Die Macht der Mormonen

Sie sind reich, arbeitsam und gut vernetzt. Jetzt wollen sie ins Weisse Haus. Die geballte Wirtschaftsmacht der Mormonen zeigt Wirkung: Der Präsidentschaftskandidat Mitt Romney hat alle seine republikanischen Konkurrenten in den Schatten gestellt. Ein Schock fürs Establishment.

Von Peter Hossli (Text) und Robert Huber (Foto)

mormonen.gifNichts ist besser als ein Quartalsergebnis, das die Erwartungen übertrifft. Das gilt für börsenkotierte Firmen wie auch für Wahlkampagnen von Präsidentschaftskandidaten. Mitt Romney hat alle überrascht, als er Anfang April seine Wahlkampfkasse öffnete: Der ehemalige Gouverneur von Massachusetts ist mit 23 Millionen Dollar der am besten ausgestattete republikanische Kandidat fürs Weisse Haus.

Der gross gewachsene Mann mit dem Colgate-Lächeln liess die bekannteren Rudy Giuliani (15 Mio Dollar) und John McCain (12,5 Mio) weit hinter sich. Ein Fakt, den «die republikanische Klasse aufwühlt», so das «Wall Street Journal», und bereits erste Effekte zeigt. Romney führt in den neusten Umfragen in New Hampshire, wo die erste parteiinterne Ausmarchung stattfindet, im Rennen der republikanischen Kandidaten. Zudem ging Romney jüngst als Sieger der ersten Debatte der republikanischen Kandidaten hervor. Ed Gillespie, einst Parteichef der Republikaner, gibt offen zu: «Romney hat uns alle überrascht.»

Die Aussage zeugt von Unkenntnis über die einzige hausgemachte amerikanische Weltreligion. Der Kandidat Romney ist zuallererst ein einflussreiches Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (LDS), besser bekannt als Mormonen. Die Religionsgemeinschaft mit Sitz in Salt Lake City, Utah, zählt in den USA 6 Millionen und weltweit 13 Millionen Mitglieder. Keine Glaubensrichtung wächst rascher und ist mehr auf Vermögens- und Machtvermehrung fixiert.

Die wegen ihrer gestrengen Lebensführung – kein Alkohol, kein Kaffee, kein vorehelicher Sex, dafür Arbeitseifer – bei Firmen beliebten Mormonen durchdringen die Wirtschaft und die Politik. Über zwanzig Mormonen sitzen im Kongress. Sei es American Express, Dell, General Motors, Jet Blue oder Kodak – sie belegen Führungsposten bei Top Konzernen (siehe Box). In der Hochfinanz sind sie überproportional vertreten. Bis vor Kurzem lenkte mit Kim Clark ein hochrangiger Mormone die Wirtschaftsschule der Harvard University, der Kaderschmiede Amerikas.

400 Prozent Rendite, doch leider erst im Jenseits

Ein MBA der Brigham Young University (BYU) in Provo, Utah, ist fast so wertvoll wie ein Harvard-Abschluss. Die Universität wird von der LDS finanziert. Die Kirche betrachte die Schule als Investition, sagt Ned Hill, der Rektor der Wirtschaftsabteilung. «Wir produzieren hier die besten LDS-Mitglieder.» Sie finden leicht eine Stelle, da sie mitbringen, was global ausgerichtete Unternehmen schätzen. Fast alle sprechen fliessend mehrere Sprachen. Gottesfürchtigkeit und Moral mache sie zu ehrlichen und fleissigen Arbeitern, sagt Hill. Und zu fleissigen Geldsammlern. So betteln viele Studenten für den BYU-Absolventen Mitt Romney, berichtet der «Boston Globe».

Die Solidarität geht auf den Ursprung der Religion zurück. Mormonen-Gründer Joseph Smith wurde 1844 von einem christlichen Mob ermordet. Er lebte nicht nur polygam, er hatte sich zum direkten Propheten Gottes erklärt und somit die Christen und deren Jesusliebe desavouiert. Darauf zogen Smiths Jünger von Illinois an den Grossen Salzsee in Utah, wo sie sich 1847 niederliessen. Nur zwei Jahre später lockte der Goldrush Hunderttausende in den amerikanischen Westen. Das beendete die Isolation der Mormonen und legte den Grundstein für ihre Wirtschaftsmacht. Sie trieben Handel mit den Goldsuchern und gründeten rund 300 Firmen, Supermärkte, Banken und Versicherungen.

