Die Alptraumfabrik

Der Dollarrekord von «Titanic» täuschte noch darüber hinweg: Hollywood steckt in der Krise. Immer mehr teure Produktionen floppen.

Von Peter Hossli

Die Überraschung war gross – und ausgesprochen unerfreulich. Anfang Mai sahen sich drei Vorsitzende des Hollywoodstudios Sony eine eben fertig gestellte Fassung des Reptilienspektakels «Godzilla» an. In dessen Produktion und Vermarktung hatte der japanische Elektronikriese über 160 Millionen Dollar investiert. Und damit gerechnet, das kassenträchtigste Kinoereignis des Jahres zu erhalten.

Was sich an diesem lauen Maitag im dunklen Vorführraum in Los Angeles aber abspielte, schockierte die drei Chefs. Da lief ein Film frei von Spannung, ohne Identifikationsfigur. Selbst die Spezialeffekte mit der mutierten Echse enttäuschten. Der sichere Flop, wussten die drei erschrockenen Zuschauer, würde kaum abzuwenden sein.

Doch statt nun Ausgaben einzusparen, schaltete Sony zusätzliche Werbespots in Fernsehen und Radio sowie mehrfarbige Anzeigen in Tageszeitungen. Die Kopienzahl für den seit Monaten festgelegten Kinostart am 20. Mai wurde auf 7363 erhöht. Nie zuvor lief ein Film gleichzeitig auf mehr Leinwänden an. Die Absicht der Vorwärtsstrategie: Bevor das zahlende Publikum «Godzillas» enorme Schwächen bemerken würde, sollten möglichst viele Leute von der Werbung in möglichst viele Kinos gelockt werden.

Solch Schaden begrenzendes Klotzen gehört in Hollywood zum Alltag. Dort bestimmt längst nicht mehr filmische Qualität, sondern schiere Grösse das Geschäft. Überzeugt ein Film nicht, muss kostspieliges Marketing helfen.

Nur: Der Glaube an den kaufbaren Erfolg bröckelt. Über 100 Millionen Dollar teure Produktionen erfüllten in den vergangenen Monaten allzu oft die Erwartungen nicht, künstlerisch wie kommerziell. Filme wie «Godzilla», Kevin Costners «The Postman», der Trickfilm «Quest for Camelot» oder Barry Levinsons «Sphere» kosteten viel, spielten aber trotz Werbeklotzerei kaum etwas ein. Filme gestandener Regisseure wie Steven Spielberg oder Martin Scorsese enttäuschten. Nur eine einzige neue Grossproduktion – «Deep Impact» – konnte seit Beginn des Jahres ausreichende Einspielergebnisse verbuchen.

Die Ende Mai von den Filmstudios publizierte Umsatzsteigerung täuscht über das Ausmass der Krise hinweg. Im ersten halben Jahr stiegen die Zahlen der Kinobranche gegenüber dem Vorjahr nur gerade im ersten Monat des Jahres – dank einem einmaligen Phänomen: «Titanic». Ohne den Dollarrekord des Eisbergfilms wäre das Ergebnis stark rückläufig. Grosse Studios wie Warner oder Disney verzeichneten sogar Minusrekorde.

Bereits purzeln an der Wallstreet die Aktienkurse der Unterhaltungsgiganten. Bis zu zwanzig Prozent büssten die Wertpapiere von Viacom, Fox oder Universal bis Anfang Juni ein. Zwei der grossen Studios reagierten rigoros. Warner Brothers gab vergangene Woche bekannt, die Filmproduktion um einen Drittel zu drosseln. Konkurrent Disney agiert noch drastischer. Statt 35 sollen im kommenden Jahr bloss noch 17 Filme der Mickey-Mouse-Firma in die Kinos gelangen. Gleich schliessen will Disney die Tochterfirma Touchstone Pictures, die vor allem Filme für Erwachsene produzierte. «Künftig drehen wir nur noch Familienfilme», sagt Disney-Filmchef Joe Roth. «Das ist sicherer.»

Untergangsstimmung herrscht in Hollywood wenige Wochen nach der endlos scheinenden «Titanic»-Euphorie. Kaum mehr geblendet vom kommerziellen Erfolg des Debakel-Dampfer-Films, macht in Hollywood derzeit das Wort von der Krise die Runde. Und das im Sommer, wo normalerweise ganz Amerika der feuchten Hitze entflieht und in gekühlten Kinos Schutz sucht.

