Liest Obama meine Mails?

Fast alle amerikanischen Tech-Konzerne geben E-Mails, Chats und Fotos an Spione weiter – jedoch nur von Ausländern. Zum Schutz der USA, sagt ihr Präsident.

Von Peter Hossli

Google sammelt Daten von Menschen, die sich im Internet tummeln. Was sie suchen, lesen, schreiben. Mit diesen Daten verdient Google viel Geld. Werber zahlen extra. Denn Google zeigt ihre Anzeigen all jenen, die sie aufgrund ihres Verhaltens wirklich beachten.

Amerikanische Spione sammeln Daten von Menschen, die sich im Internet tummeln. Was sie suchen, lesen, schreiben. Diese Daten setzen Agenten zu Verhaltensmustern zusammen, hinter denen sich Terroristen verbergen könnten.

Nun ist bekannt geworden: Spione und Google harmonieren.

Der britische «Guardian» enthüllte: Firmen wie AOL, Microsoft, Yahoo! und Apple händigen der Regierung E-Mails und Chat-Protokolle aus. Facebook und Google richteten sogar eigene Portale ein, auf denen sich Spione der National Security Agency (NSA) bedienen können, so die «New York Times».

Mit Ausnahme von Twitter hätten alle grossen Technologiefirmen am 2007 lancierten Programm «Prism» mitgemacht, berichtet die Zeitung. Was weltweit bei Datenschützern eine Frage auslöst: Liest US-Präsident Barack Obama unsere Mails? Klar ist: Wenn er will, kann er das tun, und es ist sogar legal. Denn: Was Ausländer über amerikanische Internetdienste tun, dürfen US-Spione einsehen.

Ausdrücklich schützt die US-Verfassung die Privatsphäre aller Personen, die innerhalb der USA leben – von US-Bürgern wie von Ausländern. Nur mit richterlicher Verfügung dürfen ihre Telefone abgehört, ihre E-Mails gelesen werden.

Anders ergeht es Ausländern, die sich ausserhalb der USA aufhalten. Der noch unter George W. Bush verabschiedete Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) zwingt amerikanische Konzerne, ihre Daten auf Anfrage zu liefern.

Will ein NSA-Spion E-Mails einer Person lesen und ihre Social-Media-Botschaften einsehen, kann er Facebook oder Google, Microsoft oder Yahoo! anzapfen. Letztes Jahr gingen bei Techfirmen insgesamt 1856 FISA-Anfragen ein, sechs Prozent mehr als 2011. Jeden Tag fängt die NSA 1,7 Milliarden Stücke digitale Kommunikation ab. Sie gelangen in ein gigantisches Datenzentrum ausserhalb von Washington. Es ist zu klein. Deshalb errichtet die NSA in der Salzwüste von Utah einen neuen, grösseren Komplex. Es seien noch mehr Daten nötig, sagen Sicherheitsexperten. «Um die Nadel im Heuhaufen zu finden, braucht es einen Heuhaufen», sagte Jeremy Bash, einst Stabschef bei der CIA.

Einzig um die Sicherheit seiner Bürger gehe es ihm, rechtfertigt sich Präsident Obama. So hätten seine Spione im September 2009 einen Anschlag nur vereitelt, weil sie E-Mails aus Pakistan abfingen. Die Boston-Bomber seien dank Datenanalysen rasch gefasst worden.

Noch als Senator und später als Kandidat fürs Weisse Haus hatte Obama solche Überwachung scharf kritisiert. Nun nimmt er sie in Kauf. «Man kann nicht 100 Prozent Sicherheit haben und 100 Prozent Privatsphäre.» Als bekannt wurde, dass US-Beamte Telefonlisten von Amerikanern analysieren, beruhigte er salopp: «Niemand hört Ihnen zu, wenn Sie telefonieren.»

Die Wogen glättete er nicht. Obama fällt von Skandal zu Skandal. Der einst als Hoffnungsträger angetretene Demokrat wird mittlerweile mit dem finsteren, im Watergate-Sumpf untergangenen Ex-Präsident Richard Nixon verglichen.

Republikaner suhlen sich in Schadenfreude. «Obama wurde gewählt, weil er sich gegen Bushs Anti-Terror-Programm stellte», so der konservative Autor Rich Lowry. «Jetzt macht er das Gleiche – aber viel aggressiver.»