Die Kleinste ist die Mächtigste

Sie misst 1,60 Meter und hat eine kolossale Aufgabe: Janet Yellen muss den richtigen Moment finden, den Geldhahn zu schliessen.

Von Peter Hossli

yellenTritt Janet Yellen (67) ans Rednerpult, senkt sie jeweils zuerst das Mikrofon. Die zierliche Frau mit dem weissen Schopf misst bloss 1,60 Meter – und ist oft einen Kopf kürzer als ihre Vorredner.

Nun wird die kleine Yellen die mächtigste Person der Welt. In der Nacht auf Dienstag bestätigte sie der US-Senat als Präsidentin der US-Notenbank. Am 1. Februar löst sie Ben Bernanke (60) ab. Erstmals in ihrer hundertjährigen Geschichte leitet eine Frau die Federal Reserve Bank (Fed). Ab sofort kann ein einziger öffentlicher Satz von Yellen die Kurse an der Börse hoch treiben oder abstürzen lassen. Sie gebietet über die wichtigste Währung der Welt und eine Geldmenge von 10770 Milliarden US-Dollar. Fest legt sie, ob Geld billig oder teuer ist.

Nur ihr Gehalt entspricht nicht ihrer Macht. Yellen verdient 175000 Franken pro Jahr.

Eine grosse Aufgabe wartet auf die kurze Frau. Seit Beginn der Finanzkrise im Herbst 2008 läuft die amerikanische Notenpresse nonstop. Praktisch zinsfrei können sich US-Banken beim Fed Dollar leihen. Das günstige Geld stellen sie Firmen zur Verfügung, was die Wirtschaft weltweit vor dem Kollaps bewahrt hat. Doch es birgt die Gefahr steigender Preise.

Nun liegt es an Yellen, den richtigen Zeitpunkt zu finden, den Geldhahn zu schliessen. Hebt sie die Zinsen zu früh an, klemmt sie das Wachstum ab. Die Folge: Viele Amerikaner verlieren den Job, die Weltwirtschaft verliert die USA als Lokomotive. Wartet sie zu lange, pumpt sie zu viel Geld in die Wirtschaft, droht die Inflation.

Niedrige Arbeitslosigkeit sei ihr wichtiger als niedrige Inflation, sagt Yellen stets – und erntet oft Kritik der Konservativen.

Ihre Herkunft hat ihre ökonomische Sicht geprägt. Yellen kam in New York zur Welt, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihr Vater war Arzt, ihre Mutter Lehrerin. Sie fiel als kluges Kind auf, gab Philosophie als Hobby an, «damit ich Aufsätze schreiben kann, die keiner liest».

Mit 25 erwarb sie den Doktortitel in Ökonomie und unterrichtete an der Harvard University. Alan Greenspan (87) holte sie zum Fed. In der Fed-Kantine lernte sie ihren Mann kennen, den späteren Nobelpreisträger George A. Akerlof (73).

Sie beriet US-Präsident Bill Clinton (67) und galt als engste Vertraute ihres Vorgängers Bernanke. Der hörte nicht immer auf sie – und ignorierte 2005 ihre Warnung vor den Gefahren einer Immobilienblase.

Fortan muss Yellen auf keinen mehr hören.