Bitte keinen Wandteppich!

Von der richtigen Sofatiefe bis zur politisch korrekten Toiletten-Beschriftung: Das Beitrittsgeschenk an die Uno ringt der Schweiz handwerkliches, aber auch diplomatisches Geschick ab.

Von Peter Hossli

Die Schwelle zur Weltbühne legt ein Schreiner aus Sulgen im Kanton Thurgau. Auf einer Leiter stehend, montiert Martin Hefti ein Scharnier im noch kahlen, staubigen GA-200. Diesen Saal im New-Yorker Uno-Hauptquartier durchschreiten alle Staatschefs, bevor sie sich an die Voll-versammlung der Vereinten Nationen richten.

«I Can’t Get No Satisfaction», rocken die Rolling Stones aus dem Ghettoblaster. Hefti, einst Uno-Gegner und jetzt Vorarbeiter auf der Uno-Baustelle, trägt weisse Hosen und ein weisses T-Shirt. Er hetzt. Ende Juli muss alles fertig sein, damit bis zur Einweihung am 20. September allfällige Mängel behoben werden können. Eine Verspätung liegt ausserhalb jeder Erwägung – der Umbau ist ein Geschenk der Schweiz, des Landes der Pünktlichkeit.

Wer der Uno beitritt, kommt nie mit leeren Händen. Immer führen sich die Neumitglieder bei der Weltorganisation mit einem Geschenk ein, meist bieten sie heimatwerkliche Kunst. Kosten darf das Geschenk die notorisch geldarme Staatengemeinschaft nichts. Ist das im Garten gestrandete bronzene irische Segelboot mit Taubendreck befleckt, schickt die irische Uno-Mission die Putztruppe vorbei. Reichlich Staub angesetzt hat die Plastik aus Jugoslawien, denn für das untergegangene Land fühlt sich keiner zuständig. Aus historischer Verantwortung unterhält Deutschland die Skulptur der einstigen DDR.

Uno kein Geld für Unterhalt

Undiplomatisch direkt gelangte die Uno zwischen Abstimmung und dem offiziellen Beitritt der Schweiz im September 2002 ans Aussendepartement EDA: Bitte nicht noch einen Wandteppich, so der Wunsch, nicht noch ein Gemälde, nicht noch eine Skulptur. Dafür legten die Uno-Verhandler ihrem jüngsten Mitglied einen prominenten Raum mit bürokratischem Namen ans Herz – den GA-200. Ob die Schweiz diesen Saal renovieren könne. Schliesslich fehlt der Weltorganisation das Geld für den ordentlichen Unterhalt ihres 1951 fertig gestellten, von einem Architektenteam um Le Corbusier und Oscar Niemeyer entworfenen Hauptquartiers. Statt Schäden vorzubeugen oder gar grosszügig zu renovieren, kann sie gerade die nötigsten Mängel beheben.

Damit liess sich das Neumitglied auf ein kniffliges Projekt ein, das die oft schwerfällige Motorik der Uno spiegelt. Auf die Sensibilitäten von 191 Nationen galt es Rücksicht zu nehmen, auf die Zwänge des Protokolls, zusätzlich auf die strengen Usanzen der New-Yorker Baubranche. Rasch merkten die Schweizer Planer: Nicht wie vorgesehen im Herbst 2003, sondern erst ein Jahr später würde man fertig werden. Und so ist Vorarbeiter Hefti derzeit konstant im Stress.

Mit dem EDA hatte das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) einen Wettbewerb durchgeführt. Ein multidisziplinäres Team sollte den neuen GA-200 künstlerisch gestalten. Der fensterlose, 220 Quadratmeter grosse Saal ist jedes Jahr von Mitte September bis vor Weihnachten belegt, dann tagt die Generalversammlung. Der Raum schliesst an den Plenarsaal an, er liegt unmittelbar hinter dem stattlichen Tisch des Generalsekretärs und dem grünlichen Rednerpult, an dem etwa US-Präsident George W. Bush der Weltgemeinschaft den Irak-Krieg schmackhaft machen wollte.

