Schweizer Schoggiregie in Hollywood

20 Jahre lang fabrizierte der Luzerner Walter Bienz in England Schweizer Schokolade. Jetzt hat ihn Hollywood als Berater entdeckt.

Von Peter Hossli

Die Wahrheit des Kinos liegt im Abspann. Nicht bloss Regisseurin und Stars, auch hunderte Techniker und spezialisierte Berufsleute sind verantwortlich dafür, was auf der Leinwand leuchtete. Zum Beispiel Walter Bienz, 69, in London lebender Zuckerbäcker aus dem Kanton Luzern.

Den Titel des «Chocolate Expert», des Schokoladenexperten, trägt Bienz im Nachspann der englisch-amerikanischen Genuss- und Verdrussfabel «Chocolat». Sämtliche Schleckwaren des für vier Oscars nominierten Films habe er eigenhändig gefertigt, erzählt der pensionierte Bäckermeister im Gespräch. Überdies lehrte er die französische Hauptdarstellerin Juliette Binoche die hohe Kunst der Schokoladenherstellung. Binoche verkörpert in «Chocolat» eine allein erziehende Mutter und Chocolatrice mit mystischen Kräften. Deren Schoggi verzückt und belebt eine verkrampfte und rückwärts gewandte Kleinstadt in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg. «Sie war eine hervorragende Schülerin», sagt Bienz über Binoche. «Nicht nur schön anzuschauen, sondern enorm clever und gelehrig.» Nach bloss zwei Tagen Schulung sei sie in der Lage gewesen, einfache Pralinen zu fertigen.

Der Film des Schweden Lasse Hallström läuft Mitte März in der Schweiz an. Bereits im Herbst gelangt dann der zweite Bienz-Film in die Kinos. Für die von Millionen Kindern heiss erwartete Literaturverfilmung «Harry Potter and the Sorcerer’s Stone» versüsste der Luzerner das fabulöse Zauberreich der schottischen Bestsellerautorin J. K. Rowling mit Schokoladenfröschen. Weitere Filme sollen folgen.

Zur Filmkarriere kam Bienz, der in der Nähe Londons eine eigene Schokoladenfabrik und später ein Geschäft für Süsswaren betrieben hatte, eher zufällig. Eine befreundete englische Lebensmitteldesignerin stellte ihn Regisseur Hallström vor. Der war vom ausgefallenen Können Bienz’ rasch begeistert und heuerte ihn an.

Für «Chocolat» brachte Bienz eigene Requisiten mit: Die Kessel und Kellen, mit denen Binoche hantiert, stammen aus seiner ehemaligen Fabrik. Rund fünfzig Kilogramm reine Schokolade verwendete er für die Stücke. Einfach sei die Arbeit nicht gewesen. Anfänglich verflüssigte sich die delikate Ware unter der Hitze der Beleuchtungsscheinwerfer. Eine zierliche Schoggimadonna, die im Filmfinale zerschlagen wird, richtete er ein Dutzend Mal her. Erst leistungsstarke Klimaanlagen stoppten den Schmelzprozess.

Ob er Schweizer Schoggi verwendet habe, mag der clevere Confiseur nicht verraten. «Wenn ichs sage, wärs ja Werbung. Dafür müsste ich bezahlt werden.» Vorwiegend «miserable Schokolade» habe er am Set in London vorgefunden. Damit mochte er nicht arbeiten. Unverzüglich bestellte er frische Ware. Schliesslich entspreche er stets «höchsten Qualitätsanforderungen». Dass diesen besonders Schweizer Schokolade gerecht werde, mag er nicht ganz verkneifen. «Sicher, was von dort stammt, stimmt qualitativ.» Walter Bienz muss es wissen. Bevor er 1957 als 25-Jähriger nach England auswanderte, hatte er in Vevey eine Lehre als Patissier absolviert und in Luzern im Laden der Eltern gearbeitet. Um Englisch zu lernen, ging er zusammen mit seinem Bruder nach London. Zwei Jahre lang durchkreuzten die Bienz-Brüder als Süsswarenbäcker der britischen Navy die Weltmeere – mit Schweizer Pässen, obwohl dies das schweizerische Militärstrafrecht eigentlich untersagt. Kaum zurück, startete Bienz seine eigene Schokoladenfabrik, die er 20 Jahre lang betrieb. Herzprobleme zwangen den Vater von fünf Kindern aufzuhören. Fortan betrieb er mit seiner Gattin – «sie ist eine englische Lady» – ein Restaurant mitsamt Schokoladenladen. Die belgische Marke Godiva ist in den USA «offizielle Schokolade von «Chocolat»» – obwohl im Film keine belgische Schokolade verwendet wurde. «Produktion und Vermarktung haben selten etwas miteinander zu tun», sagt ein Pressesprecher von «Chocolat»-Produzent Miramax. Ein Schweizer Unternehmen sei nie in Betracht gezogen worden. Godiva sei in Nordamerika eine gestandene Marke. Kein schweizerisches Produkt könne Vergleichbares bieten. In der Schweiz verhandelt Verleiher Buena Vista mit Lindt & Sprüngli über eine Zusammenarbeit bei der Vermarktung des Films. Dass es Schweizer Schokolade sei, mit der Juliette Binoche den starrköpfigen Franzosen die Köpfe verdrehe, damit allerdings dürfen die Schweizer Schoggimacher nicht werben. Es sei denn, sie veranlassen Walter Bienz zum Reden.

Schoggi erhellt
Der spiessige Bürgermeister redigiert die Predigt. Der Pfarrer lässt sich einschüchtern. Den meisten Ehepaaren der französischen Kleinstadt ist die Lust auf Sex längst vergangen. Ungestraft schlagen Männer ihre Frauen. Es herrscht Missgunst und Neid – bis der Wind die geheimnisvolle Vianne (Juliette Binoche) an den ungemütlichen Ort trägt. Mit Schokolade erhellt sie Geist und Herz mancher Müssiggänger. Regisseur Lasse Hallström («The Cider House Rules») inszeniert ohne Tiefgang ein Ensemble hochkarätiger Akteure. Allen voran gefällt Alfred Molina als griesgrämiger Gemeindepräsident. Allein sein Ringen um eine wahrhaftige Tugend lohnt den Kinobesuch.