Von Peter Hossli
Ronald Reagan regierte im Weissen Haus, der Dow Jones machte aus vifen Uni-Abgängern in Kürze Millionäre, im Kino aber schlitzten grimmige Meuchelmörder jungfräulichen Gymnasiastinnen die Bäuche auf: Wie nie zuvor florierte in den achtziger Jahren das Geschäft mit bluttriefendem Horror. Dann krachte die Börse, Reagan ging in Pension – und die grusligen Streifen verschwanden in den Regalen der Videotheken. Horrorfilme mochte niemand mehr sehen.
Nun, mit Clinton als Präsident und einer fiebrigen Börse, erlebt das Genre des Grauens eine Renaissance, zurechtgebogen für die ausgehenden Neunziger: postmodern-beliebig, nicht originell, aber perfekt unterhaltend.
Auf Breitleinwand zu sehen ist ab dieser Woche der Horrorfilm «Scream», inszeniert von Wes Craven, 57, jenem Mann, der zu Beginn der Achtziger neben John Carpenter Schocker wie «Nightmare on Elm Street» zu Klassikern der populären Teenagerkultur von damals machte. Fürs Kino erfanden Carpenter und Craven den Babysitter-Mörder, jenen Fiesling, der in Kleinstädten jungen Frauen an die Eingeweide ging, die mit Windelnwechseln ihr Taschengeld aufbesserten.
Mit «Scream», in den USA einer der erfolgreichsten Horrorfilme aller Zeiten, rettet Craven jetzt sein Genre in die Gegenwart – ähnlich wie Quentin Tarantinos «Pulp Fiction» den Gangsterfilm wieder belebte. Wenn auch brachialer als Tarantino, gelingt Craven mit «Scream» eine vergleichbare Dekonstruktion seines Genres: Stilsicher reiht er Zitat an Zitat, lustvoll und ironisch schöpft er aus eigenen Arbeiten und den Werken seiner Kollegen. Das erste weibliche Opfer lässt er vom Mörder gestellte Quizfragen zur Geschichte des Horrorfilms beantworten. Als sie nicht weiss, wer im Film «Friday the 13th» wen tötete, stirbt umgehend der Boyfriend.
Um ersten Sex, Stunk an der Schule, Horrorfantasien und Vorabendserien im Fernsehen dreht sich das Leben der «Scream»-Figuren – Themen, wie sie Craven vor zehn Jahren schon in Horrorfilmen verstaute. War er damals noch frei von Ironie, paart er hier Schock mit zynischem Augenzwinkern. «Scream» spielt in einer schmucken Kleinstadt. Ein Massenmörder stellt High-School-Schülerinnen nach, die eng anliegende Sweatshirts tragen und ihre Jungfräulichkeit gegen das eifrige Drängen der Burschen so lange wie möglich bewahren möchten.
Ständig frotzeln die bedrohten Schüler über die standardisierten Regeln des Horrorfilms. Regisseur Craven aber setzt diese Regeln gezielt ein: Sex bedeutet Tod; wer sagt «ich komme sofort zurück» wird nie lebendig zurückkommen; wer Alkohol trinkt und Drogen nimmt, hat kaum eine Chance; wer sich versteckt, stirbt genauso unbarmherzig wie einer, der telefoniert.
Weit über 100 Millionen Dollar spielte «Scream» in den USA ein. Rekordergebnis im Gruselbereich. Dieser Erfolg sowie die Wiedergeburt des lange Zeit an schweren Imageproblemen leidenden Horrorgenres hat neben Craven einen zweiten Namen: Miramax, die 1979 von den Brüdern Bob und Harvey Weinstein gegründete New Yorker Produktions- und Verleihfirma. Die beiden Produzenten, die dank ihren Vermarktungstricks angeblich Sand in der Sahara verkaufen könnten, finanzierten «Scream» und brachten ihn in die Kinos.
Ungewöhnlich für die Weinsteins, die aus ursprünglich kleinen Filmen wie «Il Postino» oder «The English Patient» weltweite, mit zahlreichen Oscars dekorierte Hits formten. Denn mit «Scream» begab sich das Bruderpaar auf unbekanntes Terrain. Bis vor kurzem galten sie als unangefochtene Meister des kleinen und feinen Kinos. Ihre mit bescheidenen Budgets produzierten Filme wurden jeweils zuerst in Los Angeles und New York und erst allmählich im Rest des Landes lanciert. 1993 gründeten sie die Miramax-Tochterfirma Dimension Films. Seither agieren sie wie die Grossen Hollywoods, produzieren und verleihen Horror-, Action- oder Sciencefiction-Ware.
