Von Peter Hossli
Brad Pitt, der blonde Engel, mimt für einmal einen blonden Engel. Als solcher führt er Schauspieler Anthony Hopkins, der als herzkranker Millionär unterwegs ist, im dreistündigen Film «Meet Joe Black» von den Lebenden zu den Toten. Nebenbei erkennt der etwas blässlich geratene blonde Tod, was wahre Liebe ist. Lehrreich zur Seite steht ihm eine sinnliche Italienerin.
Komiker Robin Williams, lebend noch als gutmütiger Kinderarzt tätig, sucht in einem anderen Film nach einem tödlichen Autounfall im bunten und zeitlosen Jenseits Annabella Sciorra, seine Filmehefrau. Die schmort verstört in der Hölle, weil sie sich das Leben nahm. Am Schluss von «What Dreams May Come», ab dieser Woche in den hiesigen Kinos, wird das Fegefeuer durch ewiges und glückliches Leben post mortem ersetzt.
Hollywood erleuchtet. Reihenweise wandeln die Stars derzeit tot durchs Leinwandleben und lieben dabei spirituell-romantisch. Wer glaubt, suggeriert die meist süsslich vorgetragene Litanei, der bekommt von ganz oben bestimmt den Richtigen oder die Richtige serviert. Alles wird gut, spätestens, wenns vorbei ist.
Nicolas Cage, ein untoter Engel auch er, kam bereits im vergangenen Sommer im shampoowerbespotartigen Wim-Wenders-Remake «City of Angels» zurück auf Erden, genauer nach Los Angeles, der Stadt der Engel. Dort verliebt er sich unsterblich in die Ärztin Meg Ryan – bis auch die den Löffel abgibt, ebenfalls eines zu schnellen Autos wegen.
Schliesslich mischt sich auch Eddie Murphy, das schwarze Plappermaul, im Kino unter die Spirituellen. Hölzern lehrt er den Amerikanern in der bald anlaufenden, reichlich missratenen Komödie «Holy Man» im farbigen Kabelfernsehen das Evangelium des New Age.
Bei Ex-«Batman» Michael Keaton wird nach dem Ableben ebenfalls alles gut. Er spielt in der rührigen Weihnachtskomödie «Jack Frost» einen Musiker und kommt – wie könnte es anders sein – nach einem fatalen Autounfall zurück auf Erden: als Schneemann, gebaut vom trauernden Sohn. Den lernt er lieben. Endlich schätzt der Schneemann nun auch die vernachlässigte Frau.
Gemein ist den spirituellen Filmen, dass darin zerstörte und verpasste Beziehungen im Jenseits oder mit magischer Zauberei doch noch geflickt werden. Quasi eine zweite und letzte Chance für einst Ungläubige.
Mittelalterliche Weibeskräfte setzen etwa Sandra Bullock und Nicole Kidman in der demnächst anlaufenden Hexenromanze «Practical Magic» ein, um endlich wahre Liebe zu finden. Erst post exitus gelingt das Robin Williams in «What Dreams May Come», kitschig wie aufwändig inszeniert vom Neuseeländer Vincent Ward. Zur Ehefrau baut er eine Seelenverwandtschaft im wahrlich kosmischen Sinne auf. Brad Pitt spürt als Tod im Körper eines Anwalts in «Meet Joe Black», ab 15. Januar im Kino, wie himmlisch sich Sex und Zärtlichkeit anfühlen. Nebenbei kommt er auf den oralen Geschmack: Vom Finger abgeschleckte Erdnussbutter wird zu seiner Lieblingsspeise.
Sicher, die Filmindustrie funktioniert «wellenartig», wie der schwarze Schauspieler und Hollywood-Veteran Morgan Freeman die Wiederkehr mehrerer Filme desselben Genres einst begründete. Es gab und gibt die x-te Renaissance des Westerns, des Kriegsfilms, des Film noir, der romantischen Komödie.
Zufällig ist die jetzige Häufung spiritueller Filme nicht. Zur bevorstehenden Jahrtausendwende machen sich Ängste breit. Die Menschen stellen sich zum Fin de Siècle grosse Fragen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Und vor allem: Was kommt danach?
Hollywood liefert reichlich Stoff zum Sinnieren. «Jeder namhafte Regisseur», sagt eine Produzentin des New-Yorker Filmstudios Miramax, «möchte noch einen spirituellen Wurf zum Jahrtausendwechsel auf Breitleinwand knallen.» Ausgebrochen sei in der Unterhaltungsindustrie eine «wahre Millennium-Manie». Selbst der hart gesottene Action-Regisseur Martin Brest («Beverly Hills Cop») griff bei «Meet Joe Black» zur Sirupflasche. Erfahrene Schauspieler wie Brad Pitt oder Robin Williams brüsten sich, gottnahe Figuren zu verkörpern. «Ein erfüllendes Erlebnis», sagt Pitt.
Der Wettlauf um die Zeitenwende hat in Hollywood schon vor Jahren begonnen. Hunderte Drehbücher mit spirituellen Themen gingen bei den Studios ein. Verfilmt wurden leider etliche. Gemeinsam ist fast allen Filmen die leicht verdauliche Fastfood-Spiritualität. Instant-Ekstase ohne Tiefgang, manipulativ verbreitet mittels nahe liegender Symbolik: Engel, Taube, Inferno, Sensenmann.
Wer genauer hinschaut, erkennt bei den meisten Filmen eine ultrareaktionäre Gesinnung. Mit der Hölle wird etwa betraft, wer wie in «What Dreams May Come» Selbstmord begeht, also nichts dem Schicksal überlässt. Die Botschaft des Films ist gottergeben: «Nach dem Leben wirds erst richtig lebenswert» und «Das Ende ist erst der Anfang», schrieben die Werber auf die Filmplakate. Ähnlich vereinfachen sie bei «Meet Joe Black». Es könne doch «niemand sterben, weil ER liebt!».
Befriedigt werde mit solchen Filmen ein «vom ewigen Leben und der ewigen Jugend besessenes» Publikum, sagt der New-Yorker Kritiker Stephen Holden. Die neospirituellen Filme würden das «ausgesprochen narzisstische Zeitalter vor der Jahrtausendwende» treffend reflektieren. Denn besonders anstrengen müsse man sich in diesen Welten nicht.
Ein tiefer Blick in die Augen des andern und ein bisschen Ehrfurcht genügen, und schon sprudeln spirituelle Gefühle.