Time Warner – Der Koloss steckt in der Krise

Rote Zahlen, viele Flops: Time Warner, der grösste Medienkonzern der Welt, ist angeschlagen.

Von Peter Hossli

Mit einer griffigen Beschwichtigung lässt sich jedes Unheil aus der Welt reden. Als vorletzte Woche das Quartalsergebnis des Unterhaltungsgiganten Time Warner Inc. bekannt gegeben wurde, sollten um jeden Preis panikartige Aktienverkäufe verhindert werden. Die 62 Millionen Dollar Verlust, meldete der Pressesprecher des US-Konzerns, könne man problemlos verkraften.

Als Hauptgrund fürs enttäuschende Resultat nannte er nachlässige Stars aus der Musikdivision von Time Warner, etwa Madonna oder Eric Clapton. Die hätten ihre neuen Werke zu spät abgeliefert. Ansonsten laufe alles bestens.

Die Aktienkurse fielen um weniger als ein Prozent. Im Rockefeller Plaza, dem New-Yorker Hauptsitz von Time Warner, war man mit der Schadens- begrenzung zufrieden. Fürs Erste.

Doch schon eine Woche später waren neue Beschwichtigungen vonnöten. Diesmal in Los Angeles, dem Sitz des konzerneigenen Filmstudios Warner Brothers. Dort musste der Kopräsident der Produktionsabteilung, Bill Gerber, überraschend das Büro räumen. Die von ihm in den letzten zwölf Monaten lancierten Filme hatten ungenügend abgeschnitten. Statt Einspielrekorde gabs Flops.

75 Jahre alt wird Warner Brothers jetzt. Grund zum Feiern hat der legendäre Filmriese kaum. Nie erzielte er ein schlechteres Ergebnis als 1997, und im laufenden Jahr zeichnet sich kaum Besserung ab. Doch statt von Krise reden seine Manager von «Neuausrichtung». Trotzdem warnen Beobachter: Der Koloss wankt. Time Warner, mit fast 25 Milliarden Dollar Umsatz das grösste Medienhaus der Welt, kommt zu langsam vom Fleck. Seine Struktur, Folge der Riesenfusion von 1989 zwischen dem Verlagshaus Time Inc. und dem Film-, TV- und Musikunternehmen Warner Brothers, ist morsch. Noch immer belasten 16 Milliarden Dollar Schulden die Bilanz – 220 000 Dollar pro Mitarbeiter.

Kaum zu führen sei dieses Konglomerat, meint das Branchenblatt «Variety». Time Warner, das sind Hunderte von Firmen. Das sind Zeitungen, Zeitschriften, Filmstudios, TV-Sender, Kabelfirmen, Verlage, Plattenlabels, Online-Dienste und Boutiquen. Viele davon zählen zu den Riesen ihrer Branche: Zum Beispiel HBO, der erfolgreichste Pay-TV-Kanal der Welt, in 35 Ländern verbreitet. Zum Beispiel CNN, der globale Nachrichtensender. Zum Beispiel Warner Music, die drittgrösste Musikgruppe. Zum Beispiel Warner Brothers, Nummer vier unter den Hollywood-Studios. Zum Beispiel «Life», Amerikas grösste Illustrierte, «Time», das führende Nachrichtenmagazin, «Fortune», das Wirtschaftsheft oder «Sports Illustrated».

Werfen die Kabelfernsehkanäle wie CNN oder HBO satte Gewinne ab, verbuchen Film- und vor allem Musikabteilungen Verluste. Der Konzern, sagt eine leitende Mitarbeiterin, hat «stark an Dynamik eingebüsst». Intrigen und Rivalitäten schwelen zwischen den einzelnen Firmen, ebenso auf den Chefetagen. Statt Führungskultur herrsche bei Time Warner ein veritabler «Bürgerkrieg», vergleichbar mit den grausamen Shakespeare-Dramen, so die deutsche «Woche».

Gleichwohl entwarnt Time Warners Chairman Gerald Levin, 57, der das Unternehmen seit 1993 leitet. Er entwirft viel versprechende Visionen und feiert die stetige Gesundung der Firma. 700 Millionen Dollar Schulden habe er 1997 zurückbezahlt, bis Ende dieses Jahres werde die Schuldenlast weiter reduziert. Recht gibt ihm die neuste Einschätzung der Rating-Agentur Fitch Investor Services. Die erhöhte soeben die Kreditwürdigkeit des Konzerns.

Andere Analysten sind vorsichtiger. Denn: Der Schuldenabbau ist durch Verkäufe unrentabler Vergnügungsparks und Satellitenkanäle zu Stande gekommen.

