Von Peter Hossli
Richter John Walter zeigte wenig Gnade. 275 Briefe waren bei ihm eingegangen, allesamt Gesuche, für Melvyn Weiss eine mildere Strafe auszusprechen. Walter blieb hart. 30 statt der beantragten 33 Monate schickte er den Staranwalt vorletzte Woche ins Zuchthaus. Dort wird Weiss in einem dreistöckigen Bett schlafen. Sieben Duschen und sechs Toiletten teilt er mit 77 Männern.
Eine harte Strafe für einen 73-Jährigen. Leichter fällt es ihm, die Busse von 10 Mio. Dollar zu bezahlen. Denn seine Kanzlei Milberg Weiss gilt als ertragreichster Anwaltskonzern. Weit über die Hälfte der grossen Sammelklagen liefen in den letzten 20 Jahren über ihre Pulte. Bei den lukrativen Aktionärsklagen hatte sie ein Quasimonopol. Weiss verdiente genug, um Mitte 90er-Jahre unentgeltlich Klagen gegen Schweizer Banken wegen der nachrichtenlosen Konten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs anzuzetteln.
Was lange niemand wusste: Weiss betrog das Rechtssystem jahrelang. Statt auf echte Betroffene zu warten, zahlte seine Kanzlei 11 Mio. Dollar an Personen, die sich für eine Klage einspannen liessen. Die illegale Praxis trieb den Umsatz der Vorzeigefirma in die Höhe, von 145 Mio. Dollar im Jahr 1997 auf 20 Mrd. im Jahr 2005. Dann flog der Trick auf.
Die Stars ruinierten die Branche
Nun geht die Kanzlei unter. Der ehemalige Partner und Komplize von Weiss, William Lerach, kassierte zwei Jahre Gefängnis. «Was Weiss und Lerach getan haben, ist schändlich», sagt Daniel Becnel, ein anerkannter Sammelklagen-Anwalt aus New Orleans. «Ausgerechnet die grössten Stars der Branche ruinieren unser Ansehen.» Es sei nur die «Spitze des Eisbergs», sagt Tiger Joyce, Präsident der Lobbyorganisation American Tort Reform Association. «Jetzt muss der Kongress die Anwälte untersuchen und dem Missbrauch einen Riegel schieben.»
Gesetzliche Barrieren kämen zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Die für Skrupellosigkeit berüchtigte Klage-Industrie ist ins Stottern geraten. Die Umsätze sinken. Von den jährlich rund 15 Mio. eingereichten Klagen akzeptieren Gerichte mittlerweile weniger als 5 Prozent. Grosse Schadenfälle wie Tabak oder Asbest sind weitgehend ausgereizt. Der Versuch, Schnellimbissketten wegen dick machender Hamburger anzugreifen, scheiterte.
Pharmafirmen können aufatmen
Schwierig geworden sind Sammelklagen besonders gegen Hersteller von Medikamenten. Anwälte der Pharmabranche überzeugen die Richter vermehrt, dass Pillen bei allen anders wirken. Deshalb müssen Klägeranwälte, die gegen Produzenten vermeintlich schadhafter Arzneien vorgehen, pro Patient einen Prozess führen. Billiger sowie ertragreicher wäre es, Tausende von Betroffenen in einer Sammelklasse zu vereinen. Beim Schmerzmittel Vioxx kam genau daher keine Sammelklage zustande. Erwarteten Analysten für den Vioxx-Hersteller Merck einen Schaden in zweistelliger Milliardenhöhe, dürfte er fünf Milliarden nicht übersteigen.
Präsident Bush hat durchgegriffen
«Es war noch nie so schwierig, eine Sammelklage einzureichen», sagt Anwalt Becnel, der bei Vioxx-Klagen eine führende Rolle spielt. Er weist die Schuld dem Präsidenten George W. Bush zu. Vehement ging der Republikaner gegen Klägeranwälte vor. «Bush hat Hunderte von Bundesrichtern eingesetzt, die Sammelklagen gegenüber feindlich gesinnt sind», sagt Becnel.
Vor zwei Jahren rang der nun inhaftierte Anwalt Lerach amerikanischen und europäischen Banken die Rekordsumme von 7,3 Mrd. Dollar ab für deren Rolle in der Enron-Pleite. Seither ist der Umsatz bei Aktionärsklagen eingebrochen. Um 60 Prozent sank 2007 die ausbezahlte Summe gegenüber 2006, belegt eine Studie des Think-Tanks Cornerstone. Gerade mal ein Vergleich erreichte über eine Milliarde Dollar. Wurden 2006 14 Vergleiche mit einer Summe von über 100 Mio. Dollar geschlossen, waren es 2007 nur 9 solch lukrative Fälle.
Die Zukunft sieht nicht rosiger aus. Einen «signifikanten Rückgang» bei der Schadensumme bei Aktionärsklagen erwartet Professor Joseph Grundfest von der Stanford Law School. «Es hat schlicht keine grossen Fälle in der Pipeline.»
Gleichwohl könnte der Trend drehen. Der Demokrat Barack Obama besitzt gute Chancen, im November ins Weisse Haus einzuziehen. Weiter ausbauen dürfte seine Partei die Kontrolle im Kongress. Demokraten, die ihre Wahlkämpfe oft mit fürstlichen Spenden von Klägeranwälten bezahlen, sind Juristen traditionell freundlich und Konzernen feindlich gesinnt.