Einst gehörten diese Firmen zusammen mit enormen Ländereien der Kirche, mittlerweile ist vieles privatisiert. Da religiöse Gemeinschaf ten in den USA keine Steuern zahlen, fehlen genaue Angaben zum Kirchenvermögen. Schätzungen reichen von 30 bis zu 300 Milliarden Dollar. 1999 berechneten zwei Journalisten den Jahresumsatz auf sechs Milliarden Dollar. Seither dürfte er sich verdoppelt haben. Denn die Gläubigen schmieren die «grossartige Geldmaschine», so jedenfalls kritisieren ausgestiegene Mormonen das System. Alle müssen mindestens zehn Prozent ihres Nettolohns der Kirche abliefern und Fronarbeit leisten. Das viele Geld, verspricht die Kirche, wartet nach dem Weltuntergang im Jenseits, mit 400 Prozent Rendite.

Wo junge Mormonen zu Arbeitsbienen werden

Die LDS investiert indes in die Missionsarbeit. Wo die Kirche auftreten darf, errichtet sie Missionsstationen. Männer müssen, Frauen dürfen missionieren. Jeden Mittwoch liefern gegen 600 Elternpaare ihre 19-jährigen Söhne in Provo ab. Sie kommen von überall her, aus Italien und Indonesien, aus Australien und Austin. Am Missionary Training Center werden die Bekehrer in spe zu «Arbeitsbienen» ausgebildet, sagt der Leiter des Zentrums. Zwei Jahre lang durchqueren sie zu zweit die Welt und werben neue Mitglieder. Der wirtschaftliche Sinn der Missionsarbeit ist derselbe wie die Förderung kinderreicher Familien: Die Kirche wächst und somit der Umsatz, der wiederum in Banken, Spitäler, Aktien, Medienhäuser, Immobilien oder Ländereien fliesst. «Die finanzielle und politische Macht der Mormonen in Washington ist weit grösser als ihr Anteil an der Bevölkerung », schreibt der Yale-Professor Harold im Buch «The American Religion». Bald werde deren Reichtum so gross sein, «dass es unmöglich ist, unsere Demokratie ohne sie zu führen».

Eine erste Chance dazu haben die Mormonen jetzt mit Mitt Romney. Er ging als 19-Jähriger auf Mission nach Frankreich. Später sah er zu, wie sein Vater General Motors führte, und stieg selbst zum erfolgreichen Geschäftsmann auf. 14 Jahre lang führte er die Finanzberatungsfirma Bain & Company und dessen Risikokapital- und Private-Equity Arm Bain Capital und erzielte eine durchschnittliche Jahresrendite von 113 Prozent. Sein Vermögen beläuft sich auf 500 bis 600 Millionen Dollar, was ihn zum reichsten Präsidentschaftsbewerber macht. Er ist mit den zwei wohlhabendsten Mormonen-Familien, den Hotelerben Marriott und den Chemikalien-Milliardären Huntsman, eng befreundet. Beide Clans sammeln für den Kandidaten Romney.


Gläubige Elite: Mormonen in der US-Geschäftswelt

David Neeleman, Gründer und Chairman der Airline JetBlue, lange Zeit die einzige US-Fluggesellschaft, die Gewinn erzielte. Die telefonischen Buchungen nehmen Mormonen in Utah vor. Er hat neun Kinder.

George Romney, 1954 bis 1962 Chairman und Präsident von General Motors, später Gouver-neur von Michigan. Vater von Mitt Romney.

J. W. Marriott, Jr, Chairman und CEO von Marriott International, und Sohn von J. Williard Marriott, dem Gründer der heute börsenkotierten Hotelkette. «Forbes» schätzt sein Vermögen auf 1,7 Milliarden Dollar.

Jon Huntsman, Sr, Gründer des börsenkotierten Chemikalienkonzerns Huntsman Corporation. 2002 schätzte «Forbes» sein Vermögen auf 2,5 Milliarden Dollar. Danach gab er bekannt, das Geld zu verschenken – meist an Wohltätigkeitsorganisationen der Mormonen. Hat neun Kinder.

Kevin B. Rollins, bis vor kurzem CEO von Dell Computer. Der einstige Partner von Mitt Rom-ney bei Bain Capital stiess 1996 zu Dell und wurde 2004 CEO des damals weltweit grössten Computerfabrikanten. Dieses Jahr beerbte ihn Firmengründer Michael Dell.

Nolan D. Archibald, CEO und Chairman des Werkzeugfabrikanten Black & Decker