Von Peter Hossli
Moralisten pflegen zu predigen, mit Geld könne man zwar Sex kaufen, Glück und Liebe seien aber anderweitig zu besorgen. Stimmt, pflichten nun die beiden Ökonomen David Blanchflower vom Dartmouth College und Andrew Oswald von der University of Warwick bei. «Geld kauft nicht mehr Sexpartner und nicht mehr Sex», sagt Blanchflower. Das hätte ihn bei seiner Studie «Money, Sex, and Happiness: An Empirical Study» am meisten überrascht.
Der Artikel ist Teil der Fragestellung, ob man menschliche Zufriedenheit wirtschaftlich beziffern kann, also in Dollars und Cents. Die beiden Ökonomen wollen einen Glücksindex erstellen, der Politikern bei der Gesetzgebung helfen soll. Es ist nämlich deren Pflicht, Amerika glücklich zu machen. In der 1776 verabschiedeten amerikanischen Unabhängigkeitserklärung wurde das «Streben nach Glückseligkeit» als eines der wenigen «unveräusserlichen Rechte» beschrieben. Das Resultat lässt sich sehen: 32 Prozent der Amerikaner bezeichnen sich als sehr glücklich, 56 Prozent sind ziemlich glücklich, 12 Prozent unglücklich.
Bisher haben sich vornehmlich Psychologen mit Glücksfragen befasst. Erstmals erstellten mit Blanchflower und Oswald nun Ökonomen eine Studie, in der 16 000 Amerikanerinnen und Amerikaner nach ihrer Sexualität, ihrem Einkommen und ihrer Zufriedenheit befragt wurden. Sämtliche Aussagen haben sie verglichen und quantifiziert. «Wir fragten die Leute, wie viel Geld sie haben und wie glücklich sie sind. Daraus ermitteln wir die Glückseligkeit in Dollar», erklärt Blanchflower den Ansatz.
Geld wie Sex, so ein zentraler Befund, machen glücklich. Allerdings besteht kein direkter Zusammenhang. «Geld steigert die Zufriedenheit», so Blanchflower, «aber nur bis zu einem gewissen Plateau.» Kann sich jemand von der Armut lösen, steigert sich seine Zufriedenheit rapide. Ist jemand reich und wird noch reicher, verändert sich der Glücksgrad kaum.
Wer mehr verdient, hat nicht automatisch mehr Sex
Anders ist es beim Sex, gemäss einer 2003 erschienenen Studie jene Aktivität, die bei Amerikanern den höchsten Grad an Zufriedenheit hervorbringt – was etwa den Boom der pharmazeutischen Potenzmittelchen wie Viagra oder Levitra erklärt. Der Weg von und zur Arbeit verbreitet am wenigsten Frohsinn (siehe Kasten).
Bei gleichem Einkommen sind jene Menschen am glücklichsten, die häufig Koitus haben, so Blanchflower und Oswald, wobei ihre Studie nur die Sexfrequenz, nicht aber die Qualität misst. Wem dieses Glück missgönnt ist, muss jährlich mindestens 50 000 Dollar zusätzlich verdienen, errechneten die Ökonomen. Ebenfalls einen Wert von 50 000 Dollar habe die Häufigkeitssteigerung von einmal im Monat auf einmal die Woche Sex.
Überraschenderweise haben die Forscher keinen Zusammenhang zwischen Einkommen und sexueller Fülle entdeckt. Wer mehr verdient, hat nicht automatisch mehr Sex. Klar, Reiche können sich bei Prostituierten verlustieren. Doch wer den Sex kauft, tendiert eher zu Trübsal. «Männer, die für Sex bezahlen, sind um einiges unglücklicher als andere», sagt Blanchflower.
Auch der Seitensprung bedrückt die Untreuen. «Jene, die Sex ausserhalb ihrer Ehe haben, erzielen auf der Glücksskala weit tiefere Werte», so Blanchflower. Hingegen sind jene besonders zufrieden, die das Bett stets mit derselben Person teilen. Zumal sie mehr Sex haben. Paare in festen Beziehungen – ob Ehe oder Konkubinat – kopulieren nämlich um 30 Prozent häufiger als Singles, Witwen oder Geschiedene. Das trifft für Homo- wie für Heterosexuelle zu. Damit zerschlagen Blanchflower und Oswald den von Film und Fernsehen zementierten «Sex and the City»-Mythos, wonach sexwillige Singles Amerikas Strassen säumen.
Vielweiberei – oder Vielmännerei – macht unglücklich. Allerdings ist die Anzahl der sexuellen Partner sehr wohl wichtig für die Glückseligkeit. Die magische Zahl – und das wird Konservative wie Kirchenhüter freuen – ist die Eins.
Das monogame Heil hat ein Preisschild. So muss eine allein stehende Person mindestens 100 000 Dollar im Jahr zusätzlich verdienen, um so glücklich zu sein wie treue Eheleute mit derselben Ausbildung und demselben Job. Gut die Hälfte der Ehepaare erhält dereinst eine happige Rechnung serviert. Wer sich scheiden lässt, muss nämlich nicht nur Alimente entrichten, er und sie verlieren auch das Äquivalent von 66 000 Dollar an Wohlbehagen. Eine Scheidung ist noch teurer als der Jobverlust. Ein Jahr Arbeitslosigkeit beschert einem Traurigkeit im Wert von 60 000 Dollar.
Amerikaner haben weniger Sex – und sind unglücklich
Reichen Leuten bringt Sex im Verhältnis mehr Zufriedenheit als Armen, so ein zentraler Befund der Studie. Wer ein grosses Vermögen hat und finanziell abgesichert ist, findet Entzückung also hauptsächlich im Bett. Arme streben hingegen zuerst nach Wohlhaben, erst dann nach Wollust.
Insgesamt sei Amerika in den letzten dreissig Jahren unglücklicher geworden, sagt Blanchflower: «Obwohl die Einkommen gestiegen sind, schrumpft die Zufriedenheit.» Wohl, weil die sexuelle Frequenz schwindet. Amerikaner haben zwei- bis dreimal monatlich Beischlaf. Wer über 40 ist, lebt oft ganz abstinent. 40 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer dieser Altersgruppe geben an, im vergangenen Jahr nie zum Liebesakt gekommen zu sein.
Während das Glücksgefühl der weissen Männer seit 1970 stabil geblieben ist, hat jenes der weissen Frauen rapide abgenommen. Diese Erkenntnis stützt andere, unlängst veröffentlichte Studien. Demnach zehrt die zunehmende Doppelbelastung von Beruf und Familie am Wohlbefinden der Frauen. Während sie verstärkt im Berufsleben stehen, halten sich die Männer bei der Hausarbeit weiterhin zurück. Allen gemein ist die abgeflaute Lust auf Sex.