Von Peter Hossli
Okay, 50 Millionen Dollar für ein paar in die Jahre geratene Häuser mit Umschwung scheinen etwas übertrieben. Der Swimmingpool fehlt. Das Meer ist anderenorts wärmer, der Sand weisser und das Wetter weniger neblig. Bloss ein muffiger Zug ruckelt im Schneckentempo dorthin, wahlweise eine viel zu schmale und ausserdem permanent verstopfte Strasse.
Doch ein Hauch von jüngerer Kunstgeschichte umweht das Anwesen und treibt den Preis in atemberaubende Höhen: Seit Anfang Juli steht in Montauk auf Long Island das ehemalige Sommerhaus des Pop- artisten Andy Warhol zum Verkauf. Vor dreissig Jahren ergatterte der Künstler mit der platinblonden Perücke zusammen mit Regisseur Paul Morrissey das riesige Anwesen für einen lächerlichen Schnäppchenpreis: ein Siebenzimmerhaus, dazu vier kleine Häuser für das Personal, ein Gestüt für Rösser sowie eine Garage mit Platz für drei Autos für ganze 225000 Dollar.
Besonders wertvoll: Das Haus thront isoliert auf einer Klippe, weit ausserhalb der Blickweite aufdringlicher Paparazzi. Weit und breit kein einziger Nachbar. Ganz zur Freude vieler Berühmtheiten, etwa Rolling Stone Mick Jagger, Herzogin Sarah Ferguson oder der verstorbenen Ex-First-Lady Jacqueline Onassis, die das Gut während des Sommers mieteten, um der Schwüle New Yorks zu entkommen.
Morrissey war in Warhols Factory, der sagenumwobenen Künstlerkommune, zuständig für die Filmprojekte. Warhol zahlte, Morrissey drehte abgründige Experimente, etwa die Trilogie «Flesh», «Trash» und «Heat». Zu Beginn der Siebziger fand der Regisseur am Ostende von Long Island besagtes Latifundium. Sie hiess Eothen, griechisch für ostwärts, die Himmelsrichtung, in der sämtliche Bauten angelegt sind. 1931 hatte ein Backpulverbaron entlang der 200 Meter Küstenlinie die Haupt- und Nebenhäuser im Neokolonialstil errichten lassen.
Erneut arbeitete das bizarre Künstlergespann gut zusammen. Warhol schoss das nötige Kapital ein. Morrissey verwaltete das Domizil. Könnten die Eothen-Wände heute sprechen, hätten sie sicher Aufregendes zu erzählen. Nicht nur die Gang von Warhols Lieblingsklub, «Studio 54», war oft zu Besuch. Auch Diva Elizabeth Taylor oder Schriftsteller Truman Capote feierten hier fröhliche Feste.
Warhol selbst war jedoch selten zu Gast. Der Albino mied den Strand und die Sonne. Ferien gönnte er sich nie. Eothen betrachtete er eher als lukrative Investition denn als Sommerresidenz. Noch zu Lebzeiten vermachte er sechs der insgesamt vierzig Hektaren Sumpfland einer lokale Naturschutzgruppe. Seit Warhols Tod im Februar 1987 fungiert Morrissey, mittlerweile 63, als alleiniger Besitzer eines der schönsten Anwesen der Hamptons.
Allerdings würde Warhol die Hamptons, die Region um Montauk, heute kaum noch wieder erkennen. Sie sind zur Côte d’Azur vor New York geworden. Ein aufgedonnertes Tummelfeld der Superreichen, drei Autostunden von der Stadt entfernt. «E. T.»-Regisseur Steven Spielberg oder Komiker Jerry Seinfeld haben Unsummen für Landsitze bezahlt, ebenso Rocker Billy Joel oder Schauspielerin Kim Basinger.
Angemessene Immobilien sind knapp geworden – ein idealer Zeitpunkt für Morrissey, um den Warhol-Sitz teuer zu veräussern. Überdies, erkannte der Hausherr, erspart er seinen Nachkommen den Gang zum Fiskus. Die Erbschaftssteuer für Immobilien ist in den USA äusserst hoch.
Angeblich haben sich bereits erste Interessenten gemeldet. Doch die amerikanische Wirtschaft schwächelt. Die Börsen beben. Die Kauflust lahmt. Und selbst in New York brechen derzeit die Immobilien-Preise ein. So scheint Morrisseys Aussicht nicht mehr so rosig, den erträumten Rekordpreis von 50 Millionen Dollar, umgerechnet fast 86 Millionen Franken, tatsächlich zu erzielen.