Interview: Peter Hossli Fotos: Thomas Lüthi
Jacob Wallenberg ist hungrig. «Am WEF fehlt die Zeit zum Essen», sagt er. «Es ist zu viel los.» Er sitzt in einem vollen Café im Davoser Grandhotel Steigenberger, trinkt Wasser, wirkt bescheiden. Seine Familie kontrolliert ein Konglomerat aus global tätigen Firmen – seit fünf Generationen. Bei Saab sind die Wallenbergs die grössten Investoren. Der schwedische Konzern fabriziert den Kampfjet Gripen. Am 18. Mai entscheiden wir an der Urne, ob die Schweizer Luftwaffe 22 Gripen für 3,126 Milliarden Franken beschafft. Hinzu kommen jährlich wiederkehrende Unterhaltskosten.
Herr Wallenberg, wie sicher ist der Luftraum über Davos?
Jacob Wallenberg: Wissen Sie, es ist immer möglich, etwas noch besser zu machen.
Um Reiche und Mächtige am WEF besser zu schützen, braucht die Schweizer Luftwaffe also ein schwedisches Flugzeug?
Wenn das Schweizer Volk dieses schwedische Flugzeug will, freuen wir uns sehr, es bauen zu dürfen.
Den Luftraum über Davos macht der Gripen aber nicht sicherer!
Was gut für die Schweiz ist, beurteilen allein die Schweizer Regierung und ihre Luftwaffe – nicht ich.
Sie wollen den Gripen, den Ihr Konzern Saab produziert. Wie gefährdet ist Saab, wenn die Schweizer im Mai Nein sagen?
Warum sollte Saab gefährdet sein?
Der Gripen-Deal mit der Schweiz ist eine zentrale Säule für Saab.
Wichtig ja – aber er ist nicht die einzige Säule. Wir verhandeln mit weiteren Ländern über den Gripen, etwa mit Brasilien. Zudem baut Saab noch anderes als diesen Jet.
Wie sehr fürchten Sie die Schweizer Abstimmung?
Überhaupt nicht. Ein Volksentscheid gehört zum normalen Ablauf eines solchen Geschäfts.
Was bedeutet Ihnen Geld?
Als Geschäftsmann muss ich Geld verdienen, um wieder zu investieren, um das nächste Produkt anzubieten. Geld ist ein Abbild des Erfolgs – und es bringt Firmen weiter.
Und privat?
Mein Lohn hilft mir, für meine Familie zu sorgen.
Wie viel Geld verlieren Sie denn, wenn die Schweiz den Gripen nicht kauft?
Es geht ja nicht nur um Geld. Zunichte wäre eine zehn Jahre lange Kampagne, die zu einer engeren Zusammenarbeit unter Schweizer und schwedischen Firmen führen wird. Klar, bei einem Nein fällt der Aktienkurs von Saab. Das wäre aber nur ein Verlust auf Papier.
Wie engagieren Sie sich persönlich bei der Gripen-Abstimmung?
Ich rede doch jetzt mit Ihnen.
Ein Argument für den Gripen ist das nicht.
Mein Argument ist kurz und klar: Der Gripen ist ein gutes Produkt zu einem vernünftigen Preis. Für das, was Ihre Luftwaffe mit dem Jet vorhat, ist er sehr kosteneffizient.
Gegner sagen, Sie mischen sich als Schwede in einen Schweizer Wahlkampf ein.
Wir halten uns an alle Regeln des politischen Systems der Schweiz.
Sie kommen seit zwanzig Jahren nach Davos. Wie ist die Stimmung am diesjährigen WEF?
Nicht mehr so negativ. Das ist wichtig. Die Risiken sind geringer, Griechenland, Spanien und Italien weniger gefährdet als vor Jahresfrist. Erst letzte Woche hat Irland am Kapitalmarkt sogar günstiger Geld aufnehmen können als Schweden. Das ist hoffnungsvoll.
Die Finanzmärkte gesunden, noch fehlen in Europa neue Jobs.
Eines folgt auf das andere. Es ist ext-rem wichtig, dass die Investoren wissen: Es ist weniger riskant, zu investieren. Die Jobs werden kommen, sobald wieder Geld fliesst.
Das geht all jenen zu langsam, die arbeitslos sind.
Vergessen Sie bitte nicht: Der europäischen Wirtschaft ist durch die Krise ein immenser Schaden zugefügt worden – ein Schock. Es ist unmöglich, alles in einem Zyklus zu korrigieren. Das braucht Zeit.
Nord- und Osteuropa florieren. Wie kommen die südeuropäischen Länder aus der Krise?
Durch harte Arbeit. Sie haben das Problem erkannt. Alle haben die nötigen Reformen eingeleitet.
Alle? Frankreich nicht.