Besonders angeschlagen sind die Musik- und die Filmabteilung, die zusammen rund die Hälfte des Konzernumsatzes erwirtschaften. Die Gewinne von Warner Music sanken im ersten Quartal um 21 Prozent. Hauptsächlich, weil es den Managern nicht gelungen ist, die Altstars durch Jungtalente zu ersetzen. Abgesehen von Jewel konnte Warner in den letzten Jahren keinen Neustar etablieren, und bei neuen Stilen wie Techno oder Hip Hop hat die Firma ein Manko.

Ein Problem, das auch Warner-Bros.-Film belastet. Das glamouröse Hollywood-Studio – 1923 gegründet und Produktionsstätte von Klassikern wie «Casablanca» – verschlief die neunziger Jahre komplett. Während die Konkurrenz neue Regie- und Schauspieltalente unter Vertrag nahm, ständig neue Rezepte ausprobierte und in Nischen wie den unabhängigen Film expandierte, blieb Warner alten Formeln treu. Man drehte teures Starkino mit verblichenen Gesichtern aus den Achtzigern. Statt mit der Zeit zu gehen, setzte Warner zu oft auf die gleichen Genres: Komödie und Action. Doch eine Julia Roberts oder einen Mel Gibson mag das wichtigste Publikumssegment der 16- bis 25-Jährigen nicht mehr sehen. Beliebte Jungstars dienen anderen Studios. Regie führen bei Warner Regisseure wie Clint Eastwood oder Costa-Gavras, die ihren Zenit überschritten haben. Dazu erhalten sie allzu viele Freiheiten. Muss bei Disney jedes Drehbuch, jede Kameraeinstellung und jeder Dollar von mehreren Produzenten abgesegnet werden, können Warners Regisseure tun und lassen, was sie wollen.

Bei etlichen Grossprojekten endete das in einem Fiasko. Warners jüngste Filme «Mad City» und «Midnight in the Garden of Good and Evil» floppten. Der vierte Teil der «Batman»-Serie, einst einträglichstes Vehikel von Time Warner, lag mit 100 Millionen Dollar Umsatz weit unter den Erwartungen. Wirklich schlimm wurde es für Kevin Costner. Seine fast 100 Millionen Dollar teure Zukunftsvision «The Postman» spielte eben mal 18 Millionen ein.

Jetzt, prophezeit die «New York Times», dürften Köpfe rollen. Die Chefs von Warner Brothers, Robert Daly und Terry Semel, zuvor jahrelang ein Erfolgsteam, seien ausgelaugt. Vom Popmusikgeschäft, das ihnen ebenfalls untersteht, hätten sie nur wenig Ahnung. Noch hält Levin zu ihnen. Der jetzt in der Schweiz startende Film «U. S. Marshals» habe «ganz ordentlich» abgeschnitten. Man könne bei Warner Brothers vorwärts blicken.

Zukunft heisst die Durchhalteparole bei Time Warner. Und die Zukunft hängt am Netz. Chairman Levin möchte vermehrt ins Internet investieren. Denn, so glaubt der Kabelfanatiker, das grosse Geschäft mache man mit Verbreitungsmedien. Davon überzeugt hatte ihn der zweite Mann im Konzern: Milliardär und Jane-Fonda-Gatte Ted Turner. 1996 kaufte Time Warner dessen Turner Broadcasting, eine Kabelfernsehfirma, die dank CNN weltbekannt ist. Heute beschreibt Levin die Fusion als Traumhochzeit. Turner Broadcasting besitzt diverse Kabelnetze – Time Warner liefert Filme und Fernsehserien, mit denen die Netze zu füllen sind. Eine ideale Symbiose.

Gewinnträchtig ist sie noch nicht. Das Kabelgeschäft lief eher harzig an. Im ersten Quartal dieses Jahres schrieb WB Network 38 Millionen Dollar Verlust. Ein 1994 mit viel Werbeaufwand lanciertes interaktives Testprojekt in Florida, bei dem die Zuschauer ihre Filme per Knopfdruck in die Stube holen konnten, wurde Ende letzten Jahres wieder eingestellt. Zu gering war das Interesse des Publikums.

Nichtsdestotrotz bastelt Time Warner weiter an der Zukunft der Television. Ihr Name: Full Service Network. Auf 500 Kanälen sollen künftig alle Tätigkeiten des Alltags von der Stube aus via Bildschirm bewältigt werden können. Der interaktive Flimmerkasten würde dann zum Bildtelefon, zur Bank, zum Shoppingcenter, zum Kino und zum Fernsehgerät. Vorerst wartet die Kundschaft ab. Eine Umfrage ergab, dass nur gerade 25 Prozent der Amerikaner bereit sind, für den Anschluss an ein Full Service Network Geld auszugeben. «Die Leute haben zu viele, nicht zu wenige Informationen», sagt der kalifornische Internet-Kritiker Clifford Stoll.

