerium werfen Ihnen vor, bei der Aufarbeitung Fehler gemacht zu haben.
Wir waren nicht perfekt. Es war ein riesiges Projekt. Rückblickend hätten wir in den letzten fünf oder sechs Jahren vieles sicher besser machen können. Dennoch: Nichts in meiner Amtszeit als CEO beanspruchte mehr Ressourcen als der US-Fall.
Als die UBS am Pranger stand, hiess es bei der Credit Suisse: «Wir sind anders!» Heute ist klar: So anders war die CS nicht.
Allein der Umfang des Geschäfts war bei der CS wesentlich kleiner als bei der UBS. Natürlich hätte ich das Problem gerne früher erkannt. Als wir die Probleme der UBS sahen, haben wir sofort mit dem Ausstieg begonnen – und wir haben die Übernahme von US-Kunden der UBS verboten.
Aktenkundig ist: Die CS ging weniger systematisch vor als die UBS. Das Geschäft war kleiner. Warum müssen Sie dreimal mehr bezahlen als die UBS?
Eins zu eins lassen sich die Fälle nicht vergleichen. Zwei Punkte sind klar: Wir kamen fünf Jahre später. In dieser Zeit sind die Bussen höher geworden. Zudem lieferte die UBS Kundendaten und wir nicht. Das war wie gesagt bei uns nicht möglich.
Welche Folgen hat die Busse von 2,6 Milliarden Franken auf den Gewinn der Credit Suisse?
Wir haben 1,1 Milliarden Franken zurückgestellt oder bezahlt. Die restlichen 1,5 Milliarden werden im zweiten Quartal belastet.
Immerhin können Sie die Busse von der Steuer abziehen.
Tatsächlich können wir nur einen sehr geringen Teil von der Steuer abziehen.
Neben dem Gewinn leidet Ihre Kapitaldecke. Das Eigenkapital ist auf 9,3 Prozent gefallen.
Bis Ende Jahr werden wir wieder eine Eigenkapitalquote von mindestens zehn Prozent ausweisen und streben dann eine Quote von elf Prozent an. Hinzu kommen die Gewinne aus dem laufenden Geschäftsjahr.
Werden Sie bald nach Doha reisen, um in Katar zusätzliche Mittel zu beschaffen?
Eine Kapitalerhöhung braucht es nicht. Wir können die Ziele aus eigener Kraft erreichen.
Der Investmentfonds von Katar, der grösste CS-Aktionär, ist bei der Deutschen Bank eingestiegen. Wie wahrscheinlich ist eine Fusion zwischen der Credit Suisse und der Deutschen Bank?
Die Wahrscheinlichkeit liegt bei null. Die Behörden wollen kleinere, nicht grössere Banken. Deshalb haben Fusionen von Grossbanken heute keine Chance.
Sie verdienen sehr viel Geld. Was machen Sie damit?
Privatbanker der Credit Suisse verwalten es.
Sie fahren keine schnellen Autos?
Ich besitze einen Toyota Prius.
Der Vergleich kostet die CS viel Geld. Werden Sie jetzt auf Ihren Bonus verzichten?
Wir haben uns in den vergangenen Wochen voll auf die Lösung mit den USA konzentriert. Die Kompensationsfrage werden wir diskutieren.
Wäre es nicht angebracht, ein Zeichen zu setzen und auf einen Teil des Bonus zu verzichten?
Wenn wir Verluste schreiben, oder ein schlechtes Ergebnis haben, hat das einen direkten Einfluss auf die Boni. Übrigens auch auf diejenigen aus den Vorjahren.
Reden wir über Krawatten. Warum trugen Sie beim Hearing vor dem US-Senat eine Krawatte mit springenden Zebras?
Es muss wohl eine meiner Schwächen sein, mich nicht ausreichend um meine Garderobe zu kümmern. Ich war vollständig darauf konzentriert, Fragen ehrlich und so gut wie möglich zu beantworten. Die Krawatte war daher wirklich kein Thema für mich.
Manche Leute empfanden Ihre Krawattenwahl als respektlos.
Das war sicher nicht meine Absicht.
Warum mögen Sie lustige Krawatten?
Weil mir diese Dinge nicht wichtig sind, überrascht es mich immer wieder, wie viel Aufmerksamkeit die Leute solchen Äusserlichkeiten schenken. Denken Sie nicht, dass wir in dieser Situation andere Probleme hatten?
Seit der Finanzkrise sind Banker unbeliebt bei den Leuten. Ihre Branche hat ein Imageproblem.
