Politisches Erdbeben in Amerika

Im Schatten der US-Präsidentschaftswahlen zeichnet sich im Parlament ein Erdrutschsieg der Demokraten ab. Mit radikalen Folgen für Amerika.

Von Peter Hossli

kongress.jpgNeben dem Capitol in Washington, in einem weissen Marmorgebäude, trafen sich letzte Woche republikanische Königsmacher zum Krisengipfel. Ab sofort, entschied die Parteispitze hinter schweren Holztüren, fliessen neue Spenden nicht mehr in die Kasse von John McCain. Das Geld erhalten republikanische Senatoren, die um ihre Wiederwahl bangen.

Das Weisse Haus, suggeriert der Entscheid, haben die Republikaner abgeschrieben. Zu gross geworden ist Barack Obamas Vorsprung in Umfragen. Abwenden will die Partei nun, was das konservative Magazin «Weekly Standard» als «worst case scenario» beschreibt, als politischen GAU – eine Super-Mehrheit im Senat, die Obama und seiner Partei praktische freie Hand gäbe.

Zusätzlich zum Präsidenten wählt Amerika am 4. November den Kongress. Zur Wahl stellen sich alle 435 Repräsentanten und ein Drittel der 100 Senatoren. In beiden Kammern haben Demokraten Mehrheiten, in der grossen mit 235 zu 199 eine klare, in der kleinen mit 51 zu 49 eine hauchdünne.

Im Zuge der Finanzkrise könnte sich der demokratische Vorsprung dramatisch ausweiten, prophezeien selbst republikanische Analysten. «Der Boden bricht unter unseren Füssen ein», sagte Ronald Reagans einstiger Kampagnenmanager Ed Rollins auf dem TV-Sender CNN. Er rechnet mit zehn republikanischen Sitzverlusten im Senat und 25 im Repräsentantenhaus. «Obama hätte dann alles, um sämtliche seiner Pläne umzusetzen.»

Reicht im Repräsentantenhaus eine einfache Überzahl, sind im Senat 60 der 100 Stimmen nötig, um Gesetze zu verabschieden. Damit lässt sich ein Filibuster brechen, mit dem Minderheiten eine Abstimmung durch Dauerreden blockieren können. Mit 60 Senatoren hätten die Demokraten die absolute Kontrolle. «Das war ein Traum, ein schier unmögliches Ziel», sagt der demokratische Ex-Senator von Georgia, Max Cleland. «Jetzt ist es möglich.»

Zumal fünf Republikaner zurücktreten. Nur einer der Sitze bleibt sicher republikanisch. Indes sind fünf bis acht republikanische Amtsträger gefährdet. Selbst in den konservativen Hochburgen Alaska, North Carolina und Colorado liegen demokratische Herausforderer vorn. Republikanische Stars wie Elizabeth Dole oder Fraktionschef Mitch McConnell fürchten die Abwahl. Der Komiker Al Franken dürfte in Minnesota Norm Coleman verdrängen, einer der zwei Senatoren, die im Sommer die UBS wegen Beihilfe zur Steuerflucht anprangerten.

Nur einmal – zwischen 1964 und 1966 – kontrollierten die Demokraten die Regierung ähnlich robust. Den Grund für das bevorstehende politische Erdbeben sehen Politauguren in der Finanzkrise, die erst im September ihre volle Tragweite entfaltete. Parallel zum Dow-Jones-Aktienindex sackten die Republikaner in Umfragen ab. Geht es der US-Wirtschaft schlecht, strafen Wähler traditionell jene Partei ab, die das Weisse Haus kontrolliert. So ist es wenig überraschend, dass gefährdete republikanische Senatoren die Nähe zu Präsident Bush bewusst meiden.

Derweilen warnen konservative Pauker vor dem dramatischen Linksrutsch. «Erhalten die Demokraten die absolute Macht, werden Staatsquote und Steuern explodieren», sagt Grover Norquist, Präsident der Denkfabrik Americans for Tax Reform. «Sie würgen den Freihandel ab, US- und Weltwirtschaft werden stagnieren.» Das bevorstehende «Ende des Kapitalismus» sagt Mona Charen voraus, die einst für First Lady Nancy Reagan Reden verfasste.

Zumindest geht die Reagan-Revolution zu Ende, unter der Republikaner seit 1980 weite Teile der US-Wirtschaft deregulierten und um jeden Preis Steuern kürzten. Demokratische Parlamentarier möchten das Konzept durch einen neuen New Deal ersetzen. Wie einst nach der Depression sehen sie mehr Aufsicht über die Hochfinanz vor. Um die Wirtschaft anzukurbeln, halten sie staatliche Beschäftigungsprogramme für notwendig. Trotz Rekorddefiziten könnte Obama bald im grossen Stil Parks anlegen sowie Brücken und Strassen bauen lassen. «Das Land driftet nach links ab», so Mona Charen. «Die Frage ist nur, ob der Kurswechsel permanent ist.