Das Pokerface von Facebook

Am Freitag gelangt das soziale Netzwerk Facebook an die Börse. Die Gründer und die Banken sahnen ab. Doch lohnt sich der Einstieg für die Kleinanleger?

Von Peter Hossli

zuckerbergAm nächsten Freitag, um 9.30 Uhr, drückt Mark Zuckerberg in New York auf einen roten Knopf. Er eröffnet den Handel an der Technologiebörse Nasdaq.

Zuckerberg verkauft jene Firma, die er vor acht Jahren im Studentenheim der Harvard University gegründet hat. An die Börse kommt Facebook, das weltumspannende soziale Netzwerk, auf dem sich fast eine Milliarde Menschen tummeln.

Rekord-IPO
Es wird ein Börsengang (IPO) der Superlative. Zuckerberg (wird morgen 28 Jahre alt) gehört dann mit einem Vermögen von nahezu 30 Milliarden Dollar zu den reichsten Menschen der Welt. Kein anderes Internet-IPO war grösser. Ein Drittel der 3200 Angestellten von Facebook wird zu Millionären, einige werden zu Milliardären.

Unter dem Tickersymbol FB gelangen 338 Millionen Aktien auf den Markt. Der Ausgabepreis steht am Donnerstagnacht fest. Er liegt zwischen 28 und 35 Dollar.

Damit dürfte Facebook ab Freitag gegen 100 Milliarden Dollar wert sein – das wäre weit mehr als der US-Autobauer Ford, der Nahrungsmittelriese Kraft Foods oder die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse zusammen. Konzerne, die seit Jahrzehnten existieren.

Werbetour durch die USA
Facebook mit Sitz in Menlo Park (Kalifornien, USA) beansprucht für sich die Zukunft. Das impft das Management derzeit potenziellen Anlegern ein. Am letzten Montag begann in New York offiziell die Werbetour vor dem Börsengang. Sie führt durch Amerika und gipfelt am Freitag im IPO.

Portfolio-Manager, Banker und Vertreter grosser Pensionskassen begaben sich ins Hotel Sheraton nahe des Times Squares in Manhattan. Eine Stunde verspätet trat Zuckerberg auf die Bühne, flankiert von Sheryl Sandberg, seiner wichtigsten Managerin, und Finanzchef David Ebersam. Sie sprachen kurz, zeigten Videos – und hinterliessen viele offene Fragen, berichtet die «Los Angeles Times». Von der Videowand pries Zuckerberg seine Welt. «Wir sind der Meinung, dass das Leben der Menschen besser wird, ja dass die ganze Welt besser funktioniert, wenn mehr Informationen und Erklärungen zugänglich sind.» Nur acht Fragen beantwortete der Firmengründer.

Zweifel
Seine Antworten nährten Zweifel. «Die Facebook-Aktie ist sehr teuer», sagte Bob Rice von Tangent Capital zum Fernsehsender Bloomberg. «Es ist unbegreiflich, eine Firma mit 80 oder 90 Milliarden Dollar zu bewerten, die ein paar Hundert Millionen Gewinn macht.»

972 Millionen Dollar Gewinn hat Facebook in den vergangenen 12 Monaten erzielt, bei einem Umsatz von vier Milliarden. Bei einem Börsenwert von 100 Milliarden hätte Facebook ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 100 – eine Zahl, bei der vernünftige Berater vom Aktienkauf abraten müssten. Hätte der iPad- und iPhone-Konzern Apple ein ähnliches Verhältnis, müsste dessen Börsenwert bei 5,6 Billionen Dollar liegen – zehn Mal höher als heute.

Börsianer himmeln Wachstum an, und sie verachten Sättigung. Zwar wächst Facebook noch, aber langsamer und nicht mehr überall. Das ist Gift in den Augen vieler Anleger.

901 Millionen Menschen haben bei Facebook ein Profil angelegt, 2,9 Millionen in der Schweiz. Im Herbst dürfte es eine volle Milliarde sein. Nur in China und Indien leben mehr Leute als sich auf Facebook tummeln. Mehr als 1,7 Milliarden werden es in nächster Zeit aber nicht.
Denn China sperrt den Dienst. In Südkorea, Brasilien, Indien und Japan ist lokale Konkurrenz stärker.

Pro Nutzer erzielt Facebook derzeit bloss 4,4 Dollar Umsatz – im Jahr. Es wird weniger. So fiel der Umsatz im ersten Quartal 2012 um sechs Prozent. Ein Jahr zuvor verzeichnete die Firma ein Plus von 45 Prozent.

Bevor Google im Jahr 2004 an die Börse ging, gab die Suchmaschine nur steile Wachstumszahlen bekannt. Yahoo, oft als Internet-Dinosaurier abgeschrieben, schreibt wachsende Gewinne. Nicht so Facebook. «Bevor ich die Aktie kaufe, will ich eine Wachstumsstrategie sehen», sagt Analyst James Gautrey. Derweil jagen sich Gerüchte zum IPO. Mal ist die Nachfrage nach der Aktie enorm, mal bescheiden.

