Ein Prinz im Schatten des Königs

Der Sesselwechsel beim weltweit grössten Finanzhaus, Citigroup, sorgt für Irritationen: Wer hat wirklich das Sagen? Der neue Chef der Citigroup, der Jurist Charles Prince, soll das angekratzte Image der Bank aufpolieren. Das weltweit grösste Finanzhaus dürfte aber auch inskünftig durch Zukäufe wachsen. Zumal der Architekt der Bank, der abtretende CEO Sanford Weill, weiterhin im Hintergrund wirkt.

Von Peter Hossli

Wenn Charles Prince Urlaub macht, lenkt er ein schnelles Rennboot übers Meer. Nun geht der 53-Jährige seine grösste berufliche Herausforderung an. Der Hobbykapitän und bisherige Chefberater innerhalb des Konzerns ersetzt seinen Ziehvater. Ab nächstem Jahr amtet Prince als CEO. Der bisherige starke Mann und Architekt der Bank, Sanford «Sandy» Weill, 70, zieht sich auf den Posten des Chairman zurück. Er soll erst 2006 endgültig abtreten.

Die Wallstreet reagierte irritiert, als der Wechsel Mitte Juli bekannt gegeben wurde. Obwohl die Citigroup Tage zuvor mit 4,3 Milliarden Dollar den höchsten Quartalsgewinn der Geschichte vermeldet und das lukrative Kreditkartengeschäft von Sears übernommen hatte, sackte die Aktie am Tag des Sesselrückens um drei Prozent ab. Dem Markt missfiel, dass der «König der Wallstreet», wie Weill bewundernd und ehrfürchtig genannt wird, seinen Nachfolger selber bestimmte und dass er trotz ramponiertem Image vorderhand an Bord bleibt. Prince sei ein Anwalt, kein Bankier. Dessen Wahl, so Analysten, reflektiere die juristischen Knacknüsse der Bank und keine unternehmerische Vision.

Dem stimmt John Coffee, Professor für Unternehmensrecht an der Columbia University, zu: «Normalerweise wählen Bankiers andere Bankiers, um solche Institute zu leiten. Anwälte kommen nur zum Zug, wenn eine Firma rechtliche Probleme hat.»

Tatsächlich lastet eine ganze Anzahl von Klagen auf der Citigroup. Missmutige Investoren wollen die Bank wegen ihrer Verluste zur Rechenschaft ziehen. Seit die Blase geplatzt ist und aufgedonnerte Kauftipps den Ruf der Bank geschädigt haben, ist Weill Ballast.

15 Sekunden Bedenkzeit – dann war Prince neuer Chef

Prince, medienscheu und selten im Rampenlicht, soll das angekratzte Ansehen wiederherstellen. Jüngst hatte er bei den Verhandlungen mit New Yorks Staatsanwalt Eliot Spitzer eine hervorragende Rolle gespielt. Zehn Banken wurden beschuldigt, Anleger in die Irre geführt zu haben. Spitzer untersuchte strafrechtlich. Im Frühling erklärten sich die Firmen bereit, in einem Vergleich 1,4 Milliarden Dollar zu zahlen. Die Citigroup entrichtete mit 400 Millionen den höchsten Betrag. Ohne Prince wäre die Zahlung weit höher ausgefallen.

Das bestätigt, indirekt, auch Staatsanwalt Eliot Spitzer. Er bezeichnete die Berufung von Prince als «spektakuläre Wahl». Seit den Verhandlungen über den Vergleich respektiere er Prince sehr und schätze «seinen Intellekt und dessen Integrität».

Prince wuchs in Los Angeles auf, in der Nähe von Disneyland. Vielleicht träumte er deshalb anfänglich von einer Karriere im Showgeschäft. Er versuchte sich als Musiker und Songwriter. Seine Band, The Righteous Brothers, kam nicht vom Fleck, also studierte er Recht. Nach Studienabschluss ging er zum Stahlriesen US Steel. 1979 wechselte er zu Commercial Credit – wo er sieben Jahre später auf seine Nemesis traf: Sanford Weill.

Ein aufrichtiger Adlat im Hintergrund, der dem aggressiven Dealmaker Weill Probleme aus dem Weg räumt – das brachte Prince den Ruf als Troubleshooter schlechthin. Während Weill skrupellose Gier nachgesagt wird, soll sich Prince ganz dem Recht verschrieben haben. Die Stabsübergabe war typisch für ihre Beziehung. Amerika ruhte und feierte sich mit Feuerwerken und Hotdogs, als Sanford Weill am 4. Juli, dem Nationalfeiertag, seinen Freund und Berater zu sich bestellte. Ohne die genauen Gründe zu wissen, bestieg Prince anderntags einen Privatjet und flog in die Adirondacks, ein Gebirge, wo Weill gerade im Urlaub weilte.

«Chuck», soll Weill kurz nach der Landung gesagt haben, «du wirst mein Nachfolger. Nimmst du an?» Fünfzehn Sekunden habe Prince überlegt und dann zugesagt. Das Jawort bescherte ihm 14 Millionen Dollar in Citi-Aktien. Weill, der gemäss «Business Week» in der «modernen Geschichte der Wallstreet am meisten Macht in sich bündelt», geht oft mit Prince spazieren. Jüngst lud er ihn und dessen Verlobte auf seine Jacht im Mittelmeer ein. Der meist schlanke und braun gebrannte Weill ermutigte den korpulenten und bleichen Prince gar zu gemeinsamen Abmagerungskuren.

Erstmals hatten sie sich getroffen, als Weill New York nach einem beruflichen Tiefschlag verliess. Mitte der Achtzigerjahre hatte American Express seine Firma gekauft und ihn umgehend entmachtet. Weill ging nach Baltimore, um in der Provinz von vorne anzufangen. Dort kaufte er den bescheidenen Kreditgeber Commercial Credit. Prince war damals der Rechtsberater der lokalen Bank und setzte die Verträge auf. Dann kaufte Weill eine angeschlagene Firma nach der anderen auf und verschmolz sie schliesslich zur Travelers Group.

Es war Weills unstillbarer Hunger nach Wachstum, gepaart mit Prince’ feinem Sinn für rechtliche Details, die als Kombination zum Erfolg führten. Das Meisterstück von Prince kam 1998, als Weill Travelers und Citicorp zum Finanzkoloss Citigroup zusammenführte. Nie zuvor war eine kommerzielle Bank mit einer Brokerfirma fusioniert worden. Der US-Kongress musste dafür zuerst die 1933 verabschiedete Glass-Steagall Act ausser Kraft setzen. Ein Gesetz, das genau das unterbunden hatte. Charles Prince hatte die Gesetzgeber persönlich davon überzeugt, dass Kunden, Aktionäre und das Personal von einer solchen Lösung allesamt profitieren würden.

So entstand eine Bank, die in fast jedem Sektor führend ist und von der Konkurrenz bewundert wird. Prince soll den Wachstumskurs weiterführen. Bereits hat sein Finanzchef angekündigt, die Bank schaue sich im Private Banking, Asset Management und vor allem beim in den USA lukrativen Regionalbankengeschäft nach neuen Objekten um. Spekuliert wird, ob die Fleet Boston Financial Corp oder die Texas Commerce Bank von der Citigroup aufgekauft werden könnten.