Zwei Erzrivalen suchen nach neuen Höhenflügen

Der eine wurde einst entlassen, weil er Chef werden wollte. Der andere ging von sich aus, weil er nicht Chef wurde. Der neue Airbus-Chef Christian Streiff muss gleich als Troubleshooter agieren. James McNerney von Boeing hat einen klaren Vorsprungt.

Von Peter Hossli

Es war eine Reise der Hoffnung, die Christian Streiff im Juli ins englische Farnborough führte. Am Gipfeltreffen der Flugzeugindustrie stellte der neue Airbus-Chef den überarbeiteten Flieger A350 vor. Er fand Anklang; ein wichtiger Erfolg für Airbus, denn in jüngster Zeit hatten die Jets von Boeing bedeutend mehr Kunden gefunden.

«Sollte Airbus dieses Flugzeug produzieren, werden es viele Airlines kaufen», hiess es bei International Lease Finance, dem weltweit grössten Jet-Kunden. Boeing-Chef James McNerney nahms gelassen: «Ich fühle mich heute nicht weniger komfortabel als gestern.»

Die Aussage reflektiert die Marktsituation. Boeing hat im hart umkämpften Geschäft erstmals seit fünf Jahren wieder Oberhand. Bei den Amerikanern gingen in der ersten Hälfte 2006 viermal so viele Bestellungen ein wie bei Airbus. Sie kämpfen beim Riesenflieger A380 mit Produktionsproblemen und Mehrkosten. Zuvor enttäuschte die erste Version des A350 – die Überarbeitung dürfte 10 Milliarden Dollar kosten. Mitte Juni sackte der Aktienkurs der Airbus-Besitzerin EADS um 25 Prozent ab. Das Airbus-Führungsduo musste gehen.

Grossaktionär Daimler-Chrysler sowie die Regierung von Frankreich hoben mit Christian Streiff einen arbeitslosen Ingenieur an die Spitze. Statt den Chefposten beim Baustoffriesen Saint-Gobain anzutreten, wurde er entlassen und erlebt nun das Comeback als Problemlöser. Streiff muss gegen einen Konkurrenten antreten, der mit James McNerney einen erfahrenen und zielorientierten Manager an der Spitze hat. Der einst als General-Electric-Chef gehandelte Amerikaner übernahm vor einem Jahr den Chefsessel bei Boeing. Mit McNerney folgte bereits der dritte CEO innert dreier Jahre. Er traf einen wirtschaftlich genesenen Riesen an. Noch trüben Budgetkürzungen beim Pentagon die Aussichten im Rüstungsbereich. Ansonsten hat Boeing mit zwei neuen mittelgrossen Langstreckenjets auf die richtige Strategie gesetzt. Die Airlines wenden sich nämlich vermehrt vom Hubsystem ab und setzen auf direkte Flüge mit kleineren Flugzeugen.

«Die grösste Gefahr kommt vom eigenen Erfolg», sagte der Harvard-Absolvent in einem Antrittsinterview. Just änderte er den Namen des Firmensitzes in Chicago von World Headquarters zu Corporate Center. Welthauptsitz tönte ihm zu imperial.
Schauplatz des nächsten Schlagabtausches dürfte die Welthandelsorganisation werden. Airbus und Boeing werfen einander Wettbewerbsverzerrung durch staatliche Zuschüsse vor. Immerhin profitieren davon die Passagiere. Lange deutete alles auf ein Monopol von Boeing hin. Erst die stark subventionierte Gründung von Airbus im Jahre 1970 kreierte einen Markt. Laut Branchenkennern hat dies den durchschnittlichen Jet-Preis um 40 Prozent gesenkt.

Die Karrieren: Die späte Rache der Übergangenen
Romancier und Buchautor vs. gradliniger Karrierist

Bis zu seiner Entlassung im Jahr 2005 blieb der Franzose
Christian Streiff der Baustoffgruppe Saint-Gobain 26 Jahre treu. Anfang Juli übernahm Streiff, 51, den Chefposten bei Airbus. Der Elsässer ist ausgebildeter Ingenieur. In typisch französischer Manier übt er sich als Autor. Sein Wende-Roman «Kriegsspiel» erzählt von einem Glasfaserwerk im Osten des wiedervereinigten Deutschland. Die Passion gilt auch dem Theater.
James McNerney, 56, ging an der Yale University ans College und erwarb einen MBA in Harvard. Er begann bei Procter & Gamble und wechselte später zu McKinsey. Danach wirkte er 19 Jahre bei General Electric. Lange galt der fünffache Vater als designierter Nachfolger von GE-Legende Jack Welch. Als er übergangen wurde, übernahm er die Leitung bei 3M. Anfang Juli 2005 berief ihn der Boeing-VR zum neuen Chef.

