Europäer zahlen US-Kino

Weil Filme immer teurer werden, sucht Hollywood Partner in Europa und Asien.

Von Peter Hossli

Mitten in der belagerten bosnischen Hauptstadt Sarajevo sinkt eine Frau zu Boden, tödlich getroffen von einem Heckenschützen. Ein britischer Reporter beobachtet die Szene aus sicherer Distanz. Sein amerikanischer Kollege, gespielt von Hollywood-Star Woody Harrelson, eilt herbei und schleppt die Leiche vor laufender Kamera in den Unterschlupf einer Kirche.

Stunden später gehen faszinierende Fernsehbilder der Rettungsaktion um die Welt. Abends feiert der US-Journalist seine waghalsige, aber sinnlose Tat als Triumph über den besonnenen Engländer.

Die Bilder der sterbenden Frau stehen am Anfang von Regisseur Michael Winterbottoms Kriegsdrama «Welcome to Sarajevo», das letzte Woche am Filmfestival von Cannes uraufgeführt wurde. Der Film, von der französischen Presse abschätzig als «kommerzieller Politfilm» bezeichnet, unterstreicht eine Tendenz im Filmgeschäft: die anhaltende Globalisierung. Vor allem aber markiert er das rapide Vordringen der amerikanischen Unterhaltungsriesen nach Europa. In Cannes, dem wichtigsten Umschlagplatz für bewegte Bilder, ist es dieses Jahr zur kommerziellen Verschmelzung zwischen Hollywood und Europa gekommen.

Inszeniert hat «Welcome to Sarajevo» ein britischer Regisseur, produziert wurde er vom englischen Fernsehsender Channel Four und der New Yorker Firma Miramax, Tochtergesellschaft des zweitgrössten Unterhaltungskonzerns Disney. Geschnürt haben die beiden Unternehmen ein Paket, das weltweit kommerziellen Erfolg garantieren soll: Woody Harrelson als zynischer Journalist und Oscar-Gewinnerin Marisa Tomei in einer Nebenrolle sind in den USA bekannte Akteure. Die anderen Hauptrollen verkörpern beliebte britische Schauspieler. Regisseur Winterbottom gilt in Europa als Garant für Qualität. Das Thema des Films – was kann ein Mensch in einer Extremsituation für andere tun? – ist universell, die Bildsprache modern und eigenwillig zugleich. Ein Soundtrack mit poppiger Musik bekannter Interpreten soll die Kinoauswertung zusätzlich beflügeln.

Bereits der Eröffnungsfilm des diesjährigen Festivals, Luc Bessons missglücktes, mit einem Budget von 70 Millionen Dollar aber extrem kostspieliges Sciencefiction-Stück «The Fifth Element», war ein multinationales Grossunternehmen. Vor zwei Jahren handelten in Cannes amerikanische, europäische und japanische Produzenten den Vertrag für den Film bei einem Nachtessen aus. Die japanischen Verleiher investierten damals 10 Millionen Dollar in ein noch unfertiges Drehbuch.

Ihnen genügte, dass der in Japan äusserst beliebte Franzose Luc Besson dereinst Regie führen würde. Die Hauptrolle übernahm der Amerikaner Bruce Willis, überall populärer und volle Kassen garantierender Weltstar. Schliesslich schuf der in Tokio, New York und Paris gleichermassen anerkannte Designer Jean-Paul Gaultier die schrillen Kostüme zum schrillen Film.

Lanciert wurde «The Fifth Element» ebenfalls global. Unmittelbar nach der Premiere in Cannes kam der Film in den USA und in Frankreich in die Kinos.

Während das bisher enttäuschende offizielle Programm des Festivals viele Besucher in Lethargie versetzt, herrscht reges Treiben in den teuren Hotelsuiten an der Côte d’Azur. Dort treffen sich hauptsächlich amerikanische und europäische Produzenten, die kommerzielle Verbindungen eingehen. War die US-Filmindustrie bis vor kurzem noch völlig eigenständig, bemühen sich dieses Jahr selbst grosse Hollywoodstudios um Koproduktionen mit europäischen und japanischen Firmen. Umgekehrt versuchen europäische Produzenten, ihre Projekte kontaktfreudigen US-Firmen schmackhaft zu machen.