Der neue GA-200, so die Auflagen, sollte exakt dieselben Funktionen erfüllen wie der seit dreiundfünfzig Jahren unveränderte, mit orangenem Teppich ausgelegte alte. Demnach braucht es je einen gleich grossen Arbeitsplatz für den Generalsekretär und den Präsidenten der Generalversammlung; je eine Toilette für die beiden höchsten Uno-Vertreter; eine Lobby, in der sich die Redner kurz sammeln; dazu ein WC, einen schmucken Ort für die Fotografen, damit sie die Staatschefs beim Händedruck vor dem Uno-Logo ablichten können; einen Platz für den Wächter; acht Pulte fürs Verwaltungspersonal. Überdies eine Küche und einen Kopierraum. Zusätzlich dient der Saal als Spritzenhäuschen: Brennt es in der General-versammlung, rollt die Feuerwehr von hier ihre Schläuche aus.

Annan opponierte gegen WC-Plättli

Den Wettbewerb gewann im März 2003 das Projekt Inlay, eine Partnerschaft aus den Architekturbüros MLZD in Biel und Buchner Bründler in Basel sowie die Zürcher Künstlergruppe Relax. Deren Arbeit «überwindet die kleinräumige Enge und strahlt Offenheit aus», begründet BBL-Sprecher Daniel Lüthi den Jury-Entscheid.

Eine «Reaktion auf die bestehende Situation» sei ihr Projekt, sagt Beat Meier. Der 30-jährige Architekt von Buchner Bründler überwacht die Arbeiten in New York. Keinesfalls modisch sollte der neue Raum werden, «sondern als Schweizer Geschenk auch noch in fünfzig Jahren als solches erkennbar sein», sagt Meier, «bis ins letzte Accessoire passt alles zusammen».

Einfach war das nicht. «Kleinkariert» und «kleinzellig» sah der Raum im Original aus, sagt Projektleiter und MLZD-Architekt Lars Mischkulnig. Möbel wie Design erinnerten an die muffigen Fünfzigerjahre. «Wir rissen alle nichttragenden Wände ein – um einen offenen, demokratischen Saal mit fliessenden Räumen zu schaffen», sagt Mischkulnig, «ausgestattet mit wertvollen Materialien». Das edle Design sollte den wichtigen Raum endlich aufwerten und die Redner «auf den umwerfend schönen Generalversammlungs-Saal einstimmen».

Zuerst hatte die Schweiz jedoch ein Problem zu beseitigen. Ausgekleidet war GA-200 mit Seideneichenholz – ein australisches Geschenk aus dem Jahr 1953. Erst nach diplomatischem Ränkespiel willigten die Australier ein, dass ihr Holz herausgerissen und im Keller eingelagert werde. Hohe Uno-Stellen hatten versichert, das Gehölz komme woanders zum Einsatz.

Dann musste das Team Inlay allerhand globale Rücksichten nehmen, gestalterisch wie bei der Wahl der Materialien. Ein afrikanischer Präsident würde nie auf einer Stoffcouch Platz nehmen, teilte die Uno den Architekten beispielsweise mit. Also wählten sie Ledersessel. Die haben repräsentativ und gross genug zu sein für die meist wohlgenährten Politiker. Allzu tief dürfen die Staatsmänner darin jedoch nicht versinken, schliesslich soll jeder ohne fremde Hilfe wieder aufstehen können. Sitzt einmal eine der wenigen Staatsfrauen darin, darf ihr beim Hochkommen nichts hochrutschen.