Der Handelskrieg: Gegenseitige Klagen
Neue Flugzeuge dank staatlichen Finanzspritzen

Trifft sich die Welthandelsorganisation (WTO), geht es oft um Jets. Amerikaner werfen Europäern Subventionen bei Flugzeugen und in der Landwirtschaft vor. Die Europäer sagen dasselbe, mit umgekehrten Vorzeichen. Boeing klagte, Airbus habe dank staatlicher Unterstützung in den letzten zehn Jahren fünf neue Flugzeugtypen zu entwickeln, während Boeing nur Geld für zwei neue Typen hatte. Die Entwicklungskosten pro Jet betragen bis 12 Milliarden Dollar. Boeing beschuldigt Airbus, 17 Milliarden Dollar Subventionen erhalten zu haben. Die Europäer unterstellen, Boeing habe in den letzten 14 Jahren via Nasa und Pentagon Forschungsgelder über 23 Milliarden Dollar erhalten. Bei der WTO sind Klagen von beiden Seiten hängig.

Die Strategie: Keine Revolutionen in Sicht
Zerrüttete Beziehungen zu Regierungen und Kunden

McNerney hat bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr Kontinuität versprochen. «Es geht darum, unter der vorhandenen Strategie den Turbo zu zünden», sagte er. Die bereits starke Zivilluftfahrt will er stärken, den angeschlagenen Rüstungsbereich beleben. Insbesondere muss er die enorme Nachfrage für die noch nicht marktreife Boeing 787 befriedigen. Boeing will zudem die zerrüttete Beziehung zum wichtigsten Kunden, der US-Regierung, kitten. Intern will McNerney mehr Tätigkeiten outsourcen und Bestellungen schneller abwickeln.
Der eben erst angetretene Christian Streiff ist mehr gefordert. Er muss das belastete Grossflugzeug A380 endlich an die Fluggesellschaften bringen. Er will den neuen Lieferkalender bereits im September vorlegen. Ob dieser ankommt, dürfte zeigen, ob er das Vertrauen der Airlines wieder hat. Zudem muss er die Kosten für die Neugestaltung des A350 zügeln. Geht das nicht, will Streiff staatliche Zuschüsse.

Die Produkte: Traumhafte Aussichten
Riesenflieger vs. sparsamere Jets

In der ersten Hälfte 2006 vermeldete Boeing 480 Bestellungen, Airbus aber nur 117. Dies, obwohl Airbus seit 1995 fünf neue Modelle vorgestellt hatte. Boeing entwickelte zwei, dafür die richtigen. Die zweimotorigen Langstreckenflieger 787 und 777 sind sparsamer als der viermotorige A340. Entscheidend für den Erfolg des grossen Airbus A380 ist die Strategie der Airlines: Halten diese an ihren Riesenhubs fest oder setzen sie auf kleinere Jets und Direktflüge? Letztere will Streiff mit dem überholten A350 abdecken. Der mittelgrosse Langstreckenjet wird erst 2012 marktreif, während es die Boeing 787 bereits 2008 geben wird. Ein entscheidender Vorsprung in einem Markt, in dem in den nächsten 20 Jahren rund 6000 Flugzeuge abgesetzt und 1,2 Billionen Dollar umgesetzt werden.

Die Firmenkultur: Skandale und Babylon
Tollhaus vs. Multinationale Konfusion

Skandale bestimmen das Image von Boeing. Mauscheleien bei Rüstungsaufträgen kosteten Phil Condit 2003 den Chefposten. Zwei Boeing-Manager verbüssen
Gefängnisstrafen. Condits Nachfolger stolperte über Liebes- E-Mails an seine Sekretärin. Nun soll James McNerney das Tollhaus mit dem professionellen Gebaren von General Electric aufräumen. «Ich will ethisch korrektes Verhalten zu einem Wettbewerbsvorteil machen», sagt er. In nur einem Jahr erwarb er sich den Ruf des eher kalten, zielorientierten Managers. Die Pannen beim A380 sind typisch für die multinationale Konfusion bei Airbus. Weil die Ingenieure in Hamburg und Toulouse einander nicht über Änderungen informiert hatten, gab es Fehler – und Mehrkosten von fast 2,6 Milliarden Dollar. Die 55 000 Airbus-Angestellten sind in 16 Fabriken in vier europäischen Ländern tätig. Der polyglotte Streiff – er spricht Französisch, Englisch, Deutsch und Italienisch – soll den babylonischen Konzern fit trimmen.