Der Spion, der in die eigene Fall ging

Der Skandal um zwei liebestolle Generäle entlarvt die USA als eifrigen Überwachungsstaat.

Von Peter Hossli

Freitag, vorletzte Woche. Scott Broadwell lädt Gattin Paula im romantischen Gasthof zum Dinner ein. Morgen hat sie Geburtstag, wird 40. Kaum ist die Vorspeise serviert, erstarrt Scott. Pau la, meldet eine lokale TV-Station, war die Geliebte des Generals.

Am Tag zuvor: General David Petraeus wird 60. Statt zu feiern, lässt er sich ins Weisse Haus chauffieren. Er meldet Präsident Barack Obama (51) seinen Rücktritt als Direktor des Geheimdienstes CIA.

Fortan campieren Horden von Reportern vor einer Villa in Tampa, Florida. Scott und Jill Kelley (37) wohnen hier, ein Ehepaar, das über ihre Verhältnisse lebt und gerne rauschende Feste mit Offizieren feiert. Darüber erfährt nun die Welt jedes Detail.

Etwa, dass General John Allen (58) Tausende von E-Mails an Jill geschickt hatte. Allen steht den US-Truppen in Afghanistan vor. Demnächst sollte er Kommandant in Europa werden.

Die Versetzung liegt auf Eis. Die glanzvolle Karriere von General Petraeus ist dahin, die Ehe der Broadwells wohl futsch. Über die Kelleys lacht die Welt.
Alles nur wegen E-Mails.

Im Fall Petraeus sind wohl keine Staatsgeheimnisse verraten, Gesetze nicht verletzt worden. Gleichwohl schnüffelte die US-Bundespolizei FBI monatelang in privaten elektronischen Postfächern rum. Weil sie das in Amerika darf.

Darum geht es letztlich im Fall Petraeus: Nichts ist mehr privat, was über amerikanische Server läuft. Nicht mal die Staatsschützer sind sicher. Im eigenen Netz verfingen sich der höchste Spion des Landes und ein Offizier, der in Afghanistan Taliban jagte.

Seit den Terror-Attacken vom 11. September 2001 sind die USA ein Überwachungsstaat. Der Patriot Act, unterzeichnet von Präsident George W. Bush am 26. Oktober 2001, und zuletzt am 26. Mai 2011 von Obama erneuert, gibt Ermittlern weitreichende Möglichkeiten, in vermeintlich private Räume einzudringen. «Geheim» steht seit 9/11 auf fast jedem Dokument der US-Regierung. Wer ein solches Papier hat, wird verdächtigt. Sofort saugen Ermittler Banktransfers oder E-Mails an, hören Telefongespräche mit, lesen SMS-Nachrichten.

Dabei halten die USA das Recht auf Privatsphäre seit Jahrhunderten hoch. Ausdrücklich schützt die amerikanische Verfassung die Bürger vor staatlichen Übergriffen. Sie verbietet willkürliche Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahmung von Eigentum.

Dass dies beim digitalen Eigentum nicht mehr gilt, ist der wahre Skandal im Petraeus-Skandal. Dass Mails einer eifersüchtigen Geliebten eine Staatsaffäre lostreten können.

Wie kam es dazu? 2006 lernten sich Paula Broadwell und General David Petraeus an der Harvard University in Boston kennen. Beide hatten die Militärakademie West Point absolviert, die härteste Offiziersschule der Welt. Sie mochten sich, trotz 20 Jahren Altersunterschied. Oder gerade deswegen. Sie erzählte ihm von ihrer Doktorarbeit. Er von Ideen zum Irak-Krieg. Sie wollte eine Biografie über ihn schreiben, er liess sie gewähren. 2010 nahm er sie nach Afghanistan mit. Ab November 2011 lebten sie ihre geheime Liebe. Vor vier Monaten stoppten sie die Affäre – einvernehmlich.

Vorher schon hatte Broadwell die Eifersucht gepackt. Rasend vor Wut sandte sie sechs anonyme Mails an Jill Kelley. Unpassend würde diese mit Petraeus flirten, ihn «unter dem Tisch» berühren. Kelley fühlte sich bedroht und wandte sich an einen befreundeten FBI-Agenten. Er drängte die Bundespolizei, wegen Cyber-Stalking zu ermitteln.

Nach US-Recht liegt Cyber-Stalking vor, wenn das Opfer «begründete Angst hat um Leib und Leben», wenn Mails «emotionalen Stress» auslösen. Ob dies zutraf, ist bisher nicht klar.

Klar ist: FBI-Agenten setzten sich an Kelleys Computer. Zuerst fanden sie Tausende von Mails, die sie mit General Allen ausgetauscht hatte. Danach orteten sie Broadwell als Autorin der anonymen Droh-Mails. Fortan überwachten sie sämtliche ihrer Mails – ohne ihr Wissen.

Beim Suchmaschinen-Riesen Google hatte sie ein Gmail-Konto eingerichtet. Dort entdeckte das FBI elektronische Liebesbriefe zwischen General und Biografin. Dabei hatten sie sich keine Mails zugesandt. Stattdessen legten sie die Botschaften im Ordner «Entwürfe» ab. Zu diesem hatten beide Zugang. Petraeus und Broadwell wussten: jede Nachricht, die durch das Internet zischt, hinterlässt eine dicke elektronische Spur. Das hofften sie mit den Entwürfen zu verhindern.

Doch der Trick schützte ihre Privatsphäre nicht. Legal und unerkannt kann das FBI in dieser digitalen Sphäre schnüffeln. Zumal die Privatsphäre preisgibt, wer US-Internet-Dienste wie Gmail verwendet. Das geschieht mit der Zustimmung zu den Benutzerbedingungen. Einsehbar sind Daten auf Cloud-Diensten wie Dropbox, ebenso Mails bei Apple, Yahoo! und Microsoft.

Weltweit legt Google die Daten verdächtiger Kunden offen. Im ersten halben Jahr 2012 gingen beim Internet-Konzern total 20938 Anfragen von staatlichen Ermittlungsbehörden ein. Ins Visier gerieten 34614 E-Mail-Konten. Je eines gehörte General Petraeus, ein anderes Paul Broadwell. Fast die Hälfte der Anfragen bei Google stellten amerikanische Staatsschnüffler.

Google bewilligte 90 Prozent der US-Anträge. Im Vergleich: Schweizer Ermittler beantragten die Einsicht in 113 Konten in der Schweiz. Bei 68 Prozent oder 76 dieser Anträge willigte Google ein. Keinen Zugang zu Kundendaten gewährte der Konzern Russland und der Türkei.

Petraeus beteuert sein Bedauern. Obama lobt den General. Grossmütig drückte er die Hoffnung aus, die Affäre sei «eine einzige Nebensächlichkeit einer sonst ausserordentlichen Karriere». Der Familie Petraeus wünschte er, «dass sie die Sache bald hinter sich lassen kann». Was Obama verschweigt: Er selbst hat dem FBI weitergehende Rechte zur Überwachung digitaler Nachrichten gegeben. Die Folge: Täglich legen US-Ermittler mit Hilfe von Computern 1,7 Milliarden Mails und Telefongespräche auf Servern ab.

Bestimmt auch die kurze Mail, die Scott Broadwell vorletzten Freitag an Freunde der Familie versandte: «Paulas Geburtstagsparty am Samstag ist abgesagt. Danke.»