Weniger arbeiten, mehr leisten!

Das beste Doping für Gestresste sind nicht Kaffee und Kuchen, sondern die lange Pause am Nachmittag. Ein Plädoyer fürs Entspannen.

Von Peter Hossli (Text) und Igor Kravarik (Illustration)

Bücher schreiben ist knüppelharte Arbeit. Zehn Stunden am Stück sass US-Autor Tony Schwartz am Schreibtisch, quälte sich, um so seine ersten drei Bücher zu verfassen. Jeweils ein Jahr benötigte er pro Buch, danach war er fix und fertig. Wochen lang tat er nichts mehr, seine Batterien waren leer.

Ganz anders ging er bei zwei weiteren Büchern vor. Er schrieb nie länger als viereinhalb Stunden täglich, stets in Abschnitten von 90 Minuten. Zwischendurch legte er längere Pausen ein, gönnte sich schon mal ein Nickerchen, joggte statt zu schreiben. Im gemütlichen Tempo schloss er jedes Buch in sechs Monaten ab. Entspannt trug er die Manuskripte zum Verleger.

Er zog eine Lehre daraus: «Es spielt keine Rolle, wie lange du arbeitest, sondern ob du deine Kräfte erneuern kannst», schrieb er unlängst in der «New York Times».

Eine Erkenntnis, die Schwartz beruflich nutzt. Nördlich von New York betreibt er die Beratungsfirma The Energy Project, zu seinen Kunden zählen Coca-Cola und Google, Gillette, die Biotechfirma Genentech und Mastercard. Auch Schweizer Firmen will er beraten, sagt er.

Was er lehrt, überrascht: Um mehr leisten zu können, müsse man weniger arbeiten, mehr Pausen einlegen, tagsüber schlafen, stets frühstücken und über Mittag nahrhaft und ausserhalb des Büros essen, immer alle Ferien nehmen.

Wer hingegen Mails im Bett liest, am Pult den fettigen Imbiss verschlingt, sich selbst im Urlaub ins System einloggt, der arbeitet zwar viel, leistet aber wenig. Um viel zu leisten, muss man weniger tun.

Arbeit bedarf Zeit und Energie. Beide sind endlich. «Energie lässt sich im Gegensatz zur Zeit aber erneuern», so Schwartz. Folglich entscheidet nicht die Anzahl Stunden, die einer werkt über die Leistungs-fähigkeit. Sondern wie gut er sich erholt. Ganz neu ist die Erkenntnis nicht. Bereits in den Fünfzigerjahren bemerkten Wissenschaftler: Höchstleistungen erbringen wir 90 Minuten am Stück, danach ermüden wir. Um neue Kraft zu tanken, schlürft mancher Bürolist einen Espresso, greift sich einen Schokoriegel, oder nimmt – schlimmer – einen Schluck aus dem Flachmann.

Unfug – und letztlich wirkungslos, sagt Schwartz. Besser als Koffein und Zucker wirken echte Pausen. Diesen Befund stützen Studien. So untersuchte die Florida State University die Leistungen von Spitzenkräften. Schauspieler und Grossmeister im Schach, Sportler und Musiker wachsen dann über sich hinaus, wenn sie nie mehr als dreimal 90 Minuten arbeiten und zwischendurch nichts tun. Ihr Tagessoll haben sie in maximal fünf Stunden erfüllt. «Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen einzelne Personen den Erschöpfungszustand verhindern», erklären die Forscher aus Florida. «Man soll nur so viel arbeiten, dass man sich in Tages- oder höchstens in Wochenfrist davon total erholen kann.»

Ist es nicht möglich, die Batterien aufzuladen, werden die Tage lang und die Nächte zur Qual. Unruhig schlafen ist Gift. Über 63 Milliarden Dollar verliere die US-Wirtschaft wegen schlafloser Angestellter, hat die Harvard University berechnet. An der Stanford University untersuchten Schlafforscher junge Basketball-Spieler. Je länger sie nachts träumten, desto besser trafen sie Freiwürfe.

Was Grossväter längst wissen, belegen Wissenschaftler der University of California. Ein Schläfchen am Mittag von 60 bis 90 Minuten stärkt das Erinnerungsvermögen ähnlich stark wie acht Stunden Schlaf in der Nacht. Fluglotsen sind aufmerksamer, wenn sie mehrmals 40 Minuten pausieren, davon 19 Minuten schlafen.

Erholung sei zentral. Deshalb rät Schwartz Firmen, das Personal öfter in die Ferien zu schicken. Um acht Prozent steigere jeder Ferientag die Leistung. Wer Ferien nimmt, bleibt einer Firma zudem länger treu. Wer sie aufspart, kündigt rascher.

Schwartz lebt vor, was er predigt, gewährt dem Personal doppelt so lange Ferien wie in den USA üblich. Im Büro können sie schlafen. Wer will, kann von zu Hause aus arbeiten. Feierabend ist um sechs. Niemand schickt am Abend oder am Wochenende Mails – der Chef würde sie ohnehin nicht lesen.