Die Uno und der Phantomstaat

Jahrelang zankten die Vereinten Nationen mit den Nachfolgestaaten Jugoslawiens wegen einer offenen Rechnung. Nun hat ein Schweizer Diplomat in New York den bizarren Streit geschlichtet.

Von Peter Hossli

guerber.jpgAm Morgen vor Weihnachten war es so weit. Im Konsens beschloss die Uno in New York, einem Land die Mitgliederbeiträge zu erlassen, das es seit 1992 nicht mehr gibt. 16 Millionen Dollar hatte das sozialistische Jugoslawien geschuldet. Nun bezahlen die fünf Nachfolgestaaten insgesamt 1,25 Millionen, der Rest verfällt. Als Vermittler zwischen den zankenden Parteien amtete der Schweizer Diplomat Thomas Gürber, 41 und Botschaftsrat an der Schweizer Uno-Mission in New York. Er überzeugte die Mitgliedsstaaten der Uno, Beitragszahler nicht doppelt zu belasten. «Da der Schweiz kein politisches Kalkül unterstellt wird, konnte ich alle Parteien einbinden», sagt Gürber.

Vorbei ist ein bizarrer Disput, der im April 1992 mit dem Zusammenbruch der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien anfing. Damals entstanden die fünf unabhängigen Staaten Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Slowenien, Mazedonien sowie die Bundesrepublik Jugoslawien, aus der später Serbien und Montenegro wurde. Die ersten vier traten 1992 und 1993 der Uno bei. Die Weltorganisation führte aber das sozialistische Jugoslawien weiterhin in ihren Büchern – zumal sich die Bundesrepublik Jugoslawien als deren Rechtsnachfolgerin sah.

Bis November 2000 – die Bundesrepublik Jugoslawien trat formell der Uno bei – stellte der Kassenwart der Uno deshalb einem Phantomstaat in Belgrad Rechnung. Von den neuen Staaten verlangte er ebenfalls Geld für den Betrieb und friedenserhaltende Truppen. Sie bezahlten rechtzeitig.

Offen blieb eine Schuld von 16 Millionen Dollar. Das ist zwar ein Klacks angesichts des jährlichen Budgets von rund zehn Milliarden Dollar oder den 103,2 Millionen Franken, welche die Schweiz 2009 der Uno überweisen wird. Verzichten wollten die Vereinten Nationen auf das jugoslawische Geld jedoch nicht – zu knapp sind sie meist bei Kasse. Die Beitragszahler Slowenien, Bosnien, Mazedonien, und Kroatien sahen jedoch nicht ein, warum sie zweifach entrichten sollten.

Ein erster Lösungsvorschlag brachte 2002 einen Vermittler des westafrikanischen Staates Ghana ein. Demnach sollten sich die fünf Balkan-Länder jenen Betrag aufteilen, der bis zum Ende von Titos Jugoslawien angefallen war. Nur: Es war unmöglich, sich auf ein Datum zu einigen. Zudem hatten die Uno-Buchhalter eine Restschuld von acht Millionen Dollar berechnet. Die fünf betroffen Staaten aber kamen auf einen Betrag von bloss 785’000 Dollar. Allzu glimpflich wollten überdies die USA und Grossbritannien den Widersacher Serbien und Montenegro nicht davon kommen lassen.

Gefragt war nun das diplomatische Geschick der Schweiz. Mitte Oktober nahm Diplomat Gürber Auftrag des Vorsitzenden des 5. Ausschusses der Uno-Generalversammlung in New York bilaterale Gespräche mit den betroffenen Delegationen auf. Er verhandelte einen für alle Parteien akzeptablen Rechnungsmodus aus. Plausibel stellte er dar, dass die Nachfolgestaaten juristisch nicht für die Hypothek des sozialistischen Jugoslawiens haftbar gemacht werden können. Mit einem Kniff beschwichtigte er die budgetpolitischen Hardliner. Da der Kassenwart falsche Rechnung gestellt habe, hätten alle anderen Mitglieder zwischen 1992 und 2000 weniger bezahlen müssen, argumentierte er. Werden die Schulden nun erlassen, bleibe ein fiskalisches Nullsummenspiel.

Schuldenfrei sind fünf Balkan-Staaten. Besonders wichtig scheint das für Slowenien zu sein. Dem Alpenland werden Ambitionen auf einen Sitz im Sicherheitsrat nachgesagt. Dank dem Deal entledigt sich die Uno zudem historischen Ballasts und stärkt ihre Beziehung zu den Nachfolgestaaten.

«Finanziell ging es zwar um wenig», sagt Gürber. «Die politischen und rechtlichen Dimensionen waren aber sehr heikel.» Wohl deshalb sei das Vermittlermandat einem Diplomaten aus einem Land übertragen worden, das in der Uno für «unparteiische, sachbezogene und lösungsorientierte Politik» bekannt sei.