Lame Duck

Nach der Obamacare-Schlappe im Kongress droht das politische Programm von Trump wie ein Kartenhaus einzustürzen. Noch nie stand ein amerikanischer Präsident so früh so klar im Abseits.

Von Peter Hossli

Das Debakel zeichnet sich kurz nach Mittag ab, in Washington D. C. Paul Ryan (47) hetzt vom Kapitol direkt ins Weisse Haus. «Herr Präsident, das wird knapp», sagte der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus letzten Freitag zu Donald Trump (70). «Wir haben nicht genug Stimmen.»

Trump ahnt: Es droht Ungemach.

Just schickt er seinen Vizepräsidenten Mike Pence (57) ins Kapitol. Abtrünnige Republikaner soll er bearbeiten, damit sie doch noch Ja stimmen zu Trumps Krankenkasse.

Das Werben nützt nichts. Konservativen Republikanern ist das neue Gesetz zu liberal. Liberalen Republikanern ist es zu konservativ. «Wir haben die Stimmen immer noch nicht beisammen», sagt Ryan um 15 Uhr am Telefon zu Trump.

Der Deal-Macher patzt beim ersten Deal

Präsident und Parlamentarier beschliessen, die Übung abzublasen und nicht abstimmen zu lassen. So verhindern sie eine riesige Schlappe, fahren aber eine grosse ein. «Obamacare bleibt wohl eine Weile bestehen», sagt Ryan.

Ein harmloser Satz, den Historiker vielleicht an den Anfang vom Ende von Trumps Präsidentschaft setzen.

Seit er im Juni 2015 seine Kandidatur angekündigt hat, verspricht er, Obamacare zu zerstören, die wichtigste Leistung von Vorgänger Barack Obama (55): eine Krankenkasse für alle Amerikaner. Sonderlich beliebt ist Obamacare nicht. Das Gesetz hat Schwächen, versicherte aber immerhin zusätzlich 40 Millionen Menschen.

Dessen Ende sowie eine umfassende Steuerreform sind Trumps zentrale politische Ziele.

Am ersten Ziel ist er nun gescheitert. Ausgerechnet der grosse Dealmaker patzte beim Deal.

Er, der sagte, er werde Washington umkrempeln und wie ein CEO regieren, erreicht nicht einmal das, worauf er sich während eineinhalb Jahren vorbereitet hat. «Er wusste nicht, was er tut», sagt Rich Lowry (48), Chefredaktor des einflussreichen konservativen Magazins «National Review». Er wertet es als «kolossalen Fehler», gleichzeitig ein Gesetz abschaffen und ein neues verabschieden zu wollen. Und das in vier Wochen. «Manchmal benötigt der Kongress vier Wochen, um eine Poststelle neu zu benennen», sagt Lowry. «Wer soll da ein Krankenkassengesetz neu schreiben?»

Trump hat keine Hausmacht

Zumal Trump offenbar nicht vorbereitet war. Er hat geblufft. Er hat gedroht. Aber substanziell hat er nichts beigetragen. «Ich habe noch nie eine US-Regierung gesehen, die so inkompetent ist wie jene, die jetzt im Weissen Haus sitzt», sagt der demokratische New Yorker Senator Chuck Schumer (66). «Es ist ein Debakel», so Lowry – und spricht für viele andere Konservative.

Trump hat keine Hausmacht. Ins Weisse Haus trug ihn eine populistische Welle. Echten Rückhalt in der eigenen Partei hatte er nie. Ihm fehlt ein Flügel im Kongress, der sich bedingungslos hinter ihn stellt.

Nun aber bröckelt Trumps Zuspruch. Von «Meuterei bei den Republikanern» schreibt die «New York Times».

Der Aufstand begann letzten Montag. FBI-Direktor James Comey (56) sagte unter Eid, Trump sage in Tweets nicht die Wahrheit. Schlimmer: Die Bundespolizei ermittle, ob es während der Wahlen Absprachen zwischen Trumps Beratern und russischen Agenten gegeben habe. Macht das FBI so etwas publik, hat es hinreichende Hinweise.

Ein Umstand, der das republikanische Lager trifft wie ein Blitz. Viele Republikaner fürchten die Nähe zu Trump wie Graf Dracula das Sonnenlicht: zu einem Lügner, der allenfalls eine Marionette der Russen ist.

Was nichts Gutes verspricht für die politische Zukunft des Präsidenten. «Es ist eine Fantasie zu glauben, Trump könne wie angetönt bis August die Steuerreform verabschieden», so Lowry. «Steuersenken ist genauso kompliziert wie die Krankenkasse.»

Gewohnt bissig reagiert Trump auf das Scheitern der Krankenkassen-Reform. Obamacare werde «explodieren und implodieren, das wird hässlich werden».

Trump verkümmert zum Papiertiger

Damit zeichnet Trump ein Bild, das sich auf den Zustand seiner Präsidentschaft legen liesse. Schafft es der New Yorker Baulöwe nicht, die Steuern zu senken, stürzt sein politisches Programm wie ein Kartenhaus ein.

Fallen lassen würden ihn die Strippenzieher, die Reichen und Superreichen, die tiefere Steuern für ihre Einkommen, ihre Vermögen und ihre Konzerne fordern. Liefert Trump sie nicht, schmelzen wohl die Aktienkurse. Und er muss 2020 nicht mehr antreten.

Konservative wollen einen konservativen Herrn im Weissen Haus. «Es droht ein Bruch zwischen Präsident und Republikanern im Kongress», sagt Lowry. Nie zuvor würde ein amerikanischer Präsident so früh zur «lame duck», zur lahmen, also wirkungslosen Ente.

Trump, der wie eine Bulldogge ins Weisse Haus stürmte, verkümmert zum Papiertiger. Den Mexikanern drohte er, den Muslimen, den Chinesen. Womöglich bleiben es Schaumschlägereien.

Die Mauer entlang der mexikanischen Grenze? Ihr Bau ist höchst gefährdet.

Der Reisestopp für Bürger aus einem halben Dutzend muslimischer Länder? Bundesrichter haben bereits zwei Dekrete für illegal erklärt. Trump scheint die Kraft zu fehlen, dagegen vor Gericht zu ziehen.

Handelsschranken gegen China, sind sich Ökonomen einig, würden vor allem den USA schaden – und haben keine Chancen im Kongress.

Nach dieser Woche wirkt Trump ganz allein.