Der Grund für die Vereinigten Kinonationen ist profan: Die Produzenten versuchen ihr Risiko zu minimieren. Sie wollen mit der Herstellung von Filmen künftig kein Geld mehr verlieren. Dieses Risiko überlassen sie den Verleihern, die die Filme in die Kinos bringen.

Das Rezept für den garantierten Erfolg für die Produzenten ist einfach. Nicht für fertige Filme, sondern für Drehbücher, manchmal für unausgegorene Ideen unterschreiben Verleiher an den Filmmessen in Cannes, Mailand oder Los Angeles Barschecks in Millionenhöhe. Fällt die erste Klappe, ist der Film oftmals schon vollständig fremdfinanziert. Fällt der fertige Film durch, hat der Verleiher ein Problem, nicht aber der Produzent.

Da die Nachfrage nach Filmen wächst, steigen in Europa, Nordamerika und vor allem in Asien die Verkaufspreise in ungeahnte Höhen. Früher wurde etwa in den asiatischen Ländern Taiwan, Singapur oder Malaysia für Hollywoodfilme oft weniger als eine halbe Million Dollar für die Verleihrechte bezahlt. Heute berichten multinational operierende Firmen von Vertragsabschlüssen in Asien von weit über 10 Millionen Dollar. Zudem hat der Fall der Mauer einen zusätzlichen und lukrativen Markt in Osteuropa eröffnet, den Hollywood alsbald erobern möchte, auch wenn das Geld da bislang spärlich fliesst.

Noch schneller als die Einkünfte vermehren sich aber die Kosten. Das durchschnittliche Produktionsbudget eines Hollywoodfilms stieg in den vergangenen fünf Jahren von 20 auf 35 Millionen Dollar. Für aufwendige Actionspektakel mit Stars in der Hauptrolle rechnen die Buchhalter der Traumfabrik mit Aufwänden im Bereich zwischen 100 und 200 Millionen Dollar. Tendenz steigend.

Bezahlen kann oder will das niemand mehr allein. Das finanzielle Risiko, geht die Überlegung der grossen US-Produktionsfirmen, teilt man besser auf. Seit einiger Zeit schon spannen daher Hollywoodstudios wie Paramount, Warner oder Fox in ungewöhnlichen Allianzen zusammen.

Neuerdings bemühen sie sich zusätzlich um Partner in Europa. Da sind die Amerikaner herzlich willkommen. An US-Filmen wollen sich scheinbar alle beteiligen. Täglich berichten die Festivalzeitungen in Cannes von Vertragsabschlüssen zwischen namhaften US-Firmen und grossen europäischen Produktions- oder Verleihgesellschaften. So baut die Disney-Tochter Miramax ihre Zusammenarbeit mit Channel Four aus; Disney selbst verkaufte in Cannes alle internationalen Verleihrechte eines aufwendigen Actionfilms, der im kommenden August gedreht und 1998 in die Kinos gelangen wird, an eine britische Firma; Universal Pictures liess verlauten, es seien mehrere Deals mit französischen und britischen Firmen ausgehandelt worden; Warner beteiligt sich am nächsten Projekt des französischen Regisseurs Claude Miller; und US-Regisseur Martin Scorsese zeigte potenziellen Financiers zehn Minuten seines unfertigen Tibet-Films «Kundun».

Während die Amerikaner mit solchen Kooperationen vornehmlich ihren Markt vergrössern, erhoffen sich die Europäer einen Ausbruch aus ihren festgefahrenen Strukturen. Staatliche wie gesamteuropäische Filmförderung haben weder Qualitäts- noch Publikumskino zu Stande gebracht. Europäische Grossproduktionen entpuppten sich meist als Flops. Seit Jahren werden sie als ungeniessbarer «Eurobrei» geschmäht.

Die Amerikaner sollen das nun ändern. Briten, Franzosen, aber auch die Deutschen erhoffen sich eine massive Steigerung der Publikumszahlen oder gar einen Durchbruch auf dem für ausländische Filme so schwierigen US-Markt.

Es scheint zu funktionieren. Luc Bessons «The Fifth Element» erzielte an den Kinokassen in Frankreich, aber auch in den USA am Startwochenende Rekordergebnisse. In beiden Ländern steht der Film auf Platz eins der Hitparade.