Orchester mit zu vielen Dirigenten

Das Projekt Swiss Roots wollte sich mit dem US-Popstar Jewel schmücken. Sie jodelte auf Ellis Island - und stieg hernach beleidigt aus. Das Projekt Schweizer Migrationsmuseum hatte sie verunglimpft.

Von Peter Hossli

Es war der innigste Moment eines schwülheissen Nachmittags im New Yorker Hafen. Popstar Jewel bat ihren Vater Atz Kilcher auf die Bühne. Er trug einen Cowboyhut, sie ein reizendes rotes Kleid. Jauchzend begannen sie zu jodeln. Kein Auge blieb trocken, als Jewel «mi Vater isch vo dr Schwiiz nach Alaska cho» anstimmte. Auch Pascal Couchepin war gerührt. Der Bundesrat war eigens nach New York gereist, um an der 1.-August-Feier auf der Immigranten-Insel Ellis Island zu reden. Zuvor hatte er dort eine Ausstellung über Schweizer Einwanderer in den USA eingeweiht.

Nach dem gelungenen Konzert trat Bundesrat Couchepin mit Jewel vor die Presse. Der Magistrat lachte fröhlich und stolz in die Kameras. 30 000 Dollar an Spesen hatte der Bund für den halbstündigen Auftritt des US-Superstars bezahlt.

Eine Investition, die sich lohnen sollte. Jewel, mit 25 Millionen verkauften Tonträgern weltweit berühmt, würde mit ihren Schweizer Wurzeln für die Schweiz werben – als Botschafterin von Swiss Roots. Das vom Schweizer Konsulat in New York getragene Projekt zelebriert Amerikaner mit Schweizer Vorfahren.

Doch daraus wird nichts. Nur 24 Stunden nach dem Jodelduett zerschellte der Plan. Jewel stieg wütend aus. Im offiziellen Katalog zur Ausstellung «Small Number – Big Impact» hatte sie ein Porträt über ihre Familie gelesen. Die Kilchers werden darin als Schauleute mit wenig Talent verunglimpft. Jewel schätze ihren Vater nicht besonders, heisst es weiter. Sie wird salopp als «nearly a superstar» abgekanzelt. Unter den Frauen mit dem grössten Sexappeal rangiere die blonde Musikerin auf Platz 92.

«Sind nicht stolz darauf, diffamiert zu werden»

Das ist ein Albtraum für das mit einem verhältnismässig knappen Budget von 1,2 Millionen Dollar agierende Swiss-Roots-Team. «Wir haben ein echtes Problem mit Jewel», heisst es in einem E-Mail aus dem Schweizer Konsulat an den Verantwortlichen des Buches, Markus Hodel, seines Zeichens Geschäftsführer des Projekts Migrationsmuseum Schweiz und Organisator der Ausstellung auf Ellis Island. Was im Katalog stehe, sei «nicht eben schmeichelhaft», so das CASH vorliegende Schreiben. «Für uns ist das besonders unangenehm, da wir die Kosten für den Jewel-Auftritt auf Ellis Island (gegen 30 000 Dollar) wie immer betont als Investition für ihr künftiges Engagement bei Swiss Roots sehen.»

Wie zuvor Football-Star Ben Roethlisberger, Gewinner der prestigeträchtigsten Trophäe im US-Sport, der Superbowl, sollte Jewel zu einem späteren Zeitpunkt medienwirksam in die Schweiz reisen und die Plätze ihrer Ahnen besuchen.

Es war Atz Kilcher, der seine Tochter zum Mitmachen überredet hatte. Umso erboster wandte er sich per E-Mail an den persönlichen Mitarbeiter von Bundesrat Couchepin. Jewel sei ausser sich über das Bild ihrer Familie, schreibt Kilcher. Der Text sei, «um es vornehm auszudrücken, wenig schmeichelhaft, gemein und peinlich». Die Familie wollte die Schweiz repräsentieren, «weil wir stolz sind, geehrt zu werden» – und nicht, um diffamiert zu werden.

Das Schwarze-Peter-Spiel hat schon begonnen

Das Schreiben gelangte zu Hodel. Der meldet sich per E-Mail bei Atz Kilcher – und wälzte die Schuld auf andere und den angeblich enormen Zeitdruck ab. «Weder ich noch Jewel akzeptieren Hodels Darlegungen als Entschuldigung», sagt Kilcher. «Es ist schrecklich, wenn der Herausgeber die Verantwortung für diesen Scheiss nicht übernimmt.»

Fakt ist: Hodel führt den Verein, der den Katalog herausgibt und die Ausstellung organisiert hat. Auf dem Buchdeckel tritt er als Redaktor auf. Er räumt ein, selbst «nicht jeden Text in jeder Wortwahl» überprüft zu haben, und schiebt die Verantwortung umgehend ab. «Die abschliessende Textredaktion lag bei den Ko-Herausgebern.» Jewels Reaktion hält er für übertrieben. «Es sind drei kritische Sätze, der Rest ist positiv.» Zudem sei das Buch längst im Druck gewesen, als der Jewel-Auftritt feststand.

Was er nicht sagt: Es war just er, der monatelang auf ihre Verpflichtung drängte. Nun nenne er sie nur noch «eine hysterische Kuh», heisst es aus seinem Umfeld. Beschwert sich jemand über den Text, erhält er die E-Mail-Adresse des Autors, eines Afrika-Kenners der Universität Basel.

Die Jewel-Geschichte ist dem Konsulat in New York, der Trägerin von Swiss Roots, höchst unangenehm. «Es ist ärgerlich, das stimmt», sagt Botschafter Raymond Loretan, «wir hatten aber keine Kontrolle über den Inhalt des Katalogs.» Diplomatisch setzt er nach. «Es ist doch aber auch schön, dass Jewel auf Ellis Island sang und jodelte.»

