Viel konnte ich von meinem Vater nicht lernen

Wie Magdalena Martullo als Mutter einen Weltkonzern führt. Wann sie in die Politik einsteigt. Und warum Bauern der Industrie und zu viele Frauen dem Bundesrat schaden.

Interview: Peter Hossli und Claudia Gnehm Fotos: Sabine Wunderlin

martullo1Als sei es die normalste Sache der Welt, trägt Magdalena Martullo-Blocher (42) das Konzernergebnis der Ems-Chemie vor: mehr Umsatz, mehr Gewinn. Trotz Krise. Ja, den Rekord von 2011 dürfte sie 2012 nochmals übertreffen, sagt die Konzernchefin eher nebenbei.

Verdoppelt hat sich der Kurs der Ems-Aktie seit 2004. Damals löste sie Christoph Blocher an der Spitze der Chemiefirma ab. Was macht sie besser als ihr Vater? Dies die erste Frage im Interview. Sie lässt sie offen.

Okay, was hat sie von ihm gelernt? Sie will nicht einfach Tochter des berühmten Vaters sein, wie ihre Antwort zeigt. «Ich mache es so, wie ich es richtig finde, viel konnte ich von ihm gar nicht lernen.» Gerade mal drei Jahre habe sie an seiner Seite gearbeitet. «Er zog sich ja auf die Finanzen und die Steuern zurück, und ich habe das Geschäft ohne ihn geführt.»

Martullo jubelt nicht, trotz guter Zahlen. «Es ist ein ewiger Kampf», sagt sie. «Leider haben sich die Rahmenbedingungen für die Industrie in der Schweiz verschlechtert.» Den starken Franken bringt sie ein, den Atomausstieg. «Wir setzen nicht mehr auf eine sichere und günstige Stromversorgung.»

blocher2Nachteilig sei es überdies, weder mit den USA noch mit China ein Freihandelsabkommen zu haben.

Sie lobt deshalb Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann. Der warb letzte Woche in China für ein Freihandelsabkommen. «Es ist gut, wenn die Bundesräte über Europa hinausreisen», so Martullo.

Schweizer Bauern sperren sich ­dagegen, da sie chinesische Waren fürchten. Versteht sie das? «Noch ­besteht für die Bauern kein Risiko.» Und: «Die Schweizer Landwirtschaft ist hoch subventioniert, sie bringt der Schweiz unter dem Strich keine Wertschöpfung.» Die Bauern sollten der Industrie nicht im Wege stehen. «Um die Landwirtschaft zu finanzieren, braucht es eine blühende Exportwirtschaft.»

Freitagmorgen in Markdorf, einem deutschen Städtchen nahe dem Bodensee. Hier betreibt Ems ein Werk, das Roboteranlagen für die Autoindustrie baut. Stolz führt Martullo durch ihre Hallen.

Zu Hause in Meilen ZH ist derweil letzter Schultag vor den Ferien. Wer bringt die Kinder zur Schule, wenn die Mutter weg ist? «Sie gehen zu Fuss in die öffentliche Schule. Mein Mann schaut, dass sie rechtzeitig und parat das Haus verlassen.»

interview_bild_martulloEine Kinderfrau kocht das Mittagessen, ist zur Stelle, wenn Martullos Kleine heimkommen.

Blochers älteste Tochter war schwanger, als sie zur Chefin aufstieg. Das entspricht nicht dem SVP-Ideal der liebenden Mutter am Herd. «Ich bin nicht Mitglied der SVP», sagt sie. «Propagiert die SVP das wirklich? Es gibt viele engagierte SVP-Frauen, die nicht am Herd stehen.»

Dennoch – alltäglich ist eine Mutter von drei Kindern an der Spitze ­eines Weltkonzerns nicht. «Ich bin gut organisiert, mein Mann unterstützt mich», erklärt sie. Unter welchen Umständen würde sie den Chefposten aufgeben? «Tritt in der Familie ein extremer Fall ein, würde ich wirklich gebraucht, müsste ich mich umorganisieren.» Wirklich auf­hören? Das sagt sie nicht. Denn: «Irgendwie geht es immer.»

Sie lacht über die Frage, ob die Wirtschaft mit mehr Chefinnen besser wäre. «Schaue ich mir den einstigen Bundesrat mit Frauenmehrheit an, überzeugt mich das nicht.» Sie merkt: Was sie sagt, ist irgendwie brisant. «Jetzt haben Sie aber eine gute Schlagzeile herausgefischt.»

magdalena_martulloNichts hält sie von Frauenquoten. «Ich bin gegen jegliche Quoten, nicht nur gegen Frauenquoten», sagt sie. «Ich ziehe Freiheit vor.»