Ausprobiert wurde all das vom Schweizer Uno-Botschafter höchstpersönlich: Jenö Staehelin, zwar weder Frau noch massig. Der Botschafter kenne viele Staatschefs, so eine Diplomatin, er könne beurteilen, ob die Stühle passen. Hielt sich Staehelin in den letzten Monaten in der Schweiz auf, besuchte er jeweils das Atelier der Zürcher Möbelfirma Fluidum und setzte sich in die Sessel. Vorsicht geboten war auch bei der Markierung der Toiletten, ist doch das stille Örtchen in manchen Ländern tabuisiert. «Wir wählten eine sehr unaufdringliche Beschriftung», sagt Projektleiter Mischkulnig, «auf Geheiss der Uno.» Gegen die geplanten schwarzen WC-Plättli opponierte Uno-Generalsekretär Kofi Annan persönlich und liess sie durch sandig helle ersetzen.

Das passt zum gebrochenen Weisston der Gipswände, die abgestimmt sind auf den edlen Schurwoll-Teppich in hellem Braungrau. Innerhalb von Sekunden kann der offene Raum mit Schiebetüren unterteilt und schalldicht verschlossen werden. Die Türen aus Aluminium tragen einen Messingfarbton. Massive Schrankmöbel und Tische aus einem matten Nussbaumholz geben dem Raum Halt.

Etwas trivial wirkt bei solch hochwertigen, aufeinander abgestimmten Materialien die verschlüsselte Botschaft des Projektes, erdacht von Marie-Antoinette Chiarenza und Daniel Hauser von Relax. Im ganzen Raum sind zwölf 2,5 Zentimeter lange Einlegearbeiten versteckt. Auf jedem prangt das Wort «Friede» in einer der sechs offiziellen Uno-Sprachen. Gefertigt sind die Intarsien aus vermeintlich konfliktbehafteten Materialien – Diamanten, Gelbgold, Weissgold, Tantal sowie tropischen Edelhölzern. Damit will Relax die Frage aufwerfen, «welcher Frieden eigentlich gemeint ist und für wen er wie viel kosten könnte».

Krach um Kunst

Den friedfertigen Absichten zum Trotz gab es Zoff um den Kunstteil. Relax hatte vor, die Millenniumsziele der Uno auf die gewölbte Wand im GA-200 zu schreiben, hellgrün auf hellgrün. Dagegen sperrte sich die Uno, handelt es sich bei den Zielen doch um eine Absichtserklärung bis 2015. Die Uno drückte stattdessen Ausschnitte der Präambel ihrer Charta durch. «Wir waren wütend», sagen Chiarenza und Hauser. «Für die Schweiz wäre es mutiger gewesen, sie hätte sich für die Millenniumsziele eingesetzt.» Künstlerin und Künstler baten Aussenministerin Micheline Calmy-Rey um politische Unterstützung. Vergeblich. «Die Uno hat einen politischen Entscheid getroffen, den das EDA voll versteht und deshalb nicht in Frage stellen will», sagt EDA- Sprecher Alessandro Delprete. «Die Schweiz arbeitet mit der Uno auf der Basis des Vertrauens und Respekts und der gegenseitigen Interessen.»

Ein Geschenk müsse auch dem Beschenkten Freude machen, pflichtet Lars Mischkulnig bei. Die Schweiz gibt sich zeitgenössisch, exakt, architektonisch hochwertig – und sie gibt zwei Jahre Garantie für Mängel, fünf Jahre gar für verdeckte Mängel; das entspricht Schweizer Normen. Die Qualität sei das Schweizerische des Geschenks, sagt Beat Meier. «Alles, was schön ist, stammt aus der Schweiz.» Die Hülle ist schweizerisch, die Eingeweide sind amerikanisch. Während die Belüftungsanlage von der Uno installiert wird, kümmert sich ein US-Generalunternehmer um Ab- und Zufluss des Wassers, Elektrizität und Statik. Den sichtbaren Rest bauen Schweizer Firmen, koordiniert von der Thurgauer Schreinerei Erich Keller AG.

