Interview: Peter Hossli Foto: Goran Basic
Vinton Cerf (70) entwickelte 1973 ein Programm, das Computer vernetzt. In der Fachsprache heisst es TCP/IP – die Voraussetzung für das Internet. 1989 entstand daraus das heutige World Wide Web. Seit 2005 ist Cerf Vizepräsident bei Google. Letzte Woche besuchte der Informatiker die Schweiz.
Mister Cerf …
Vinton Cerf: Nennen Sie mich bitte Vint.
Okay, Vint, was ist der wichtigste Wert jeder Branche?
Das Internet wird immer wichtiger, weil es Unternehmen erlaubt, physische Grenzen zu überwinden.
Wichtiger noch ist das Vertrauen. Viele sind vorsichtig geworden, seit bekannt ist, dass NSA-Spione Daten im Internet einsehen.
Zu keinem Zeitpunkt übergaben wir aus freien Stücken irgendwelche Informationen an die NSA. Wir tun nur das, was das Gesetz von uns verlangt.
Der Vertrauensbruch ist aber da. Wie lässt er sich wieder reparieren?
Seit Jahren schützen wir die Privatsphäre unserer Nutzer. Wir waren die erste Firma, die den Datenfluss zwischen unseren Servern und den Computern der Nutzer verschlüsselt hat.
Was hat sich durch den NSA-Skandal geändert?
Neu verschlüsseln wir den gesamten Verkehr zwischen unseren Datenzentren. Sämtliche Google-Daten sind jetzt verschlüsselt.
Vielen Staaten reicht das nicht. Sie verlangen, dass Internetfirmen lokale Server installieren.
Die politische Reaktion ist verständlich. Ist das Volk aufgebracht, müssen Politiker etwas tun. Sinn macht es in diesem Fall aber nicht.
Was spricht dagegen?
Ein zersplittertes Internet schadet der Wirtschaft. Schweizer Firmen sind stark, weil sie dank offener Netze reibungslos weltweite Märkte erschliessen. Errichten Länder Barrieren, bricht das Internet auseinander. Es bleiben Inseln, die nicht kommunizieren.
Ihr Titel bei Google ist Internet Evangelist. Was ist Ihre Religion?
Ich bin orthodoxer Nerd!
Und wie lautet Ihre Mission?
Das Internet muss wachsen, davon profitieren alle. Seit 40 Jahren versuche ich weltweit, das Netz zu stärken. Derzeit erleben wir einen weiteren Boom – dank des mobilen Internets.
Zur Mission gehört eine Botschaft. Wie lautet Ihre?
Firmen, die online sind, die das Internet nutzen, wachsen schneller als solche ohne Web-Präsenz.
Seit 40 Jahren verändert das Internet die Welt. Wie geht es derzeit weiter?
Es gibt drei Trends. Dank mobiler Geräte ist das Internet überall. Ein neuer Internet-Adressen-Standard erlaubt es, weit mehr Geräte ans Internet anzubinden. Das ermöglicht – drittens – das Internet der Dinge mit vielen neuen Geschäftsmodellen.
Was ist darunter zu verstehen?
Produkte aus der realen Welt, die mit dem Internet verbunden sind: Autos, die alleine fahren und über das Internet gesteuert werden. Sie bekleckern Ihr Hemd mit Mayonnaise. Das teilen sie per Internet der Waschmaschine mit. Diese bestellt automatisch die richtige Seife gegen Mayonnaise-Flecken. Zudem stellt sich die Maschine korrekt ein, um den Flecken zu behandeln.
Was für neue Geschäftsmodelle ergeben sich daraus?
Ein Seifenhersteller ist plötzlich ein Hightech-Konzern, der Waschmaschinen steuert. Das Beispiel zeigt: Das Internet wird zur Handels-strasse des 21. Jahrhunderts für etliche Unternehmen.
Einzelne Branchen aber gefährdet das Internet.
Andere wiederum profitieren von den Möglichkeiten. Manche Jobs verschwinden – wie während der industriellen Revolution, als Maschinen fortan erledigten, was Menschen von Hand taten.
Wie viele Stellen verlieren wir wegen der Internetwirtschaft?
Keine! Verschwindet wegen des Internets ein Job, entstehen zwei neue Jobs, die es vor fünf Jahren noch nicht gab.