Sie setzt sich «hohe Ziele», fordert «sehr viel» von ihrem Personal. «Nicht nur weil ich Hauptaktionärin bin. Die Firma muss überleben, dafür braucht es hohe Margen und Innovation.» Findet sie genügend Fachkräfte? «Damit hatten wir nie Probleme.» Dann teilt sie die Meinung mancher SVP-Politiker, es brauche nicht mehr Deutsche? «Kommen Deutsche in einem Bereich gehäuft vor, findet keine Integration statt, dann ist das schlecht», sagt Martullo.

Wo passiert es? «Es gibt etwa immer mehr deutsche Presse­sprecher in der Schweiz. Viele fragen sich, warum Deutsche sie informieren und belehren.» Und sie warnt vor einer Bildungskluft. «Es kommen viele Akademiker aus dem Ausland und treffen auf Schweizer mit Lehrabschluss. Das Ungleich­gewicht birgt Sprengpotenzial.»

Sie tönt anders als ihr Vater, offener, spricht mehr von der Welt als von der Schweiz. «Es ist nicht mehr angebracht, dass wir Politiker haben, die kaum Englisch können. Die nie in die Welt gereist sind, bevor sie ein Amt antreten. Politiker müssen über Europa hinausschauen können.»

Die Politik reizt sie, das spürt man. «Ich kenne die Politik gut, damit bin ich aufgewachsen.»

martullo_podiumDann bewirbt sie sich bald selbst für ein Amt? «Nein. Aber wenn es ­nötig wäre und wenn ich die Zuversicht hätte, etwas positiv verändern zu können – vielleicht doch einmal», sagt sie. «Die Schweiz hat wichtige politische Probleme zu lösen. Schönwetterpolitiker reichen nicht mehr. Jetzt brauchen wir Leute mit Führungserfahrung. Leute, die etwas verstehen.»

Leute wie Martullo-Blocher? Solange ihr Vater aktiv sei, wohl nicht. «Zwei von uns gleichzeitig in der Politik, das geht nicht.»

Sie legt sich nicht fest und deutet doch an: Die Politik braucht sie. «Man kann sie nicht denen überlassen, die sie berufsmässig ausüben.» Heute hätten zu viele Berufspolitiker im Parlament «keinen Bezug mehr zum wirklichen Leben».

Gute Noten stellt sie dem neuen Präsidenten der Nationalbank aus. «Thomas Jordan macht stabile, verlässliche Währungspolitik. Wir wissen, woran wir sind.» Einen höheren Mindestkurs zum Euro findet sie nicht angebracht. «Das käme uns zu teuer.»

Man müsse ohnehin aufhören, ständig an den Euro zu denken. «Es gibt noch andere Währungen», sagt sie. «Der Euro wird weiter fallen. Klammern wir uns an ihn, fällt der Franken mit, asiatische und US-­Produkte werden teuer.» Will sie einen stärkeren Franken? «Irgendwann muss der Franken wieder frei sein.»

martullo3Von China schwärmt sie. Sagt, die USA seien besser als ihr Ruf. Besorgt ist sie um Westeuropa, glaubt nicht an einen Aufschwung, traut der Politik nicht zu, das Richtige zu tun – und trifft Vorkehrungen für den Notfall. «Wir suchen sichere Banken, um unser Geld aufzubewahren», sagt sie. «Einfach ist das nicht, weil viele Banken heute verhängt sind.» Sie bringe die Gewinne in die Schweiz. «Zu Banken, bei denen wir glauben, sie wären von einem Euro-Crash weniger betroffen.» Auch zu den Grossbanken? «Wir arbeiten mit ihnen, aber unser Geld depo­nieren wir nicht bei Grossbanken.»

Ohnehin drehe sich in der Schweiz zu vieles um die Banken. «Leider wird die grosse Bedeutung der Arbeitsplätze der Industrie dabei oft vergessen», sagt Martullo. «Die Industrie ist nun mal bedeutender als die Finanzbranche.»

Letztes Jahr betrug ihr Gehalt 1,093 Millionen Franken, dazu kommen heuer Dividenden von voraussichtlich rund 49 Millionen. Was bedeutet Geld für sie? «Ohne Geld kann sich ein Unternehmen nicht erfolgreich ent­wickeln – es wird ungemütlich, wenn man sich verändern, die Zukunft gestalten will.» Sie sei froh, sich nicht darum sorgen zu müssen, wie sie das Essen bezahle. «Viel gebe ich nicht aus», sie zeigt auf den olivegrünen Blazer. «Vor Auftritten muss ich jeweils eine Jacke suchen, in der ich nicht schon fotografiert wurde.»

Ihre Kinder wachsen wohlhabend auf, spielen im grossen Garten, wohnen im stattlichen Haus. Was macht die Mutter, damit sie nicht verzogen werden? «Sie bekommen nicht einfach alles und müssen daheim mithelfen.»

Ihr Sohn habe eben erst einen iPod erhalten, den er sich lange wünschte. Eine Belohnung, weil er bei einem Wettrennen Dritter geworden war.

Ein Blocher muss sich alles zuerst hart verdienen.