Das neue Pleitegesetz trifft die Armen

Im Land des ewigen Neuanfangs wird das Bankrott-Gesetz massiv verschärft. Künftig müssen private Schulden auch in den USA beglichen werden.

Von Peter Hossli

Seit Monaten schon finden sich in amerikanischen Zeitungen und auf Webseiten sonderbare Kleinanzeigen. «Wenn Sie vorhaben, Pleite einzureichen, machen Sie das jetzt», rät etwa die Rechtsberaterfirma Nolo. «Nach dem 17. Oktober wird das viel schwieriger sein.» Ein Kolumnist von «Bloomberg» bezeichnete es unlängst als «geschickten Schachzug», Pleite zu gehen.

Die Zeit eilt. Mitte Oktober tritt in den USA ein Gesetz in Kraft, das einen Grundpfeiler der amerikanischen Wirtschaft, ja der Gesellschaft schwächen könnte. Seit 1898 ist es Privatpersonen möglich, in prekärer finanzieller Lage Pleite einzureichen. Gerichtlich lassen sich die Schulden weg wischen. Möglich wird, was als Triebfeder der hiesigen Risikobereitschaft gilt, nämlich der «fresh start», der Neuanfang. Gelten Pleitiers in vielen europäischen Ländern lebenslang als Versager, schreiben Ökonomen dem nachsichtigen Umgang mit Bankrotten die ungeheure amerikanische Kraft zur steten Erneuerung zu.

Eine Kraft, die nun verpufft. «Das neue Gesetz schwächt die Idee des Neuanfangs merklich», sagt Rechtsprofessor Robert Lawless von der University of Nevada in Las Vegas. «Es wird bald sehr schwierig Bankrott einzureichen.»

Acht Jahre lang haben Banken und Warenhäuser, die Kreditkarten herausgeben, eine Verschärfung des Gesetzes verlangt. Über 100 Millionen Dollar gaben sie für Lobby-Arbeit dafür aus. Es hat sich gelohnt. Am 20 April unterzeichnete Präsident George W. Bush das neue, 501 Seiten umfassende Gesetz.

Seither ist die Zahl der Pleiten geradezu explodiert, landesweit um 12 Prozent, in gewissen Teilen des mittleren Westen um bis zu 30 Prozent. Vor dem Stichtag herrscht Torschlusspanik. War es bis anhin möglich, die Schulden fast gänzlich abzuschreiben, verlangt das neue Gesetz von den meisten Einkommensgruppen einen fünf Jahre dauernden Rückzahlungsplan. In die Höhe schnellen die Kosten des Pleite-Verfahrens, durchschnittlich um 1000 Dollar pro Fall. Der bürokratische Aufwand nimmt zu.

Künftig können Kreditgeber auf Vermögenswerte zurückgreifen, die als sicher galten, etwa das Auto, das Eigenheim und auf die Ersparnisse für die Ausbildung der Kinder.
Der Pleite-Prozess verlangsamt sich. Mindestens drei Monate vor Bankrott-Erklärung muss ein Pleitier neu eine Finanzberatung über sich ergehen lassen. Weg fällt der automatische Stopp der Kredithaie. Inkassobüros dürfen künftig die Schuldner weiterhin belangen.

Besonders hart trifft das neue Gesetz jene 40 Prozent der Amerikaner, die keine Krankenkasse haben. Denn die horrenden Gesundheitskosten verursachen die Hälfte aller amerikanischen Pleiten. Ein Unfall oder eine plötzliche Krankheit reisst bei manchem ein Loch in die Kasse. War es bisher möglich gewesen, sich der Arzt- oder Spitalrechnung mittels Bankrottrichter zu entledigen, muss sie neu abgestottert werden.
Vor allem liberale Demokraten und Rechtsprofessoren greifen das neue Gesetz an. Als «Robin Hood in umgekehrter Richtung» betitelt es der Kongressabgeordnete John Conyers. Nur die Kreditkarten-Industrie, die seit Jahren enorme Wachstumsraten verzeichne, profitiere. Für die Mittelklasse und die Armen bringe es bloss zusätzliche Bürden. «Es schwächt das soziale Netz», sagt Professor Lawless.

Falsch, reklamieren die Advokaten der Verschärfung. Endlich werde dem Pleite-Missbrauch einen Riegel vorgeschoben.

Fest steht: 751 Milliarden Dollar schulden Amerikaner allein den Kreditkartenfirmen. Mit 58000 Dollar Schulden steht jeder US-Haushalt in der Kreide. Kein Wunder, liegt da die persönliche Pleite im Trend. 1995 waren es noch 900’000 Personen gewesen, die von der Schuldenlast erdrückt wurden. Letztes Jahr erklärten fast doppelt so viele – 1,6 Millionen – Bankrott. Heuer dürften es zwei Millionen werden. 1978, mitten in der Rezession, waren es bloss 200’000 gewesen.

«Die Geschichte des neuen Gesetzes widerspiegelt dessen Probleme», sagt Professor Edward Janger von der Brooklyn Law School. Diskutiert wurde es erstmals in den späten neunziger Jahren, als die Wirtschaft boomte. Da die Bankrott-Rate trotzdem in luftige Höhen schnellte, war allenthalben von Missbrauch die Rede.

Auf Druck der Banken brachten republikanische Parlamentarier den «Bankruptcy Abuse Prevention & Consumer Protection Act» ein.

Ein Gesetz, das nach den Terroranschlägen vom 11. September zwischenzeitlich begraben wurde. Als sich der wirtschaftliche Niederschlag als weniger gravierend erwies, wurde das Gesetz reaktiviert. Kaum hatte der Wirbelsturm Katrina im Süden der USA verheerende Verwüstungen angerichtet, wurden Rufe laut, das Gesetz zumindest für die Opfer auszusetzen. «Das Bankrott-Gesetz versagt dann, wenn es den Leuten schlecht geht» sagt Professor Janger. «Somit bewirkt es das Gegenteil dessen, was ein Bankrott-Gesetz erreichen sollte.»

Was Janger nicht überrascht. Es handle sich um «ein Gesetz, das nur wenigen Interessensgruppen etwas bringt». Etwa die Kreditkartenbranche, die Inkassobüros oder die Bankrott-Anwälte, die nun höhere Gebühren einstreichen.

Lösungen für das echte Problem – die minimale Sparquote der Amerikaner – bringt das Gesetz hingegen nicht. Niemand hindert die Banken daran, den Bankrotteuren weiterhin Kreditkarten anzudrehen. Dem Konsum auf Pump steht also nichts im Weg.

Die Bankrott-Welle nach dem Wirbelsturm
Um 50 Prozent werden die Bankrotte nach den Orkanen Rita und Katrina zunehmen, rechnete Rechtsprofessor Robert Lawless aus. Ein Richter in Mississippi warnt, das neue Gesetz mache es unmöglich, den teilweise hoch verschuldeten Opfern mit raschen Pleitenverfahren zu helfen. Zumal es eine genau Dokumentation der Vermögenswerte verlangt. Die haben viele der Opfer in der Flut verloren. Das Gesetz sieht keine Ausnahme für unvorhergesehene Ereignisse wie einen Orkan vor. Deshalb verlangt die Konsumentenschutzorganisation Consumer Federation of America eine einjährige Verzögerung des Gesetzes für die Opfer des Wirbelsturms. Ein Begehren, gegen das sich republikanische Politiker, einschliesslich ein Senator von Louisiana, stellen. «Es besteht keine Chance, das Gesetz jetzt umzukippen», sagt Professor Lawless. «Die Interessensgruppen haben jahrelang dafür gekämpft, sie lassen es nicht mehr los.»