Der Staub hat sich gelegt – das Geschäft glänzt wieder

Business must go on. Die meisten Untergangsprognosen in den Wochen nach den Anschlägen vom 9. September 2001 erwiesen sich als falsch. Der wirtschaftliche Niederschlag war weitaus geringer als erwartet.

Von Peter Hossli

Das erste, was ich am 11. September hörte, war falsch. «Eine kleine Cessna ist ins World Trade Center geflogen», sagte ein Grafiker am Nebentisch. «Nette Geschichte, aber dafür haben wir keinen Platz», bestellte mir darob ein Redaktor in der Schweiz. Zwei Tage später druckte das Blatt Dutzende Seiten zur ersten Terrorattacke auf US-Boden.

Einiges stimmt nicht, vor allem die Prognosen. Ground Zero brannte noch, die Feuerwehr suchte nach Überlebenden, als Experten über die Auswirkungen orakelten. New York entvölkere sich, hiess es. Der Finanzdistrikt verliere an Bedeutung. Massenentlassungen stünden an. Konsumenten kauften nichts mehr. Profite schrumpften.

Vieles blieb aus. «Der ökonomische Niederschlag von 9/11 ist weitaus geringer als anfänglich befürchtet», sagt Gus Faucher, der Direktor für Makroökonomie von Moody’s Economy.com. «Falsch lagen die Prognostiker, weil sie alte Daten studierten und nicht wussten, dass die US-Wirtschaft mitten in einer Rezession steckte.» Die Wirtschaft profitierte bald von der Erholungsphase der Rezession, sagt er.

Psychologische Gründe führt der Ökonomie-Professor der New York University, Nicholas Economides, für die zu trüben Aussichten an. «Das ganze Land war wochenlang niedergeschlagen, niemand glaubte, die Amerikaner würden jemals wieder einkaufen. Viele selbst bedrückte Ökonomen dachten damals nur negativ».

Mittlerweile wirkten Terroranschläge oder Beinah-Attacken wie der jüngst aufgedeckte Plot von London weniger nachhaltig. «Die Leute haben gelernt, mit der ständigen Bedrohung zu leben und geraten nicht gleich aus der Verfassung», sagt Economides.

Eine Ansicht, die der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitutes BAK Basel Economics teilt. «Analysten sehen Schocks düsterer als sie wirklich sind», sagt Christoph Koellreuter. «Ereignisse wie 9/11 schlagen sich aber nur kurzfristig nieder, strukturelle Faktoren wirken prognostisch stärker.»

Das BAK lag mit seinen langfristigen Post-9/11-Voraussagen für die USA richtig. Für 2005 prognostizierte es ein Plus von 2,5 Prozent, real waren es 2,6. Koellreuter nennt die Rabatte der Autoindustrie sowie die Steuerkürzungen als Hauptgründe für die nach 9/11 rasch gesundende Wirtschaft. «Beides führte zu einem enormen Nachfrage-Push, den die US-Wirtschaft deshalb gut verdauen konnte, weil sie so flexibel ist.»

New York City

Die Prognosen: «New York steht ein schmerzlicher Einbruch bevor.» – Rae Rosen, Ökonomin am Fed, 4.10. «Immobilienhändler prophezeien fürs kommende Jahr den Kollaps des Marktes» – CASH 28.12.
Fünf Jahre später: New York ist eine so genannte Super-City geworden, eine Stadt, in die wohlhabende und gut ausgebildete Berufsleute mitsamt Familien ziehen. Spielplätze überquellen, Nannys stehen sich im Weg. Miet- und Immobilienpreise in New York sind auf absolutem Höchststand. Insbesondere Ausländer haben in den letzten fünf Jahren Wohnungen in New York gekauft. Aus einem paradoxen Grund. «Viele sind der Meinung, dass New York sicherer ist als ihre eigene Heimat», sagt Ökonom Nicholas Economides. Besonders angestiegen sind die Immobilienpreise in Tribeca, dem Quartier, das einst das World Trade Center beherbergte und wenig belebt war. Zwar ist Ground Zero noch immer eine Grube, in nächster Nähe stehen nun neue Luxus-Wohnblöcke, Edel-Boutiquen und teure Restaurants. «Unsere Stadt ist rascher auf die Spitze des Berges zurück geklettert als alle gedacht hatten», sagt Bürgermeister Michael Bloomberg im Januar in seiner Rede zur Lage der Stadt. Heute sei New York «stärker als jemals zuvor».