Dabei prallen Welten aufeinander. Architekten und Handwerker mussten erst die englische Fachsprache auffrischen. Die fünf Gipser aus der Schweiz sind Italiener, die kein einziges Wort Englisch sprechen. Dafür verstehen sie sich bestens mit einem US-Handwerker, der einst aus Italien ein- gewandert war. Vorbildlich räumt jeder Schweizer Handwerker den Dreck nach getaner Arbeit weg. Bei den Amerikanern kommt jeden dritten Tag ein Hilfsarbeiter vorbei und macht sauber – das verlangen die Gewerkschaften, die in New York jeden Bauplatz in ihrem Griff haben. Die Schweizer mochten jedoch nicht im Müll werken. Der Kompromiss: Jetzt putzen die Hilfsarbeiter täglich.

Gehen die Amerikaner um 3 Uhr nachmittags heim, bleiben die Schweizer bis spät. Nur sieben Stunden täglich darf ein gewerkschaftlich organisierter Amerikaner arbeiten, Schweizer werken auch im Ausland zehn bis zwölf Stunden. Zuweilen gerieten die Amerikaner deshalb in Angst, die Schweizer würden sie preislich unterbieten, sagt Meier.

Wer in New York baut, muss tief in die Tasche greifen und sich den weltweit strengsten Auflagen beugen – und erhält oft lausige Qualität. Vieles funktioniert erst beim dritten oder vierten Anlauf. Da das Schenkerland den Unterhalt zahlt, setzen die Architekten in diesem Fall auf Schweizer Produkte und Handwerker. «Eine edle Endbearbeitung gibt es in den USA nur zu horrenden Preisen», sagt Projektleiter Mischkulnig. Doch nicht nur wegen des Geldes habe man helvetische Produkte vorgezogen. «Es ist ein Schweizer Geschenk aus Schweizer Materialien, gefertigt von Schweizern», betont Mischkulnig.

Schweizer Uhr defekt

Wer genauer hinschaut, erkennt ein internationales Sammelsurium. Ob ein Design passt, sei wichtiger gewesen als das Herkunftsland des Produktes, sagt Meier. Die WC-Plättli stammen aus Portugal. Das in der Schweiz verarbeitete Nussbaumholz wuchs in den USA. Der Teppich wurde in der Schweiz gewoben, der Gips aus Schweizer Gruben gewonnen. Die Farbe der Aussenwand ist amerikanisch – ein Blau, das einst Le Corbusier gemischt hatte. Die Waschtische sind deutsch, die Ledersessel zürcherisch, der Schreiner ein Thurgauer.

Finanziell mache es durchaus Sinn, Baumaterialien über den Atlantik zu schiffen und Arbeiter einzufliegen, sagt Meier. Das Budget werde eingehalten. Zur Überraschung der Architekten waren die schweizerischen Materialien nicht nur zuverlässiger, sondern fast in jedem Fall günstiger. Ohnehin wird das Geschenk für die Schweiz zum Schnäppchen. Ganze 3,1 Millionen Franken kostet die Renovation. Riesig dagegen rechnet sich der Gegenwert. Jeder Staatschef wird dereinst durch den Raum schreiten, der, wird gemunkelt, «Swiss Lounge» heissen soll.

Dieses Geschenk wird nachhaltiger wirken als jenes, das die Schweiz 1968 der Uno machte – eine Uhr. Das moderne Stück hing im GA-200. Es zeigte die Zeit in New York und Genf an, den wichtigsten Uno-Standorten. Seit zehn Jahren steht die Uhr still. Die Firma, welche sie gefertigt hatte, ist eingegangen. Niemand konnte die Uhr flicken.

Dennoch hat sie nicht ausgedient. Derzeit hängt die schmucke Derby-Uhr in einem Filmstudio als Requisit. Für den Thriller «The Interpreter» mit Nicole Kidman liess Regisseur Sydney Pollack den alten GA-200 komplett nachbauen. Trotz erstmaliger Drehbewilligung im Uno-Hauptquartier stand nämlich ein Originalschauplatz nicht zur Verfügung – der GA-200.

Ab Februar wird man die alte Uhr also im Kino sehen. Über diplomatische Umwege gelangt das echte Stück wohl in die Hände der Architekten – eine Art Souvenir. Ist der Saal übergeben, werden sie ihn nie mehr betreten dürfen. Das Protokoll verbietet es.