Klappts mit dem Netz nicht, hat Time Warner noch die Welt. Den Märkten ausserhalb der USA gehöre die Zukunft, betont Levin in fast jedem Interview. Galt der US-Unterhaltungsindustrie das Auslandgeschäft noch bis Ende der achtziger Jahre als Nebeneinkunft, spricht Hollywood heute begeistert von «Overseas». Die dort erzielten Umsätze übertreffen bereits die amerikanischen. Seit dem Mauerfall ist Deutschland zweitwichtigster Markt. Time Warner hat hier unter anderem Anteile an N-TV und Viva. In Osteuropa steigen die Erträge rasant, in China werde bald über eine Milliarde Menschen US-Entertainment kaufen, erwarten die Strategen.

Time Warner will mit der für das Unternehmen typischen vertikalen Strategie dabei sein. Weltweit soll von der Quelle an verdient werden: Warner verfilmt Romane aus den konzerneigenen Buchverlagen, Warner Music liefert den Soundtrack, das Resultat läuft in Time-Warner-Kinos und später auf Time-Warner-Fernsehkanälen. So beteiligte sich der Riese soeben an der australischen Kinokette Village Roadshow, die auch in der Schweiz Mehrfachkinos plant. In Asien stellt er eigene Kinos auf. In Lateinamerika kauft er sich in Kabelnetze ein. Und in Hollywood entstehen die Filme dafür. Noch immer lagern dort die Warner-Klassiker. Bald schon dürfte Humphrey Bogart in «Casablanca» zu jedem Zeitpunkt irgendwo auf der Welt mit rauchiger Stimme «Play it again, Sam» knattern.

Die Konzernspitze
Gerald Levin: Time-Warner-Chairman. Leitet das Unternehmen seit 1993.
Ted Turner: Der zweite Mann im Konzern. Brachte CNN zu Time Warner.

Musikgeschäft: Anschluss verpasst
Madonna: Habe ihre neuste Produktion zu spät abgeliefert, wirft man ihr bei Time Warner vor. Altstar Eric Clapton: Den Managern ist es nicht gelungen, junge Stars zu etablieren. Bei neuen Stilen (Techno, Hip Hop) hinkt Time Warner hintennach.

Filmgeschäft: Teure flops
Der Klassiker «Casablanca» (mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman) entstand in den Studios von Warner-Bros. Den alten Rezepten blieb man dort bis heute treu.
Kevin Costner in seinem Film «The Postman». Die Produktion kostete fast 100 Millionen Dollar, eingespielt hat die teure Zukunftsvision gerade mal 18 Millionen Dollar.

«Time»: Die Geburt einer Institution

Neuer Journalismus
Wöchentlich erscheinende Nachrichtenmagazine wie FACTS gibts seit genau 75 Jahren. Damals gründeten der Missionarssohn Henry Luce und sein Studienfreund Briton Hadden in New York ihr Magazin «Time». Geboren war eine Institution, erfunden eine Art Journalismus, mit der nicht nur Neuigkeiten rapportiert, sondern auch interpretiert werden sollten.

Während Hadden ein unterhaltendes Magazin für die Mittelklasse wollte, dachte Henry Luce eher an ein Verbindungsstück zwischen Elite und Mittelklasse. Mit dem Heft wollte er elitäre politische und moralische Ideen erklären sowie Amerikas News-Hunger stillen.

Anfänglich lenkten Luce und Hadden «Time» gemeinsam – bis Hadden 1929 starb. Bis zum Tod von Luce 1967 machte er den ständig wachsenden Konzern Time Inc. zu einem der grössten Verlagshäuser der Welt. Im Zentrum des Magazins «Time» standen stets Weltgeschehen und US-Politik. Seit der anhaltenden Boulvardisierung der Presse hievt «Time» vermehrt Leute wie Lady Di, Monica Lewinsky oder minderjährige Mörder aufs Cover. Weitgehend gleichwertig behandelt «Time» gedruckte und im Internet publizierte Inhalte. Nicht zuletzt deshalb wurde vor zwei Jahren Walter Isaacson zum neuen Chefredaktor gewählt. Journalistische Erfahrungen brachte er wenig mit. Aber: Er baute die Internet-Dienste von Time Warner auf.