An der Wall Street herrscht Jubelstimmung

Nie zuvor gab es in der New Yorker Finanzindustrie höhere Bonifikationen als 2006. Allerdings wachsen die Ausschüttungen an anderen Finanzplätzen derzeit stärker.

Von Peter Hossli

An New Yorks Westseite herrscht Hochbetrieb. Hier, am Hauptsitz von Manhattan Motorcars, gehen sie weg wie warme Semmel, die gelben Lamborghinis, die silbernen Porsches 911 und die stattlichen Edelkarossen von Bentley und Rolls Royce. Börsianer bescheren dem Luxusautohändler ein Rekordjahr.

Kein Wunder, sie erhalten die höchsten Boni in der Geschichte der Wall Street. Zwar rapportiert New Yorks Revisionsstelle die offiziellen Zahlen erst im Januar. Zwei private Studien gehen aber von einem Geldsegen für die Finanzindustrie aus, der sogar das Internetblasen-Jahr 2000 bei weitem übersteigt. Durchschnittlich zwischen 10 und 15 Prozent mehr als im Vorjahr kriegen Banker und Aktienhändler, berechneten die Beraterfirmen Options Group und Alan Johnson Associates. Total dürften es 24 Milliarden Dollar werden, sagt Eric Moskowitz von der Options Group. Damit nehmen die Boni in New York zum vierten Mal in Folge zu. Vor einem Jahr gab es 21,5 Milliarden Dollar, 2000 waren es 19,5 Milliarden.

Mit einem «markanten Anstieg bei Gewinn und Umsatz» begründet Moskowitz die höher ausfallende Bescherung. So steigt der Gewinn im amerikanischen Wertschriftenhandel um 45 Prozent auf rund 25,6 Milliarden Dollar. Nur im Jahr 2000 waren es mit 31,6 Milliarden mehr. Der Umsatz nahm um 34 Prozent zu. Zwischen 45 und 50 Prozent des Nettoumsatzes fliesst an der Wall Street den Angestellten zu. Die real höchsten Boni zahlen Goldman Sachs und Morgan Stanley, sagt Options-Group-Direktor Moskowitz. Am meisten kriegen Hedge-Fund-Manager sowie die Händler von Derivaten und strukturierten Finanzprodukten. Den grössten Sprung verzeichnen mit 20 bis 25 Prozent die Investmenbanker. Die Boni der Händler festverzinslicher Wertschriften stagniert. Gar weniger erhalten Währungs- und Energiehändler.

Die Bonus-Bandbreite ist gross. Laut Options Group kriegt ein Chef einer weltweit operierenden amerikanischen Investmentbank dieses Jahr 10 bis 12 Millionen Dollar. Ein Generaldirektor erhält zwischen 2,2 und 3,8 Millionen. Der Grundlohn beträgt rund 200’000 Dollar. Wer ein erstes Jahr an der Wall Street abgestrampelt hat, kriegt zwischen 130’000 und 150’000 Dollar. Am anderen Ende stehen Börsenhändler, die fünf oder zehn Prozent dessen kassieren, was sie für ihre Firma verdienen.

Erwirtschaftet jemand 500 Millionen Dollar, kriegt er 50 Millionen. Das ist deshalb möglich, weil Finanzhäuser nicht mehr nur das Geld ihrer Klientel verwalten, sie halten ihre Händler an, das Firmenkapital gewinnbringend anzulegen.

Nicht getrübt hätte der jüngst oft kritisierte Sarbanes-Oxley Act das Weihnachtsgeld, sagt Eric Moskowitz. Hingegen führe die Labilität vieler Hedge Fonds zu einer Rückwanderung zu traditionellen Investmentbanken. «Dort scheint der Bonus sicherer.»
Noch gibt es in New York weltweit die grössten Boni. Allerdings wachsen sie anderswo kräftiger, etwa in Europa mit einem Plus von 15 bis 20 Prozent oder in Asien mit 20 bis 25 Prozent mehr. Ein Trend, der anhalten dürfte. Zumal der Bedarf nach Finanzdienstleistungen in Lateinamerika, Osteuropa oder Asien weitaus rasanter ansteigt als in den USA.