Superman in Turnschuhen

Ständig zu wenig Geld, Komplexe, Selbstzweifel: Comic-Autor Harvey Pekar erzählt Geschichten anhand seiner eigenen. Sein Leben kommt jetzt ins Kino. Ein Besuch in Cleveland, der abgetakelten Industriestadt, die er nie verlassen konnte.

Von Peter Hossli (Text) und Phil Long (Foto)

pekar.jpgAuf der Veranda vor dem roten Backsteinhaus steht das einzige bisschen Ordnung im Leben von Harvey Pekar – ein perfekt aufgeschichteter Holzhaufen. Eine Eingangstür dahinter führt ins grosse Durcheinander. Ein scheuer, gebückter Kauz bittet hinein. Dessen buschige Augenbrauen versperren beinahe den Blick auf das kahle, nur von einem schwarzen Haarkranz umgebene Haupt. Anstalten, dem Besucher einen Sitzplatz anzubieten, macht er nicht. Es hat keinen Platz.

Harvey Pekars Welt ist ein Chaos.

Nicht etwa Müll, allerhand Zeugs liegt in dessen Haus in einem Aussenquartier Clevelands. Magazine türmen sich auf Kleidern, die türmen sich auf losen Blättern, darunter liegen Blei- und Farbstifte. Im Spülbecken türmt sich ungewaschenes Geschirr. Hinzu kommen Tausende von Langspielplatten, CDs und Bücher.

Seit er ein Kind sei, raffe er alles zusammen, was ihn interessiere. «Ich habe eine Zwangsneurose», erklärt er es. Seine Stimme tönt zu hoch für einen Mann, und sie kratzt. Schweigt er, keucht er.

Pekar setzt sich auf die Kante des Bettes im Wohnzimmer, das tagsüber als Ablagefläche dient. «Wenn man den Film sieht, hat man das Gefühl, ich sei ordentlicher als ich in Wirklichkeit bin», sagt Pekar, der einst aus der Navy geworfen wurde, «weil ich das Bett nicht machen konnte und die Kleider nie sauber kriegte».

Der Film. Der Film hat verändert, wie die Aussenwelt Pekar wahrnimmt. «American Splendor», ab nächster Woche in Schweizer Kinos zu sehen, gilt als einer der innovativsten und ungewöhnlichsten US-Filme der letzten Jahre. Zu Recht. Er ist zugleich Spiel-, Dokumentar- wie Animationsfilm, erzählt die Lebensgeschichte eines Menschen, dessen Leben nicht von durchschlagender Aufregung sondern banaler Normalität geprägt ist.

Es ist das Leben von Harvey Pekar, der 35 Jahre lang im Veteranenspital von Cleveland die Akten der Patienten geordnet hatte, mit enormem Minderwertigkeitskomplex und endlosem Selbstzweifel versehen ist, dreimal heiratete, zweimal den Krebs besiegte, ständig zu wenig Geld hat – und all das seit bald dreissig Jahren in düsteren und wirklichkeitsnahen Comics erzählt, als Autor, nicht als Zeichner.

Er schildert «das alltägliche Leben, das ziemlich komplexes Zeug» sei, sagt er. Insbesondere in Cleveland, eine graue, freudlose Industriestadt im abgetakelten Rostgürtel Amerikas. Die einstige Boom- und heutige Gloomstadt bietet Autor Pekar, was New York für Filmer Woody Allen ist: eine Leinwand des ganze Lebens.

Während Allen meist verherrlicht, ist Pekar stets knallhart realistisch. «Nichts Magisches» habe Cleveland. «Es ist eine Stadt, die total auseinanderfällt.» Alle gingen weg, «weil dich hier nichts hält». Wie überall in Amerika würden die Leute «dumme, bedeutungslose Jobs erledigen und dafür miserabel entlöhnt» werden. Über sie schreibt er – und über sich. Denn Pekar weiss: er ist einer von ihnen.

Er trägt bauchige Jeans, die ihm fast von den Hüften fallen und am Saum aufgerissen sind, darunter lugen schwarze Stoffturnschuhe hervor. Den geknickten Rumpf verhüllt er in einem alten T-Shirt. Er ist schlanker als der Film suggeriert, ernster, weniger der ungepflegte Freak, eher ein neugieriger Intellektueller mit scharfem Geist und unterkühltem rauen Humor. Nicht der neurotische Woody Allen, der rotzige Lenny Bruce blitzt auf.