Das ist nachvollziehbar, aber dem Grossteil aller Bankangestellten gegenüber wirklich nicht fair, weil sie sich täglich für ihre Kunden einsetzen. Wenn das nicht so wäre, würden die Kunden uns nicht vertrauen. Oder würden Sie jemandem Ihr Geld anvertrauen, den Sie nicht mögen oder respektieren?
Schweizer Banken stehen weltweit im Ruf, am meisten unversteuerte Gelder zu verwalten. Sind sie wirklich so schlimm?
Ich mache keine Aussagen über andere Banken. Ich kann Ihnen versichern, dass wir sehr hart daran arbeiten, dass die CS und unsere Kunden alle Regeln einhalten. Es gibt keine Alternative zur Steuerehrlichkeit.
Warum reiten die USA derart scharfe Attacken gegen die Schweiz, obwohl sie im eigenen Land in Staaten wie Delaware, Nevada oder Montana Steueroasen tolerieren?
Die Schweiz ist schon seit Jahrzehnten weltweit eine starke Marke im Private Banking. Dadurch steht sie automatisch im Scheinwerferlicht. Das erklärt aber nicht alles. Man muss klar sagen: Wir haben Fehler gemacht, die nicht akzeptabel sind.
Die USA haben das Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz noch immer nicht ratifiziert. Dadurch verhindern sie, dass die Schweiz rechtmässig Kundendaten liefern kann.
Wir haben uns stark dafür eingesetzt, dass das Abkommen rasch ratifiziert wird. Es würde uns helfen.
Wie viele Kundennamen kann die CS liefern, wenn es ratifiziert ist?
Eine genaue Zahl kann ich nicht angeben, es werden wohl zwischen 2000 und 4000 Namen sein.
Die USA setzen gegenüber der Schweiz eine Null-Toleranz-Politik durch, unterhalten aber selber Steueroasen und blockieren das Doppelbesteuerungsabkommen. Ist das heuchlerisch?
Ich konzentriere mich auf die Bank und die Kunden. Diese Aufgabe ist anspruchsvoll genug.
Sie wollen Ihr Heimatland nicht kritisieren?
Es ist doch viel wichtiger, Geschäft und Risiken im Griff zu haben, als über Dinge zu spekulieren, die wir nicht beeinflussen können.
Als CEO müssen Sie politische Risiken im Griff haben. Sie beeinflussen Ihr Geschäft direkt.
Sicher. Aber es bringt nichts, wenn wir darüber diskutieren, welche Steuerpolitik andere Länder verfolgen. Denn es ändert nichts daran, dass wir die Regeln überall einhalten müssen. Nur so können wir verhindern, dass wir in Zukunft ähnliche Probleme haben.
Wie frei können Sie überhaupt reden? Im Abkommen mit der US-Justiz verpflichten Sie sich, keine widersprechenden Aussagen zu machen.
Wir halten uns an das Statement of Facts, das wir unterzeichnet haben.
Wie oft fliegen Sie zwischen Zürich und New York hin und her?
Ich fliege sehr oft, auch weil ich versuche, die Wochenenden bei meiner Familie in New York zu verbringen.
Fliegen Sie Linienflugzeuge oder Privatjets?
Meistens mit Linienjets.
Sie leben gesund. Wie sehr litt Ihre Fitness unter dem Stress der Verhandlungen?
Da ich jeweils um 5 Uhr früh und um 22 Uhr trainiere, litt sie kaum.
Sie arbeiten beim Trainieren?
Wenn ich um 22 oder um 22.30 Uhr zu Hause bin und auf den Heimtrainer gehe, lese ich E-Mails, telefoniere und lese.
Die Credit Suisse sponsert Fussball und Tennis. Was schauen Sie lieber?
Tennis. Ich mag es, Roger Federer zuzuschauen. Er ist grossartig.
Warum ist es wichtig für die Credit Suisse, die Schweizer Nationalmannschaft zu sponsern?
Sie ist in der Schweiz allgegenwärtig, weil Fussball so viele Menschen begeistert und wir uns auch stark für den Nachwuchs engagieren.
Hilft Ihnen jetzt die Fussball-Nati, negative Schlagzeilen zu überwinden?
Wir bemühen uns sehr um das Vertrauen der Kunden in unserem Geschäft. Aber natürlich hoffen wir, dass sie die Unterstützung der Credit Suisse bei der Nati als etwas Gutes wahrnehmen.
Brady Dougan bedankt sich für das Gespräch, lässt sich nochmals kurz fotografieren – und verabschiedet sich. Die Flasche Cola zero ist jetzt leer.