Dabei kriselts in Hollywood seit längerem, aus einem einfachen Grund: Es werden keine guten Filme mehr gedreht. Das amerikanische Kino hat an Glanz eingebüsst. Zu monoton, zu risikoarm, zu langweilig seien die meisten Produkte der Traumfabrik geworden, sagt der einstige Regiestar Francis Ford Coppola («The Godfather»). Er selbst werde nie mehr in Hollywood drehen. Dort würden zu viele Filme produziert, die am Tag nach ihrer Veröffentlichung bereits in Vergessenheit geraten.

US-Regieveteran Robert Altman («Nashville») ist der Meinung, die Filmindustrie habe seit über fünfzehn Jahren keinen einzigen Film hervorgebracht, der zum Klassiker taugt. Und der US-Kritiker Todd McCarthy vom Kinobranchenblatt «Variety» mokiert sich, die am diesjährigen Festival von Cannes präsentierten Filme seien mehrheitlich «peinlich» gewesen. «Haben wir nichts Besseres zu bieten als «Blues Brothers 2000»? Nein.»

Neu ist die Einschätzung nicht. Schon seit einigen Jahren warnen Beobachter Hollywood vor dem künstlerischen Niedergang, dem der kommerzielle folgen werde. Hinhören wollte niemand.

Trotz wiederholter Warnungen wuchsen die Produktionskosten in astronomische Höhe. Für weniger als 100 Millionen Dollar entsteht kein actiongeladener Film mit namhaften Stars. Statt an der Entwicklung ausgereifter Drehbücher sind die Produzenten bloss an den Umsatzzahlen des Startwochenendes interessiert. «Als würden sie mit den Längen ihrer Penisse prahlen», beschreibt Altman die anhaltende Fetischisierung der Kinodollars, «vergleichen Studioleiter am Montag die Einspielergebnisse.» Zeit, ein Publikum zu finden, erhalten selbst grosse Filme nicht. Bereits nach drei Wochen wurde «Godzilla» in manchen US-Städten abgesetzt. Nachdem die Marketingstrategen erkannt hatten, wie schlecht der Film lief, stoppten sie die Werbung. «Wer sich am ersten Wochenende nicht durchsetzt», sagte der Sony-Marketingleiter auf CNN, «ist verloren. Werbung ist dann hinausgeworfenes Geld.»

Nur wenige Leute seien in Hollywood in der Lage, die Qualität eines Films zu beurteilen, sagt Robert Altman. «Die meisten können nur rechnen.» In der Tat haben in den vergangenen Jahren Ökonomen und Juristen Produzenten oder Regisseure von den Führungspositionen in den Studios verdrängt. Heute zeichnen vermehrt Buchhalter statt filmische Visionäre fürs US-Kino verantwortlich.

Die Studios sind Abteilungen (zu) grosser Unterhaltungskonglomerate, an die TV-Stationen, Spielzeugfirmen, Verlagshäuser oder Eishockeyvereine angeschlossen sind. Weil selbst so genannt unabhängige Firmen aufgekauft wurden, ist die persönliche Handschrift eines Regisseurs in fast keinem Bereich des US-Kinos mehr gefragt. Wie am Fliessband wird stattdessen produziert. Bis zu neun Drehbuchautoren bastelten etwa an vielen der diesen Sommer in die Kinos gelangenden Filme.

Auf Alarmzeichen reagieren die Buchhalter der Unterhalter gelassen. Kinoeintritte, wissen sie, machen bloss einen Bruchteil des Gesamtumsatzes aus. Wichtiger sind Fernsehverkäufe oder das lukrative Geschäft mit Spielzeugfiguren, die nach den Leinwandhelden in Macao oder Hongkong gefertigt werden. Drehbücher, die keine putzigen Tierchen oder futuristische Weltallmännchen vorsehen, blieben daher meist auf den Schreibtischen der Produzenten liegen.