Wie Bruce und Allen prägt ihn das Jüdischsein, sagt er. Er passt nirgends rein, war stets der Aussenseiter, der einzige jüdische Junge im protestantisch Quartier Clevelands, als die Weissen gingen, der einzige Jude unter Schwarzen. Er isst schnell, redet schnell, denkt schnell, redet stets vom Geld, von dem er zu wenig habe – und das er höchst ungern ausgibt.

«Ja, ich bin ziemlich cheap», gibt er zu. Er isst dort, wo es billig ist. Wenn er auf Werbetour für den Film in Luxushotels absteigt, sucht er zuerst den nächsten Waschsalon, um die wenigen Kleider zu waschen, die er besitzt. Hotels verlangten dafür viel zu viel. «Ich bin ein polnischer Jude. In Polen sind alle knauserig.»

Seine Mutter kam 1921 in die USA, ging 1935 zurück nach Polen, um einen Gatten zu finden. «Sie fand in Amerika keinen Mann, der ihr klein genug war», sagt Pekar. Die Eltern führten einen Früchteladen. «Meine Vater war religiös und meine Mutter wahnsinnig.» Dauernd sorgte sie sich um Harvey und unterdrückte so dessen Talente. Er sei kein schlechter Athlet gewesen, hätte auch genug gute Noten gehabt, um ans College zu gehen. Doch die Mutter fürchtete, er würde sowieso scheitern. Sie stoppte ihn. «Wegen ihr krieg ich nichts gebacken.»

Endlos zieht er durch Cleveland, über löcherige Strassen, entlang zerfallener Häuser und Fabriken mit zugenagelten Fenstern. Mehr als halbiert hat sich die Bevölkerung seit den fünfziger Jahren, von einer Million auf 470000. Nur noch die Schloten eines einziges Stahlwerks rauchen. Pekar kennt die Anekdoten und Geschichten zu jeder Ecke. Schwarze hätten aus Wut zweimal dieses Quartier abgebrannt, erzählt er an einer Kreuzung mit etlichen verkohlten Häusern. Einst hätte der Fluss gebrannt, sagt er, «der war verdreckt mit Rohöl und Chemikalien».

Damals, in den sechziger Jahren, sei in Cleveland noch etwas los gewesen. Heute sei die Innenstadt «tot», das Baseballteam «peinlich», die Stadtkasse «leer».

Touristen sollten «einen weiten Bogen» um die Stadt machen. Klar, das offizielle Cleveland hört das ungern. Jüngst bezichtigte die Bürgermeisterin ihn als Nestbeschmutzer. Pekar wehrt sich. «Es gibt einfach nichts Positives zu sagen.» Auf dem Gehsteig begrüssen ihn ein paar Studenten, was er geniesst, «ist allemal besser, als ignoriert zu werden». Endlich strahlen die für seinen Kopf etwas gross geratenen braunen Augen. Das Gesicht strahlt viel Wärme und Offenheit aus.

Harvey Pekar ist ein gnadenlos ehrlicher Mensch, einer, bei dem kleinstädtisch nicht mit provinziell sondern aufrichtig zu übersetzen ist. Nichts ist falsch, nichts zynisch, nichts hintertrieben. So hätte er Cleveland nie verlassen, «weil ich nichts kann, was anderswo gefragt ist.»

Keinerlei mechanische Fähigkeit beherrsche er. «Ich kann nur Autofahren, und nicht einmal das sehr gut.» Alle Texte, auch die Jazz- und Literaturkritiken, die er nebenbei schreibt, verfasst er von Hand. Der Computer überfordert ihn. «Es gelingt mir einfach nichts.» Wenn er das sagt, ist er kein Komiker, der über sich witzelt, sondern jene noble Figur, über die er seit den siebziger Jahren schreibt.

Es ist ein Mann ohne besondere Eigenschaften, der wie Millionen anderer mit den Tücken des Alltags zu kämpfen hat – mit der Arbeiten, der Liebe, dem Broterwerb, der persönlichen Hygiene –, und der sich nie versteckt. Pekar legt alles offen. «Ich habe nichts zu verbergen», sagt er, «muss mich für nichts schämen, ich habe ja nie jemanden umgebracht.»

