Von Peter Hossli
Sportlich-elegant die Schnitte, weltoffen das Image. Modeschöpferin Donna Karan, 52, hockt im Olymp der Kleidermacher. First Lady Hillary Clinton trägt ihre feinen Röcke, seit kurzem auch Popstar Britney Spears. Aber jetzt haftet Karan der Ruch der Ausbeuterin an. Medienwirksam haben fünf Schneiderinnen vor der DKNY-Hauptfiliale an der Madison Avenue in Manhattan unter Polizeischutz eine Sammelklage gegen Karan eingereicht. Sie bezichtigen Donna Karan, mitten im glamourösen New York so genannte Sweatshops zu betreiben – fensterlose und schweisstreibende Fabriken, in denen Angestellte miserabel bezahlt und Arbeitsvorschriften ständig verletzt werden. 80-Stunden-Wochen sind die Regel.
In der Klageschrift erhebt der Anwalt der fünf Frauen, Kenneth Kimerling, schwere Vorwürfe. So soll die New Yorker Firma Jen Chu Apparel Inc., die für Karan hochwertige Kostüme fertigte, alle Näherinnen zur Siebentagewoche gezwungen haben. Zwölf Stunden mussten sie Montag bis Freitag, je zehn samstags und sonntags säumen. Nie hätte die Auftragsfirma von Karan die Überstunden des Personals angemessen entschädigt, sagt Anwalt Kimerling.
Arglistig sollen deren Vorarbeiter die Arbeiterinnen mit Drohgebärden gezwungen haben, falsche Stundenabrechnungen zu signieren. Wer sich wehrte, flog raus. Selten mehr als fünf, meist weniger als drei Dollar die Stunde kassierten die Frauen. Den spärlichen Lohn erhielten sie entweder bar auf die Hand oder in Form von Schecks, ausgestellt im Namen einer Briefkastenfirma – um die Steuerbehörden zu hintergehen. Gab’s Beschwerden, schloss die Fabrik.
Unfälle an der Tagesordnung
Schätzungsweise 300 Immigrantinnen nähten in New York für Karan. Jeder stehen laut Anwalt Kimerling nun mehrere zehntausend Dollar an zusätzlichen Lohnzahlungen zu. Dazu werden Entschädigungen für die widrigen Arbeitsumstände gefordert. Meist ist die Luft heiss und voller Schadstoffe, die Näherinnen atmen die Abgase der Maschinenmotoren ein. Schutzmasken fehlen. Unfälle sind an der Tagesordnung. Insgesamt geht die Schadenersatzforderung in die Millionen.
Die Millionenklage sorgt in New York für Aufsehen. Erstmals wird die hiesige Modeindustrie beschuldigt, unweit des boomenden Börsenquartiers rund um die Wall Street in erbärmlichen Schwitzbuden in Chinatown smarte Herrenanzüge und adrette Deuxpièces zu fabrizieren. «Was normalerweise mit Drittweltländern assoziiert wird, ist mitten in Manhattan alltäglich», sagt die Ko-Leiterin des Center for Economic and Social Rights, Sarah Zaidi, Autorin einer Studie über Sweatshops in New York. «Frauen arbeiten hier unter denselben misslichen Bedingungen wie in Mexiko oder Südostasien», sagt sie. Fast alle Kleider «Made in USA» würden irregulär gefertigt, so Zaidi. Donna Karan hält sie für besonders schlimm. «Sie vermehrt ihr Vermögen auf dem Rücken wehrloser Frauen.» Als «Heuchlerinnen» beschreibt Zaidi selbst ernannte Feministinnen wie Präsidentengattin Clinton, Barbra Streisand oder Susan Sarandon. «Sie alle tragen edle Karan-Stoffe, obwohl sie genau wissen, dass Frauen bei deren Herstellung ausgebeutet werden.»
Karans Pressestelle äussert sich nicht zu den Anschuldigungen; die Meisterin selber gibt sich unwissend. Wie andere namhafte Modeschöpfer sagt sie, ihre gesamte Fabrikation liege ja in fremden Händen. Nicht etwa sie, sondern die inzwischen geschlossene Firma Jen Chu Apparel hätte Gesetze gebrochen. Über die dortigen Bedingungen sei ihr nichts Illegales bekannt gewesen.
Das lässt Anwalt Kimerling nicht gelten: «Karan weiss genau, was in ihren Fabriken läuft. Wir können belegen, dass ihre Qualitätsprüfer täglich anwesend waren.» Sie persönlich ordnete an, Überstunden nicht zu zahlen, sagt er. Aus New York ausziehen wird Karan aufgrund des drohenden Prozesses kaum. Sie produziert in Manhattan ihre luxuriöse Donna-Karan-Linie. Einzelne Kleider kosten im Laden mehrere tausend Dollar. Deren Beschaffenheit will sie vor Ort mustern. Ausserdem spart sie die Transportkosten zum lukrativsten Absatzmarkt der Welt. In weit entfernten Freihandelszonen lässt Karan nur das weit billigere DKNY-Label sticheln – ebenfalls in ausgelagerten Schwitzbuden.
Donna Karan ist längst kein Einzelfall. Laut Schätzungen des New Yorker Arbeitsamtes werden in der Metropole über 4500 Sweatshop-Fabriken betrieben, in denen nahezu 90 000 Menschen arbeiten. Neunzig Prozent der Angestellten sind Frauen, oft Chinesinnen oder Latinas. Neun von zehn Fabriken erfüllen die Bestimmungen nicht. Sie zahlen keine Überzeit und verlangen Wochenend- sowie Nachtarbeit.
Die meisten Angestellten der New Yorker Modeindustrie leben illegal hier. Sie sprechen kaum Englisch und kennen ihre Rechte nicht. Chinesische Schlepper bringen sie gegen ein Entgelt von rund 40 000 Dollar in die Vereinigten Staaten. «Massiv eingeschüchtert, müssen sie diesen Kredit erst jahrelang abarbeiten», sagt Menschenrechtlerin Zaidi. Etliche Fabriken zahlen zwei, höchstens drei Dollar pro Stunde. Weder gewähren die Firmen Ferientage noch Mutterschaftsurlaub. Wer krank ist, erhält keinen Lohn. Toiletten dürfen selten, das Telefon nie benutzt werden. Um die hohen Akkordauflagen zu erreichen, bringen die Frauen oft ihre Kinder zur Mithilfe in die Fabrik.
Scheinbar machtlos schauen Gesetzeshüter dem Treiben in Chinatown zu. Dort, in Midtown, Queens und Brooklyn befinden sich die meisten Sweatshops. «Die Polizei schaut weg», sagt Zaidi. Die Fabriken führten so genannte schwarze Listen, auf denen die Namen widerspenstiger Näherinnen erscheinen. «Wer auf die Liste gelangt, arbeitet nie mehr in New York», sagt die ehemalige Karan-Näherin Chen. Überdies würden die Vorsteher die Aufmüpfigen öffentlich in Zeitungsinseraten ankreiden, was ebenfalls einem Arbeitsverbot gleichkomme.
«Die Karan-Klage ist erst der Anfang», sagt Anwalt Kimerling. Sobald zusätzliche Näherinnen an die Öffentlichkeit treten, sollen weitere Klagen folgen.