Heuer blieben die «Godzilla»-Figürchen und die dazugehörenden Videogames in den Gestellen der Warenhäuser liegen. Bis anhin wurde bloss ein Drittel der Anzahl budgetierter Plastikviecher verkauft. «Niemand will Godzilla», sagt der Leiter des an der New-Yorker Fifth Avenue gelegenen Spielzeugfachgeschäftes F. A. O. Schwarz. Er hat sein Schaufenster inzwischen neu dekoriert – mit einem blauen Hund aus einer Fernsehtrickfilmserie.

Es kam noch schlimmer: Die Fernsehrechte, um die sich bei einem Blockbuster wie «Godzilla» normalerweise mehrere Senderketten streiten, gingen nur zum Discountpreis weg. Nachdem die ersten Misserfolgsmeldungen über die Nachrichtenagenturen liefen, zogen sich die meisten Bewerber zurück. Die Fernsehanstalt NBC war schliesslich bereit, 25 Millionen Dollar für fünf Ausstrahlungen zu bezahlen. Für Sony enttäuschend. Man erhoffte sich mindestens 35 Millionen Dollar – als erste Anzahlung.

Nach dem «Godzilla»-Debakel, prophezeit die «New York Times», könnte in Hollywood eine Trendwende eintreten. Das Publikum wolle für «hirnlose Geschichten» nicht mehr Schlange stehen. Gelingt es den Studios nicht bald, originellere Filme zu drehen, schlittert das Geschäft mit den bewegten Bildern womöglich in eine ähnliche Krise wie zu Beginn der sechziger Jahre, Hollywoods bis anhin schlimmsten Zeit.

Damals wendeten sich die Leute von den gleichförmigen Doris-Day- und Rock-Hudson-Komödien sowie den patriotischen John-Wayne-Filmen ab. Erst als man realisierte, dass die USA durch Rassenunruhen, durch die Popmusik und die Massenbewegung gegen den Vietnamkrieg auf den Kopf gestellt wurde, konnten heutige Klassiker wie «Easy Rider» oder «The Godfather» mit dem Geld der grossen Studios gedreht und ausgesprochen erfolgreich ausgewertet werden. Es war eine Zeit, in der risikobereite Studiobesitzer noch an die Kraft der Regisseure glaubten. Und die hatten der Welt etwas zu sagen.

«Das ist passé», schrieb der einstige Paramount-Chef und heutige «Variety»-Chefredaktor Peter Bart in seiner wöchentlichen Kolumne. Damals hätten die Leute «Leidenschaft gehabt», schrieb Bart, «heute hegen sie nur noch Leidenschaft für Tabellenkalkulationen». Statt hochwertige Filme zu produzieren, kreiere die Medienmaschinerie häufig Pseudoereignisse. Nur: Die erfüllen die hoch gesteckten Erwartungen oft nicht.

Seit Monaten etwa wirbt US-Verleiher Paramount für Regisseur Peter Weirs Fernsehsatire «The Truman Show» mit dem Zitat eines Kritikers des Hochglanzmagazins «Esquire»: «Der beste Film der Dekade.» Als der Film am 5. Juni in die Kinos kam, strömten die Leute hin. Viele waren enttäuscht. «Der Film ist okay, aber es fehlt die Seele», sagt eine Buchhändlerin aus Brooklyn. Er wirke ausgesprochen artifiziell. «Mehr als im Vorfilm war nicht zu sehen.» Das lang erwartete Meisterwerk aus Hollywood blieb – einmal mehr – aus.

«Bulworth» – Der Kontrast zum erbärmlichen Rest

Man schreibt 1996, ein Wahlkampfjahr in den USA. Bill Clinton und Bob Dole streiten sich um die Präsidentschaft. Gleichzeitig versucht ein kalifornischer Senator namens J. Billington Bulworth, seinen Sitz im Senat zu verteidigen. Statt auf Werbespots zu setzen, die mittelständischen Familien falsche Hoffnung machen, entscheidet er sich plötzlich für die Wahrheit. Vor der Steuer zahlenden Ölindustrie, vor Schwarzen in einer Kirche in South Central Los Angeles, selbst vor ihm wohl gesinnten Hollywoodproduzenten spricht er aus, was viele wissen, aber schon lange nicht mehr sagen oder hören möchten: Der Welt gehts mies.
Bulworth ist brillante Fiktion, geschaffen und verkörpert im gleichnamigen Film von Schauspieler Warren Beatty, 61. Der notorische Playboy brachte Ende Mai viel Farbe in die Monotonie Hollywoods. Seine hervorragende wie überraschende Politsatire liefert das dringend nötige Kontrastprogramm zum erbärmlichen Rest. Seit Jahren, schrieben die Kritiker, kam aus Hollywood kein ähnlich faszinierender Film.