Schweizer Konsulat wollte die Angelegenheit verheimlichen

Es wäre noch schöner, wenn Swiss Roots damit werben dürfte. «Ich habe noch nicht aufgegeben», sagt Loretan, in der Hoffnung, die Investition zahle sich irgendwann doch aus. «Es wird aber schwierig», gesteht er. «Wenn es nicht klappt, wissen wir, warum.» – Hodel hatte Loretan ein Ei gelegt und seinen Ehrengast im Katalog grob beleidigt.

Dass dem Konsulat die Sache peinlicher ist, als es zugibt, zeigt ein CASH vorliegendes E-Mail. Loretans Stellvertreter Daniel Hunn ruft darin alle Beteiligten auf, dem Reporter nicht die Wahrheit zu sagen. Hunn schildert, wie er eine erste CASH-Anfrage irreführend abgewiegelt hat. Er schliesst: «Ich wäre froh, wenn auch ihr euch, falls befragt, in derselben Art äussern könnt.» Es sei der «Sache kaum dienlich, wenn daraus eine öffentliche Geschichte wird».

Zu den Adressaten gehörten Loretan und ein Vertreter von Präsenz Schweiz (PRS), der Standortmarke-ting-Organisation, die sowohl die Ausstellung auf Ellis Island wie auch das Projekt Swiss Roots mitfinanziert. «Ich habe von diesem E-Mail keine Kenntnis», sagt PRS-Chef Johannes Matyassy. Loretan mag sich «nicht mehr erinnern».

Ob öffentlich oder nicht, die 400 000 Franken teure, noch bis Ende Oktober offene Ausstellung auf Ellis Island ist kein Hit. Die Objekte, die etwa den Rennfahrer Louis Chevrolet oder die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross vorstellen, sind in dunklen Gemächern untergebracht. Wer ahnungslos durch das Museum schlendert, findet die Schweizer Kammern nicht. In New York schrieb nur gerade das obskure Blatt «The Sun» darüber. Unter dem Titel «A Swiss Miss» – ein Schweizer Fehlschlag – folgt ein Verriss. Fazit: «Die Ausstellung sagt fast nichts über Schweizer Einwanderung aus.» Medienpräsenz sei nicht seine Priorität, sagt Botschafter Loretan. «Swiss Roots ist ein People-to-People-Projekt, viele Leute besuchen die Ausstellung.»

Es sei halt schwierig, in die Presse zu gelangen, begründet Markus Hodel die fehlende Öffentlichkeit. Ihn plagen ohnehin noch andere Sorgen. Er scheint zahlungsunfähig zu sein. Etliche Mitarbeiter warten auf ihre Honorare, einer auf über zehntausend Franken. Wer Geld will, den pöbelt Hodel an. «Dein Mann verdient ja genug, du brauchst jetzt kein Geld», soll er unlängst eine Mitarbeiterin abgekanzelt haben. Der freischaffende Autor Bänz Friedli, der dank persönlichen Kontakten Jewel nach New York bringen konnte, wartet auf eine Spesenzahlung vom Januar. Doch nicht wegen des fehlenden Geldes hat Friedli die Zusammenarbeit mit Hodel beendet. «Mich hat enorm gestört, wie Jewel und ihr Vater behandelt wurden. Sie kamen aus purem Goodwill nach New York.»

Ein Einzelfall sei das nicht, sagt Friedli. «Unter den organisatorischen Mängeln litt die Qualität der Ausstellung.» Als Beispiel nennt er eine US-Regisseurin, die zwei Filme zurückgezogen hat, weil Hodel sie nicht bezahlt hat.

Das Landesmuseum nimmt die Zahlungen unter die Lupe

Ein anderer Mitarbeiter, der auch noch auf Geld wartet, bezeichnet ihn als «fachlich leider überforderten Enthusiasten». Das Landesmuseum, das 200 000 Franken an Ellis Island und eine Folgeausstellung in Zürich zahlt, will Hodel nun strenger überwachen – was dieser bestätigt. «Die Zahlungen werden jetzt vom Landesmuseum gemäss Budget direkt ausgeführt», sagt Hodel, «alle offenen Rechnungen werden beglichen.» Das sieht Christof Kübler vom Landesmuseum anders. «Uns sind Hodels Zahlungsschwierigkeiten zu Ohren gekommen», sagt er. «Solange wir seine Bücher nicht sehen, zahlen wir nichts.».

Wo die Wurzeln sind

Das vom Schweizer Konsulat in New York initiierte Projekt Swiss Roots wendet sich an Amerikaner mit Schweizer Wurzeln. Sie wurden im laufenden Jahr mit etlichen Veranstaltungen auf ihre Ahnen aufmerksam gemacht. Zum Höhepunkt geriet die am 29. Juli eröffnete Ausstellung im Einwanderermuseum auf Ellis Island in New Jersey, die sich mit der Immigration aus der Schweiz befasst, sowie der Besuch von Football-Star Ben Roethlisberger im Emmental (s. Foto). Swiss Roots hat ein Budget von rund 1,2 Millionen Dollar. Dafür kommen Präsenz Schweiz, Schweiz Tourismus, Pro Helvetia sowie private Sponsoren auf. Der Auslöser von Swiss Roots war die Möglichkeit des Projekts Migrationsmuseum Schweiz, auf Ellis Island eine Ausstellung zu organisieren. Das Migrationsmuseum ist ein von der öffentlichen Hand getragener Verein, den der Filmemacher Samir präsidiert. Die Ausstellung auf Ellis Island soll ab März 2007 im Zürcher Landesmuseum gezeigt werden.