Financial District / Finanzindustrie

Die Prognosen: «Die bekanntesten Namen der Wall Street suchen und mieten neue Büros, die es im zerschlagenen Finanzdistrikt nicht mehr gibt… das hat zu Spekulationen geführt, das Ende des Finanzdistrikts an der Spitze der Stadt ist nah.» – NYT 14.9. «Die meisten grossen Investmenthäuser müssen Leute entlassen und ihre Operationen den düsteren Aussichten anpassen.» NYT 26.9. «Die markant magerer ausgefallenen Bonifikationen … sind besonders schmerzlich.» CASH 29.12.
Fünf Jahre später: Im März 2001 arbeiteten 840’900 Personen im US-Wertschriftenhandel, so viele wie nie zuvor. Bis Oktober 2003 wurden rund 90’000 Stellen abgebaut. Seither hat sich die Industrie erholt. Im April dieses Jahres waren es 801’200 Personen. In New York waren Anfang 2001 rund 217’000 Personen an der Börse tätig, die Zahl sank nach 9/11 auf 174’500. Jetzt sinds 200’000.
Kam es 2002 und 2003 zu einem Exodus von Firmen aus New York, so verlegten in den Jahren danach etliche ihren Hauptsitz zurück nach Manhattan – mit weniger Personal. Vornehmlich das Top-Management arbeitet in New York. Es verdient mehr denn je. 2005 war ein absolutes Rekordjahr für Bonifikationen an der Wall Street, insgesamt 21,5 Milliarden Dollar. Erstmals übertrumpften die Boni wieder das Niveau von 2001. Noch nicht gerettet ist das geografische Financial District. Der Wiederaufbau bei Ground Zero erweist sich als langwieriges Gezänk. Immerhin hat Goldman Sachs gleich daneben ein neues Gebäude in Auftrag gegeben.

Flugwirtschaft

Die Prognosen: «Verluste in Milliardenhöhe bringen Airlines in den USA und in Europa in schwerste Bedrängnis. Den internationalen Fluggesellschaften droht der Absturz.» – CASH 21.9.
Fünf Jahre später: Die US-Flugindustrie baute seit 9/11 rund 146’000 Stellen ab, knapp ein Drittel der Belegschaft. Sie flog in den letzten fünf Jahren einen Verlust von über 42 Milliarden Dollar ein. Dieses Jahr scheint die Trendwende möglich. Die Airlines haben die Preise erhöht – 2006 um 10 Prozent – und die Sitzkapazität reduziert. Im zweiten Quartal 2006 schrieb die Industrie erstmals seit 9/11 schwarze Zahlen. Aufgefangen haben sich über ein halbes Dutzend US-Fluggesellschaften durch das Bankrottverfahren Chapter 11. Rückblickend geriet 9/11 zum Sargnagel der bereits angeschlagenen Swissair. Deren Nachfolger Swiss flog lange Zeit in den roten Zahlen und wurde später von der Lufthansa übernommen. In der ersten Hälfte 2006 konnte sie trotz hoher Kerosinpreise erstmals einen Gewinn vermelden. Andere europäische Airlines fliegen ebenfalls mit vollen Flugzeugen. Gewinne und Umsatzsteigerung schreiben etwa British Airways, Lufthansa, Air France-KLM oder SAS.

Tourismus

Die Prognosen: «In Gefahr sind [in New York] 280’000 direkt vom Tourismus abhängige Arbeitsplätze. Die Hälfte aller 30’000 Hotelangestellten dürfte kurzfristig entlassen werden.» – CASH 28.9.
Fünf Jahre später: Erholt hat sich der Tourismus in New York. Besuchten 2001 noch 35,2 Millionen Menschen New York, werden dieses Jahr 44,4 Millionen erwartet. Sie gaben 2005 rund 22,8 Milliarden Dollar aus, 2001 waren es noch 15,1 Milliarden gewesen. Die Hotels waren letztes Jahr zu 85,5 Prozent belegt, 2001 zu 73,4 Prozent. 333’158 New Yorker arbeiteten 2005 im Tourismus, also 50’000 mehr als 2001. Laut Angaben der Welt Tourismus Organisation der Uno stagnierte der Tourismus im Jahr 2002, bereits ein Jahr später gingen wieder mehr Menschen auf Reisen. Gaben internationale Touristen 2001 noch 471, 6 Milliarden Dollar aus, waren es 2005 681,5 Milliarden Dollar. Am meisten Besucher verzeichnet Frankreich, am meisten Geld wird in den USA ausgegeben. Um 50 Prozent brachen die Buchungen bei den Schweizer Reisebüros nach 9/11 ein. Die Besucherzahlen in die Schweiz gingen während zwei Jahren stark zurück. «2005 brachte eine sanfte Erholung und das erste halbe Jahr 2006 die Wende», sagt Schweiz-Tourismus-Sprecherin Edith Zweifel. Die Reisen aus den USA in die Schweiz nahmen in der ersten Hälfte 2006 über 10 Prozent zu.