«Scream» kostete 15 Millionen Dollar. 20 weitere Millionen flossen in die Vermarktung. USA-weit gelangte der Film gleichzeitig in 2000 Kinos. Wurde bei Horrorfilmen früherer Tage gänzlich auf Stars verzichtet, heuerten die Weinsteins für «Scream» bekannte Gesichter aus Film und Fernsehen an. Drew Barrymore aus «E. T.», die anderen aus populären amerikanischen Vorabendserien.
Nicht das intellektuelle «My Left Foot»-Publikum der Lower East Side, sondern die Mall-Besucher in Arkansas, Wyoming oder Kentucky peilten die Weinsteins im Dezember 1996 damit an. Mit Erfolg: «Scream» spielte bereits am ersten Wochenende 15 Millionen Dollar ein. Kultartige «Scream»-Klubs entstanden. Vier- oder fünfmal musste man sich den Film anschauen, um an «Scream»-Partys über Details und Hintergründe des Films spekulieren zu können.
Vergangenen Juni waren 500 000 Videokassetten zu einem Stückpreis von 20 Dollar binnen eines Monats verkauft. Bereits arbeitet Wes Craven an einer Fortsetzung, die im Dezember in den USA anläuft. «Scream: The Sequel» handelt von Jugendlichen, die ihre Kollegen ermorden, weil sie sich pausenlos «Scream» im Fernsehen anschauen.
Wird beim Mutterhaus Miramax mutig auf originelle Stoffe gesetzt, programmiert man bei Tochter Dimension die Hits minuziös. Mit Fortsetzungen und so genannten Genre-Filmen, Werken, deren Formeln erprobt sind: risikofreie, actionreiche und vor allem Angst einflössende Konfektionsware mit Stars als Publikumsköder.
Auf Horror allein setzt Dimension allerdings nicht. Kürzlich kaufte Bob Weinstein die Fortsetzungsrechte am erfolgreichen Schwarzenegger-Sciencefiction-Film «Total Recall» und an «Rambo», jener Serie, in der Sylvester Stallone noch einmal den Vietnam- und Afghanistankrieg für Amerika führte – und siegreich abschloss. Nächstes Jahr möchte Weinstein mit Stallone und Schwarzenegger teure Fortsetzungen drehen. Dann werden Bob und Harvey Weinstein das Filmgeschäft mit dem unabhängigen Mainstream endgültig dekonstruiert haben.
Kleine Spezialitäten
Ein wirklich unabhängiges Filmschaffen gibt es in den USA nicht mehr.
Vor der diesjährigen Oscar-Verleihung ging ein Jubelschrei durch die Medien. Vor allem so genannt unabhängige Filme wie «Fargo», «The English Patient» oder «Shine» seien nominiert. Sie hätten dem grossen Hollywood den Meister gezeigt. Qualität triumphiere über Geld, freuten sich die Ächter Hollywoods.
Übersehen hatten sie die Besitzverhältnisse der Produktionfirmen der diesjährigen Oscar-Filme: Sie gehören allesamt den alteingessenen Studios. Universal besitzt Gramercy («Fargo»), Disney bezahlt die Rechnungen bei Miramax («The English Patient»), Warner bei Fine Line Features («Shine»).
Kurz: Das unabhängige US-Kino, das während der achtziger Jahre dank Regisseuren wie Jim Jarmusch («Down by Law) oder Steven Soderbergh («Sex, Lies and Videotape») enorme Erfolge feierte, ist verschwunden.
Alle sieben Studios in Hollywood unterhalten profitable Spezialitätenabteilungen, die Nischenprodukte herstellen und mit hohen Gewinnmargen in die Kinos bringen. So besitzt Sony die Tochter Sony Classics, Fox lässt möglichst kreativ-coole Filme unter dem Label Fox Searchlight produzieren.
Die Produktionsbudgets der abhängig unabhängigen Filme liegen oft weit unter zehn Millionen Dollar. Dementsprechend satt fallen bei einem Publikumserfolg die Gewinne aus.