Von Peter Hossli
Durchs offene Fenster schweift der Blick auf die silbernen Zwillingstürme des New Yorker World Trade Center. «Es ist herrlich und paradox zugleich», sagt der Basler Unternehmer Florian Gutzwiller. «Wir blicken auf ein bedeutendes Symbol der alten Wirtschaft und beleben ein paar Strassen entfernt die New Economy.» An diesem warmen Freitagnachmittag Ende Oktober installiert er Telefone und Computer, platziert vier Tische und ein Sofa in die 500 Quadratmeter grosse, lichtdurchflutete Loft an der Canal Street. «Bald legen wir los.»
Trotz anhaltendem Börsentief und einem Kater bei Internetfirmen weltweit wagt Gutzwiller den Neustart. Mit der amerikanischen Firma Str84ward – «straightforward», was heisst: geradeaus – tritt er als Risikokapitalist auf, der private Investoren und Hightech-Unternehmen zusammenbringt. Der 32-Jährige hat schon jetzt Zugang zu Fondsgesellschaften, die insgesamt 150 Millionen Franken verwalten. Kurzfristig vertrauten ihm potente Geldgeber zehn Millionen Dollar an, die er bald in hoffnungsvolle Firmen investieren will.
Geradeaus-Politik statt Investment-Firlefanz
Str84ward – das Wortspiel ist Programm. Gutzwiller gedenkt geradeaus zu geschäften. Er will auf den im Zuge der Internetüberhitzung üblich gewordenen Investment-Firlefanz verzichten. Stattdessen setzt er auf persönliche Beziehungen und dichte Netzwerke. Der Netzwerk- ingenieur erarbeitete sich die Kontakte im Technologiebereich in zehnjähriger Tätigkeit als Unternehmer. Der Basler Vermögensverwalter Josef Bollag, mit dem er seit Jahren gezielt in Internetfirmen investiert, öffnete ihm die Tür zur Finanzwelt. Daraus entstand die Idee einer offenen Gemeinschaft aus Investoren und kreativen Unternehmern. Mit der Hilfe von Str84ward sollen die sich reibungsloser finden.
Auf einem der vier USM-Tische liegt die neueste Ausgabe der «New York Times». Das Dotcom-Fieber erblasse neben der Dotcom-Abkühlung, lautet eine Schlagzeile. Dutzende von New Yorker Hightech-Firmen meldeten in den letzten Monaten Pleite an, berichtet die Zeitung. Etliche entliessen das Gros ihrer Angestellten. Rund 3000 Programmierer und Webdesigner verloren seit dem Börsenkollaps im Frühling allein in New York ihren Job. «Die Luft in der Silicon Alley ist draussen», liest Gutzwiller. Auch er weiss: Die Börsenindizes klettern nicht mehr unaufhörlich nach oben. Sie stürzen ab. Rascher Ruin hat schnellen Ruhm und Reichtum abgelöst.
Hat er keine Angst, ausgerechnet jetzt eine neue Venture-Firma zu gründen? «Es gibt keinen besseren Zeitpunkt», sagt der Basler, «das Timing ist perfekt.» Die Spreu habe sich vom Weizen getrennt, gut so. «Die Bewertungen sind tief», sagt Gutzwiller, «der Einstieg ist entsprechend kostengünstig.» Endlich sei Qualität gefragt. Jetzt müsse man den Risikokapitalgedanken mit traditionellen Werten verschmelzen. «Tolle Ideen gibt es ja nach wie vor genug», beschwichtigt er die wachsende Furcht, die jüngsten Flops hätten die Kreativen veranlasst, den Technologiebereich zu meiden.
Gutzwiller versprüht, ganz unschweizerisch, reichlich Optimismus. Er ist ein Macher. Mit 22 hat er Open Systems gegründet, inzwischen der führende Schweizer Anbieter von Sicherheitslösungen fürs Internet. Die Zürcher Firma will er weiterhin als CEO lenken. Geldsorgen plagen ihn nicht, ohne Blösse trägt er feinste Stoffe. «Geld ist zum Ausgeben da», sagt er. «Es muss mit unternehmerischer Hebelwirkung in den Kreislauf zurück.» Wenn er möchte, könnte er jetzt auf Hawaii surfen. Doch die neue Herausforderung lockt ihn mehr als der endlose Wellenritt in der Sonne.
Str84ward – drei Leute, davon zwei ohne Arbeitsbewilligung
Zwei Schweizer sind derzeit die beiden einzigen Str84ward-Mitarbeiter. Ihre Namen dürfen nicht in die Zeitung, denn deren Anträge auf eine Arbeitsbewilligung sind noch hängig. Der Fotograf fotografiert sie unscharf. Drei junge, coole Typen in New York, der Chef auf dem beigen Designersofa. Japanische Möbel werden geliefert. Toilettenpapier ordern sie online. Der Lift öffnet sich im Büro, wo bald zwanzig Leute arbeiten sollen.
Sie werden US-Firmen beurteilen, in die schweizerisches Geld fliesst. Obs etablierte Unternehmen oder Start-ups sind, spiele keine Rolle. Gutzwiller mag sich aber nicht auf einzelne Sektoren festlegen. «Allein der Markt diktiert, was künftig gefragt ist, nicht das Strategiepapier.»
Er verspricht, alle Regeln der Venture-Capital-Branche zu durchbrechen. «Statt Exitstrategien zu planen, müssen abermals echte Werte geschaffen werden», sagt Gutzwiller. «In den vergangenen drei Jahren ging es Investoren primär darum, möglichst schnell möglichst viel Kapital zu bilden.» Diese Haltung hätte den Markt verdorben und sei verantwortlich für die jetzt flach liegenden Kurse.
Die von Str84ward geförderten Unternehmen würden in allen Phasen begleitet. Er setzt auf kontinuierlichen Wissensfluss und nicht auf das übliche Prinzip des Geldgebens und Überwachens. Nicht in 500 Seiten dicken Analysen, sondern in persönlichen Kontakten sieht er den Erfolg. Investoren sollen emotionale Bindungen zu den Firmen schaffen, denen sie Geld anvertrauen. Str84ward selbst verdient Geld mit Gebühren. Kapitalisten und Firmen bezahlen die Kupplerdienste. Ausserdem beteiligt sich Str84ward am Erfolg der Geldgeber. «Der Investor», sagt Gutzwiller, «ist unser Partner, der Unternehmer unser Freund.»
Mut zum Risiko zeichnet den Jungunternehmer aus
Gutzwiller setzt auf New York, weil hier die geografische Mitte zwischen Europa und dem Silicon Valley liege. Zudem schätzt er die Nähe zu den Finanzmärkten. Er glaubt, dass Internetinhalte bald profitabler sein werden als die technische Infrastruktur. Und Inhalte entstehen seit jeher in New York, allenfalls in Hollywood, nicht aber in den Hightech-Betrieben südlich von San Francisco.
Warum nicht in der Schweiz? «Dort mangelt es an unternehmerischem Geist.» Hier hören ihm die Banker zu und nehmen ihn ernst. «Wer in der Schweiz Neues und Waghalsiges aufbaut, stösst zuerst auf Misstrauen.» Dem mag sich Gutzwiller nicht aussetzen. Der erfahrene Jungunternehmer und unschweizerische Schweizer fürchtet sich nicht vor dem Scheitern. «Das Risiko, kein Risiko einzugehen, ist viel grösser als das Risiko, ein Risiko zu wagen.