Auf alte Tugenden besonnen

Dabei machte es sich Beatty keineswegs einfach. «Bulworth», finanziert von 20th Century Fox, geht weiter als linke Medienschelte, ist komplexer als liberale Gesellschaftskritik. «Bulworth», brillant inszeniert, greift auf allen Ebenen. Dabei besinnt sich Beatty auf alte Tugenden. «Bulworth» wurde für wenig Geld produziert, und der Film trägt eine unverwechselbare Handschrift.

«Wir erleben eine Trendwende»

Peter Biskind, 57, war Chefredaktor der US-Filmzeitschriften «Premiere» und «American Film». In seinem neuen Buch «Easy Riders, Raging Bull» beschreibt er die 70er Jahre als letzte grosse Epoche des Hollywoodkinos.

Peter Biskind, warum gibts keine Meisterwerke mehr aus Hollywood?
Peter Biskind: Weil die Kunst dort komplett vom Kommerz bestimmt wird.

Das war doch immer so.
Biskind: Nicht in den siebziger Jahren, der letzten glanzvollen Zeit Hollywoods. Damals hatten Regisseure wie Coppola, Hopper oder Bogdanovich noch Visionen. Ihre Geldgier kam erst später.

Sie beendete die kreative Phase?
Biskind: Die Regisseure gruben sich ihr eigenes Grab. Plötzlich waren sie vom Geld besessen. Zudem erfanden Steven Spielberg und George Lucas mit «Jaws» und «Star Wars» den Blockbuster, den Film, der viel kostet und daher viel einspielen muss. In den achtziger Jahren übernahmen Fernsehleute die Leitung der Studios. Die wollten nur noch Blockbusters.

Warum ist das schlecht?
Biskind: Aus dem Filmgeschäft wurde ein Startwochenendegeschäft. Nur wer viel Geld ins Marketing, in Spezialeffekte und in teure Stars investiert, hat heute überhaupt eine Chance am ersten Wochenende. Das steigert die Kosten massiv.

Jetzt floppten einige sehr teure Filme. Ermüdungserscheinungen beim Publikum?
Biskind: Wir erleben eine Trendwende, ähnlich wie Mitte der sechziger Jahre, als bloss langweilige Komödien entstanden. Die mochte niemand sehen.

Damals reagierten die Filmer mit Qualität. Gibts jetzt einen neuen Boom?
Biskind: Kaum. Es fehlen die sozialen und politischen Strömungen. Einen Vietnamkrieg, gegen den man sich auflehnen kann, gibts nicht. Die Börse boomt, nicht die US-Filmkunst.

Lässt sich mit Marketingmillionen jeder Erfolg erzwingen?
Biskind: Mancher. Nehmen Sie Erfolgsfilme wie «Independence Day» oder «Deep Impact»: Das sind ziemlich schlechte Filme. Dank Werbung gingen die Leute hin. Wenns bei «Godzilla» jetzt nicht klappt, ist das ein Alarmzeichen.

Weil die Kosten kaum mehr kontrollierbar sind?
Biskind: Es ist ökonomischer Selbstmord, wie sich die Studios verhalten. Die Ausgaben übertreffen meist die Einnahmen.

Geht Hollywood Bankrott?
Biskind: Das passiert nicht, weil die Studios zu grossen Konzernen gehören. Früher konnte ein einziger Misserfolg ein Studio zu Fall bringen. Heute werden 100-Millionen-Dollar-Flops von den Konzern-Bilanzsummen in Milliardenhöhe aufgefangen.

Haben die Regisseure noch Macht?
Biskind: Nur wenn ihre Filme erfolgreich sind. Früher hatten jene Filmer Einfluss, die etwas konnten.

Kann nicht das unabhängige US-Kino Hollywood Impulse verleihen?
Biskind: Das unabhängige Kino gehört Hollywood. Die Studios halten sich Firmen, die billige Filme produzieren. In diesen «Farmteams» versuchen sie neue Talente heranzuziehen. Diese lernen da, dass bloss kommerzieller Erfolg zählt.