Euphorie
Für Facebook sprechen atemberaubende Zahlen. Täglich loggen sich rund 530 Millionen Menschen ein. Jeder hat im Schnitt 140 Freunde. Unter­einander gibt es 125 Milliarden Verbindungen. «Riesiges Wachstumspotenzial» sieht Analyst Philip Pearson von GLG Technology Equity Fund. Er begründet es mit den Werbetarifen. Sie betragen erst ein Zehntel der TV-Werbung – obwohl sich bei Facebook weit gezielter werben lässt als im Fernsehen. Gleichen sich die Tarife an, «wächst Facebooks Umsatz dramatisch», so Pearson.

Rund 85 Prozent des Umsatzes erzielt die Firma mit Werbung. Kaum erschlossen ist Facebook als Laden. Das soll sich ändern. Zuckerberg will das Netzwerk zur geschlossenen Einheit entwickeln, auf der jeder alles erledigen kann – Waren kaufen, Aktien handeln, Reisen buchen, Filme schauen, Musik hören. Mit einer Milliarde Mitglieder könnte Facebook bald über die grösste Kundschaft der Welt verfügen. An jedem Geschäft erhält der Konzern eine Marge von 30 Prozent – ohne viel dafür zu tun, mit wenig Personal. Die Arbeit erledigen Computer. Persönliche Daten, die Facebook so wertvoll machen, tragen die Nutzer selber ein – gratis.

Die IPO-Banken
Elf Banken wickeln den Börsengang von Facebook ab, darunter Credit Suisse, Goldman Sachs, Morgan Stanley und JP Morgan Chase. Sie werden unter sich zwischen drei und fünf Prozent des Buchwertes als Kommission aufteilen. Üblich sind bis zu sieben Prozent. Auf den Preis drücken die Grösse des Börsengangs sowie die Vielzahl beteiligter Banken.

Aufgabe der Banken ist es, die Aktien möglichst treuen Aktionären anzupreisen. Zumal das Aktionariat entscheidet, ob der Börsengang ein Flop oder ein Erfolg wird. Verkaufen viele ihre Facebook-Aktien nach dem Börsenstart, fällt der Preis. Halten die Grossaktionäre das Papier, ist der Kurs stabil – oder steigt weiter an.

Bis Donnerstag nehmen die Banken noch Bestellungen für Facebook-Aktien entgegen. Ob das IPO über- oder unterzeichnet ist, bestimmt den Preis bei Handelseröffnung. Zuletzt gehen Banken und Management alle Bestellungen durch und weisen Aktien zu. Sie wählen langfristige Investoren, nicht Spekulanten. Wer den Zuschlag erhält, ersteht die zugewiesenen Aktien zum Ausgabepreis.

Die Facebook-Besitzer
Das Gesicht von Facebook bleibt Zuckerberg. Er hält 24 Prozent der Aktien und kontrolliert 57,3 Prozent der Stimmen. Damit entscheidet er alles, selbst Unverantwortliches. So veranlasste er den Kauf der Foto-App Instagram für eine Milliarde Dollar, obwohl deren Gewinn bei null liegt.

Von Facebooks Börsenwert gehören Zuckerberg rund 24 Milliarden. Auf Co-Gründer Eduardo Saverin (30) entfallen fünf Milliarden, auf den ehemaligen Napster-Gründer und früheren Investor Sean Parker vier Milliarden, der U2-Sänger Bono wird mit dem Börsengang um 1,5 Milliarden reicher. Frühe Investoren halten rund 26,5 Milliarden Dollar. Auf die 3200 Facebook-Angestellten verteilen sich 30 Milliarden Dollar. Für die Öffentlichkeit bleiben neun Milliarden.

Der Weg der Dinosaurier
Der Lauf der Dinge ist die grösste Gefahr für Facebook. Vor Facebook war Myspace das grösste soziale Netzwerk, jetzt ist es bedeutungslos. Ebenso AOL, der Superstar im Internet. Altavista war die wichtigste Suchmaschine, später abgelöst von Yahoo, dann von Google. Netscape erfand den Browser – den hat der Internet Explorer verdrängt.

Es gibt stets neue, rascher wachsende Internet-Firmen. Sie verdrängen die etablierten. Letztlich ist Facebook vom Aussterben bedroht.

Google-IPO
Das Facebook-IPO wird oft mit demjenigen von Google verglichen. Google stieg im August 2004 mit einem Ausgabepreis von 85 Dollar pro Aktie in den Handel. Innert drei Jahren schnellte der Preis auf 742 Dollar, stürzte in der Finanzkrise auf 400 Dollar und liegt nun bei 612 Dollar. Gleich nach dem Börsengang bewegte sich der Kurs während Tagen bei 90 Dollar. Kleinanleger hatten Zeit, zu einem attraktiven Preis einzusteigen. Wiederholt sich das bei Facebook, lohnt sich der Einstieg.

Für Kleinanleger
Facebook darf in der Schweiz nicht für den Börsengang vom kommenden Freitag werben. Dennoch haben Schweizer Kleinanleger zumindest eine theoretische Chance, am IPO teilzunehmen. Bis Donnerstag können Interessierte ihren Kundenberater beauftragen, bei einer der IPO-Banken eine Anzahl Aktien zum Preis zwischen 28 und 35 Dollar zu zeichnen. Da Facebook grössere amerikanische Investoren bevorzugen dürfte, sind die Aussichten auf den Zuschlag allerdings gering.