Von Peter Hossli
Ausverkauft sind an diesem schwülheissen Sommerabend alle Vorstellungen, um fünf, um sieben, um neun. Platz findet man im New-Yorker Szenenkino Angelika erst übermorgen wieder. Jedoch nicht Harrison Ford oder Julia Roberts, sondern das mathematische Zeichen (pi) (Pi) zieht die Leute in Scharen an.
Vorletzte Woche feierte US-Regisseur Darren Aronofskys Debütfilm «(pi)» in Manhattan Premiere. Über 4000 wollten am Startwochenende den schwarzweissen Thriller sehen, in dem ein besessener Mathematiker mit der mit 3,141 beginnenden irrationalen Zahlenfolge Pi die Algorithmen der Aktienbörse knackt – und Gottes Name in Hebräisch findet.
Regisseur Aronofsky erstaunt der Erfolg wenig. «Pi», sagt er, «wird wieder entdeckt.» Seine Begründung: Kurz vor dem neuen Millennium erhofften sich etliche Orientierunglose, mit (pi) die ungelösten Fragen zu entschlüsseln. Wer bin ich? Woher komme ich? Was folgt?
(pi) liegt im Trend. Zumindest glaubt das die Unterhaltungsbranche. Filmproduzenten oder Modedesigner versuchen, das seit Jahrtausenden geheimnisumwitterte Zeichen endgültig zum einträglichen Popsymbol zu formen.
So nahm Disney-Tochterfirma Miramax unlängst «(pi)»-Regisseur Aronofsky unter Vertrag – er soll weitere Filme mit mathematischen Inhalten drehen. In der beliebten Fernsehserie «Star Trek» legte U.S.S.-Enterprise-Offizier Spock einen bösartigen Computer mit der Aufgabe lahm, er soll alle Stellen von (pi) berechnen – deren Anzahl reicht ins Unendliche.
1997 veröffentlichte David Blatner, US-Autor diverser Computerbücher, ein Buch, das sich ganz der Freude an Pi widmet. In «The Joy of (pi)» schildert Blatner amüsant Anekdoten und Absurditäten um jene Zahl, die dem Verhältnis zwischen Umfang und Durchmesser eines Kreises entspricht. Als sei es ein Volkssport versuchen sich Mathematiker und deren gigantische Computer medienwirksam mit der Berechnung neuer Stellen hinterm Komma; nach neustem Stand haben sie 51,53 Milliarden Ziffern gefunden (FACTS 52/1997).
Im Internet tauschen Tausende Fanklubs Pi-News aus. Zu finden sind rund 85 000 Sites, die sich mit Pi befassen, der Zahl, die erstmals 2000 Jahre vor Christi Geburt in Babylon auftauchte.
Selbst die Schönheitsindustrie findet daran Gefallen. Diesen Herbst lanciert der französische Parfümier Givenchy in Miami das kostspielige Duftwasser Pi.
Esoterikern wiederum hilft (pi), die Entstehung der Pyramiden akkurat zu deuten. Die hätten Ausserirdische einst nach mathematischen Formeln erstellt. Teile man die ursprüngliche Höhe der Cheopspyramide durch deren Grundriss, erhalte man 3,14. Ebenerdig besprayte eine New-Yorker Kultusgemeinde, die den Philosophen Pythagoras verehrt, vor dem «(pi)»-Filmstart Trottoirs mit mannshohen Pi-Zeichen. Begründung für die Sudelei: (pi) stehe für den Sinn des Lebens.
Weit weniger bedeutungsvoll erklärt der «(pi)»-Regisseur die wachsende Pi-Popularität. Auf jeder Party werde über die Chaostheorie gewerweisst – selbst wenn niemand so genau wisse, was das sei. «Chaos und Pi», sagt Aronofsky, gehörten zusammen. Eher beim Antlitz der Menschen sucht «Joy of Pi»-Autor Blatner nach Erklärungen: Wer in den Spiegel schaue, sehe zuerst den Kreis der Augen. «Diese beiden Rundungen treiben die Suche nach Pi voran.»
http://www.pi-news.net (!!!)