Er steht zum «riesigen Minderwertigkeitskomplex», der ihm bei «den Frauen» oft im Weg stand. «Zuerst dachte ich, ich sei für keine Frau attraktiv genug.» Dann habe er gemerkt, dass Frauen einen Mann suchen, der ebenso gut oder besser für sie schaut wie ihr Vater. «Da bin ich eine lausige Parte, was ich kann, taugt wenig auf dem Heiratsmarkt.» Deshalb liess er sich frühzeitig unterbinden, und weil «Kinder einfach zu nervig sind, ich will ein einfaches Leben, ich ertrage die Aufregung nicht, ich kann mich kaum um mich kümmern, was soll ich da mit Kinder tun?»

Freunde habe er wenige. «Meine Frau mag sie allesamt nicht. Sie lässt sie nicht ins Haus.» Einen finde sie falsch, den anderen halte sie für einen Chauvinisten, den dritten für einen Hochstapler. «Das wird nur in der Schweiz gedruckt, oder?»

Auf dem Bett liegen zwei lose, vorne und hinten beschriebene Blätter, auf denen er seinen neusten Comic schildert. Er hat Strichmännchen in die Quadrate gekritzelt und Sprechblasen hinzu gestellt.

Es ist ein Drama aus seinem Alltag. Vor ein paar Wochen hätte er auf einem Flughafen von einem Chauffeur abgeholt werden sollen. Der Fahrer war nicht da. Er wartete stundenlang, war wütend, auf den Chauffeur, auf die Leute, die ihn eingeladen hatten, auf die Welt. Dann erfuhr er, dass der Chauffeur sein Auto nicht verlassen durfte, und dass auch er wütend war, auf Pekar, weil der ihn nicht anrief. Als sie sich endlich trafen, begrüssten sie sich mürrisch, ablehnend. Auf der Fahrt lernten sie sich kennen – und sehr mögen.

«Das Leben ist ein ständiger Überlebenskampf», sagt Pekar. Er war der erste, der genau das in Comics festhielt und gilt daher als Erfinder des naturalistischen Comics. Pekar sieht sich als Erbe Balzacs und Zolas, nicht Supermans. Die grelle Fantasy- ersetzte er durch die düstere Alltagswelt. Während er in der US-Comic-Welt um Anerkennung ringt, feiern ihn Amerikas Intellektuelle als Comic-Autor mit höchsten literarischen Ansprüchen.

Comics statt Romane schreibe er, «weil das meinen beschränkten Fähigkeiten am ehesten entspricht». Ermutigt hatte ihn Underground-Zeichner Robert Crumb, der viele dessen Geschichten illustriert. Augenzwinkernd taufte Pekar seine Serie «American Splendor», in Anlehnung an die patriotischen Comics der vierziger Jahre. Es bedeutet amerikanischer Prunk. Doch prunkvoll ist weder an ihm noch seinen Geschichten irgendwas.

«In den meisten Comics fliegen die Typen, bei mir gehen sie zu Fuss», sagt er und senkt es, wie alles Positive, sofort auf seine viel ödere Wirklichkeit. «Weil sie gehen und nicht fliegen, mache ich damit kaum Geld.» Nie hätte er mit Comics mehr als 3000 Dollar verdient, pro Jahr.

Nun hofft Pekar, der Film wecke das Interesse an ihm und treibe den Verkauf der Comics an. Allein deshalb habe er zugestimmt, sein Leben verfilmen zu lassen. Sonst sei im der Film egal. «Schon», sagt er, das Regieduo Shari Springer Berman und Robert Pulcini hätte «ordentlich gearbeitet». Über den Schauspieler, der ihn verkörpert, sagt er nur, dessen Vater sei Präsident der Yale University gewesen.

«Hey, ich brauchte das Geld.» Der 64-Jährige ist pensioniert, die Rente reicht nicht aus. Seine 16-Jährige Adoptivtochter will studieren. Die Frau arbeitet nicht. Nervös sitze er herum und bange, ob es wenigstens jetzt klappt. «Bald zeigt sich, ob es besser oder noch schlechter wird.»

Demnächst publiziert er vier Bücher mit Comics aus den neunziger Jahren. «Bestenfalls verkaufe ich sie, dann muss ich mich nicht mehr sorgen, im schlechtesten Fall vergisst man mich wieder, war die ganze Aufregung umsonst gewesen.»

HBO, die Produktionsfirma des Films in New York, bezahlte ihn für die Rechte eher bescheiden. Am Filmerfolg ist er nicht beteiligt. Es ist wie eine Geschichte aus einem Pekar-Comic: Der aufrichtige Kleinstädter liess sich von den abgebrühten Grossstädtern über den Tisch ziehen.