Präsident François Hollande hat eben angekündigt, Frankreich werde handeln und den anderen Ländern folgen. Das war sehr wichtig.
Ist Frankreich dazu in der Lage?
Oh, ich werde aufmerksam beobachten, wie Frankreich das macht.
Wo sehen Sie das grösste Problem für Europa?
Es ist unmöglich, allein mit Dienstleistungen zu überleben. Europa muss zusätzlich Produkte herstellen, es braucht weiterhin eine starke Industrie. Leider wandert sie ab.
Wegen der hohen Löhne zieht die Industrie von Europa ab?
Viele Europäer sind dem Wettbewerb nicht mehr gewachsen. Sie erachten ihren Reichtum als naturgegeben, sind träge. Wir müssen hungriger sein. Die Chinesen sind hungrig, schuften Tag und Nacht. Nichts ist für sie naturgegeben.
Statt zu reagieren, schottet sich Europa ab, auch die Schweiz.
Europa braucht Zuwanderung, allein schon wegen der Demografie. Wenn Sie Ihre AHV dereinst erhalten wollen, geht das nicht ohne
Zuwanderung. Sonst fehlen die Zahler.
Wir brauchen die Zuwanderer wegen der AHV?
Nicht nur. Sie bringen neuen Ideen, sind neue Unternehmer. Australien geht es heute blendend, weil sie gut gebildete Personen aus Hongkong und China ins Land lassen. Junge, smarte Griechen ziehen nach Kanada. Das stärkt Kanada, schwächt Griechenland – und somit Europa.
Nach drei Generationen gehen Familienunternehmen oft pleite. Ihr Konglomerat ist seit fünf Generationen in den Händen der Wallenbergs. Wie geht das?
Uns Wallenbergs gehört nichts. Wir sind nur die Hausmeister des Vermögens. Die Firmen gehören einer Stiftung, für die wir arbeiten. Es ist uns nicht möglich, Geld rauszunehmen und auf Reisen zu gehen. So bleibt das Kapital erhalten.
Das reicht?
Zusätzlich braucht es die richtigen Personen, die das Geschäft führen. Derzeit beobachten wir, wer das in der sechsten Generation sein könnte. Ob es jemanden gibt, ist unklar.
Wie wählen Sie die neuen Hausmeister denn aus?
Das erfolgt immer anders. Meine Generation etwa hatte nur vier Personen, die in Frage kamen.
Sie alle müssen das Familienmotto befolgen «esse, non videri» – «sein, aber nicht gesehen werden». Warum so bescheiden?
Das Motto stammt von meinem Urgrossvater. Es steht für die protestantische, schwedische Kultur. Wir arbeiten hart, halten uns zurück.
Sind Mottos nicht überholt?
Ich gebe Ihnen jetzt ja ein Interview und rede auch sonst regelmässig mit Journalisten. In den Klatschspalten werden Sie aber nichts über mich oder meine Familie lesen.
Ist es hart, viel Geld zu haben und es nicht ausgeben zu können?
Überhaupt nicht, ich habe ja keinen Zugang zum Vermögen.
Man muss sich um Sie sorgen?
Mir geht es gut, ich verdiene gut, lege fürs Alter zur Seite. Verantwortung zu haben und etwas zu bewegen, bereitet mir aber weit mehr Freude als Geld.
Ihre Stiftung verwaltet Anlagen im Wert von zehn Milliarden Franken. Wie wählen Sie neu Firmen aus, damit es mehr wird?
Wir investieren langfristig. Unsere älteste Anlage ist 175 Jahre alt, die schwedische Bank SEB. Seit fünfzig Jahren sind wir bei ABB und ihrem Vorgänger ASEA dabei, seit 50 Jahren bei Ericsson. Wir kaufen, um zu halten, nicht um zu verkaufen.
Sie investieren vor allem in schwedische Firmen. Warum?
Alle unsere Firmen sind global tätig in 150 Ländern. Die Zentrale ist in Schweden. Damit sind die Risiken weltweit verteilt. Das Management aber ist schwedisch, und das kennen wir. Spanisches Management kennen wir nicht, das würde unsere Risiken erhöhen.
Bei Glücksumfragen stehen Skandinavier stets zuoberst. Warum sind Sie so zufrieden?
Weil wir eine wunderbare und starke Luftwaffe haben! Spass beiseite – viele Leute haben Jobs, unsere Gesellschaft nimmt jeden mit. Wir haben ein System, das funktioniert.
Sind Sie selbst glücklich?
Natürlich. Ich bin in Davos. Hier lerne ich neue Sachen, kann auf Ihre Fragen antworten. Es macht mir Spass zu diskutieren, deshalb komme ich hierher. Davos ist grossartig, Davos macht glücklich.