Da kann nicht jeder mithalten!
Früher hatte man 40 Jahre lang denselben Beruf. Das ist vermutlich vorbei. Da sich die Jobs ständig ändern, müssen wir uns ändern.
Wer arbeitet, kann nicht immer etwas Neues lernen.
Das Internet schafft das Problem – und bietet gleichzeitig eine Lösung! Google-Mitarbeiter boten einen Online-Kurs über künstliche Intelligenz an. Sie hofften, 500 Leute würden sich anmelden. Es waren 160000 Personen. Topuniversitäten bieten Online-Kurse für nur zehn Franken an. Melden sich 100000 Studenten an, bringt das der Uni eine Million.
Was ist ein idealer Arbeiter in der Internetwirtschaft?
Einer, der ständig Neues lernen will – und nicht einfach auf die Pensionierung wartet. Das gilt nicht nur für Google, sondern für alle. Das Uhrengeschäft kränkelte – bis Swatch eine Plastikuhr brachte und so alles veränderte. Swatch dachte damals anders. Anders zu denken, ist der Schlüssel zum Erfolg.
Google hat bei Suchmaschinen ein Quasi-Monopol. Monopole schaden aber der Wirtschaft.
Wir haben kein Monopol! Ein Klick reicht, und Sie sind bei der Konkurrenz. Umso mehr bemühen wir uns, bessere Produkte anzubieten.
Was hat die Welt denn mehr verändert – das Internet oder das Rad?
Rein numerisch ist das Internet wichtiger als das Rad. Ich weiss, das tönt egoistisch.
Können Sie es belegen?
Als das Rad erfunden wurde, lebten nur wenige. Das Internet beeinflusst dagegen eine Welt mit sieben Milliarden Menschen, drei Milliarden sind online.
Zahlen reichen Ihnen?
Das Internet ist flexibler als das Rad. Aber ich muss zugegen: Das Rad war eine coole Idee. Es ist überall – an Autos, in Uhren und in Kraftwerken. Gerne hätte ich das Rad erfunden, aber mit dem Internet bin ich zufrieden.
Man nennt Sie «einen der Väter des Internets». Warum macht Sie Ihr Kind zuweilen stolz?
Weil wir es so offen wie nur möglich konzipiert haben. Alle können es nutzen, verbessern, mit ihm wachsen. Es ist ein Ort, wo Ideen entstehen – und zu etwas Besonderem heranwachsen können.
Und wann schämen Sie sich wegen des Kindes?
Es gelang uns anfänglich nicht, genügend Internetadressen zu haben. Ohne etwas zu ändern, hätten wir ab Februar 2011 keinen einzigen neuen Computer mehr anschliessen können. Das Problem ist mit einem neuen Standard aber behoben.
Dann hat das Internet nur technische Probleme?
Was Menschen online tun, ist ein Spiegelbild der Menschheit. Gefällt einem nicht, was man im Spiegel sieht, hilft es doch nicht, den Spiegel zu flicken. Man muss ändern, was man im Spiegel sieht.
Bei Internetfirmen arbeiten die Leute im Kapuzenpulli. Warum tragen Sie dreiteilige Anzüge?
Wegen meiner Frau. Als ich 1976 nach Washington zog, sagte sie, ich müsse dreiteilige Anzüge tragen. Als ich vor dem Kongress sprach, sagte ein Senator, ich sei der best gekleidete Internettyp. Seither trage ich Dreiteiler.
Zur legeren Google-Kultur passt das nicht wirklich.
Es ist schon komisch. Aber ich habe stets versucht, mich durch Kleider abzusetzen. An der Highschool trug ich Jacke und Krawatte, hatte stets einen Aktenkoffer dabei. Meine Kollegen trugen schulterlanges Haar und goldene Ringe in der Nase.
Für Google Schweiz arbeiten Personen aus 75 Ländern. Was bedeutet die Beschränkung der Zuwanderungen für den Standort?
Diese Frage kann ich nicht beantworten, da ich die Pläne nicht genau kenne. Ich hoffe, dass dieses Land erkennt, wie wertvoll gut ausgebildete Arbeitskräfte sind. Jede Nation hat prozentual gleich viele smarte Menschen. Am erfolgreichsten sind jene Länder, denen es gelingt, mehr smarte und kreative Leute für sich zu gewinnen.