Die US-Wirtschaft

Die Prognosen: «Die enormen Einbusse … bei Airlines, an der Wall Street, im Detailhandel … wird die Firmengewinnen rasch vermindern, das könnte zu einem akuten Anstieg der Entlassungen führen … das dürfte das Konsumentenvertrauen stark verringern.» – NYT 16.9.
Fünf Jahre später: Als die Börse am 17. September 2001 wieder öffnete, stürzte sie ab. Innert Wochenfrist verlor der Dow-Jones-Index 14,3 Prozent, so viel wie seit 1933 nicht mehr. Bis im Frühjahr 2002 stieg der Dow auf 10500 Punkte, und rutschte dann nochmals markant ab, auf 7500 Punkte. Seither hat er sich kräftig erholt, auf derzeit rund 11300 Punkte. Die Arbeitslosigkeit nahm anfänglich zu, von 4,7 im Jahr 2001 auf 6 Prozent 2003. Mittlerweile hat sie sich bei rund 5 Prozent eingependelt. «Die US-Wirtschaft brach nicht ein, weil die Konsumenten rasch realisierten, dass die Folgen nicht katastrophal sein werden», sagt Gus Faucher, Ökonom bei Moody’s Economy.com. So stieg der zwischenzeitlich eingebrochene Index, der das Konsumentenvertrauen misst, bereits im Oktober wieder an. Seit 9/11 ist auch die Produktivität der US-Wirtschaft kontinuierlich gestiegen. Langfristig, sagt Faucher, könnten die Restriktionen beim Reisen sowie die zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen die Steigerung der Produktivität jedoch dämpfen. Ebenso das enorme Budgetdefizit. Das Defizit existierte am 11. September 2001 noch nicht und erreicht heuer 260 Milliarden Dollar, wobei nur 120 Milliarden Dollar auf den Krieg gegen den Terror zurück zu führen sind. Der Rest ist Steuersenkungen zuzuschreiben. Diese wiederum haben sich stimulierend auf das anhaltend solide Wirtschaftswachstum ausgewirkt. Dieses drückt sich auch im regen Konsum von teuren Kaffeegetränken aus: Am 11. September schloss Starbucks alle 2900 Kaffeehäuser in den USA. Heute betreibt Starbucks deren 5028.

Die Weltwirtschaft

Die Prognosen: «9/11 könnte das transformierende Ereignis werden für den amerikanischen und globalen Geschäfts-Kreislauf. Das Resultat ist eine grössere und längere globale Rezession als wir angenommen haben.» – Stephen S. Roach, Chef-Ökonom Morgan Stanley. 18.9. «Insbesondere den Märkten in der Schwellenländern – etwa Südkorea, Thailand, Brasilien, Mexiko, Argentinien, Türkei – droht der Crash.» NYT 12.10. «Die Schweizer Wirtschaft steht vor einem Tal der Tränen» – Facts 27.9.
Fünf Jahre später: Die Märkte in den Schwellenländer sind nicht eingebrochen. Im Gegenteil, nirgendwo haben Investoren höhere Returns erwirtschaftet. Nahezu vervierfacht hat sich beispielsweise der Index von Brasilien, ebenso die Börsen Mexikos und Argentinien. «Die Schwellenländer haben sich hervorragend entwickelt, in Asien vor allem dank China», sagt der Ökonom Tanweer Akram von Moody’s Economy.com. «Die Folgen von 9/11 auf die Weltwirtschaft waren relativ gering.» Anfänglich sei der Tourismus eingebrochen, er hätte sich aber rasch erholt. Probleme seien kurzfristig durch den behinderten Handel zwischen den USA, Kanada und Mexiko entstanden. «Einmal mehr wurde die enorme Belastbarkeit der US-Wirtschaft eine Lokomotive für alle anderen», sagt Akram. «Zusätzlich half, dass eine zweite Attacke ausblieb.»