Hitlers Filmerin hält Hof

Leni Riefenstahl wird am 22. August 100. Die Unverbesserliche ist kein bisschen müde und bringt am Geburtstag ihren ersten Film seit 48 Jahren in deutsche Kinos.

Von Peter Hossli

Nun hat sie doch alle überlebt, Leni Riefenstahl, die faszinierende wie verteufelte Regisseurin, eine der einflussreichsten Personen der Kinogeschichte.
Jene Filmerin, die für Hitler das wirkungsvollste Stück Propaganda gedreht hat, den Parteitagsfilm «Triumph des Willens». Pure Ästheten verehren, politisch Besorgte verdammen den einzige Film mit Hitler in der Hauptrolle.

Leni Riefenstahl hob damit den «Führer» zur Gott ähnlichen Gestalt und schneiderte dem Nazi-Regime das ästhetische Kleid – stark, schön, gesund.

Übernächste Woche, am 22. August, wird die von «Spiegel»-Gründer Rudolf Augstein einst als «Führerbraut ohne Geschlechtsverkehr» bezeichnete Riefenstahl 100 Jahre alt. Sie bringt einen neuen Film in die Kinos, und sie hält Hof. Jüngst gewährte sie der «Welt» ein Interview, dann der «Frankfurter Rundschau».

Es ging um Hitler, um was sonst. Dem war sie 1933 begegnet, der zog sie in den Bann und heuerte sie an, Filme über die alljährlich in Nürnberg stattfindenden Reichsparteitage der NSDAP zu drehen.

Ein Leben lang wurde sie zu Hitler befragt, stets antwortete sie gleich: Sie sei von ihm fasziniert gewesen und bereue, ihn jemals getroffen zu haben. Von den Gräueln habe sie erst nach dem Krieg erfahren. «Von der Bücherverbrennung haben wir nichts erfahren, denn es gab damals noch kein Fernsehen», sagte sie in einem Film-Interview. Sie habe «Triumph des Willens» 1934 gedreht, «keine Ahnung, ob da mal KZs oder etwas Ähnliches kommen sollte. Woher sollte ich das wissen?», sagt sie zur «Frankfurter Rundschau». Genau so oft wie zu Hitler wurde sie mit ihrer Ästhetik konfrontiert, die sicher zurecht als «faschistisch» gescholten wird.

In Interviews, einer 1000 Seiten umfassenden, in zahlreichen Sprachen übersetzten Autobiografie und in einem 1993 erschienen Dokumentarfilm wiederholte sie, nach dem Krieg Opfer einer Verunglimpfung geworden zu sein. «Der mir so oft gemacht Vorwurf, ich hätte Propagandafilme gemacht, ist abwegig. Es waren Dokumentarfilme, was einen grossen Unterschied macht», lautet ihr Stehsatz.

Kritiker unterstellen ihr genau das. Sie hätte sehen müssen, was damals passierte. Weil sie nicht sehen wollte, habe sie sich zur Nazi-Komplizin gemacht.

Diese Vorgeschichte ist wichtig, weil Hossli.com sie nicht zu Hitler befragte. Sie hätte wiedergekäut, wäre auch als 100-Jährige unverbesserlich geblieben. Zuletzt erfuhr das erneut der langjährige Riefenstahl-Kritiker Hilmar Hoffmann, der sie in «Der Welt» zu Hitler befragte – und althergebrachte Antworten erhielt.

Überhaupt, schreibt sie in einem E-Mail an Hossli.com, gebe es keinen Bereich mehr aus den Nazijahren und deren Folgen, über den sie sich noch nicht abschliessend geäussert hätte. So etwas wie Reue, Schuld oder Verzweiflung kam bei Riefenstahl nie vor. «Ich bin so oft von den Alliierten und den Deutschen gefragt worden, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass noch irgend etwas nicht angesprochen wurde.» Eine von Riefenstahls 48 Antworten auf 48 Fragen.

Aus Anlass ihres Geburtstages wollte Hossli.com sie in ihrer Wohnung in der Nähe von München treffen. «Leider ist ein persönliches Treffen mit ihr wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes nicht möglich. Wir können Ihnen aber anbieten, dass Frau Riefenstahl Ihnen einige wenige Fragen schriftlich beantworten wird», schreibt die Sekretärin.

Eine heikle Sache. Gute Interviews entstehen durch Begegnungen. Antworten provozieren neue Fragen. Wirklich fassbar wird eine Person erst, wenn Körpersprache Worte ergänzen. Ein paar wenige Fragen? Drei oder vier? Sind die zu aggressiv, sagt sie nichts? Doch: Aggressive Fragen an Leni Riefenstahl handeln von Hitler und der faschistischen Ästhetik, und darüber hat sie schon viel zu viel geredet und doch stets das gleiche gesagt.

Zwei Tage später liegen die Antworten in der Inbox. Die Fragen habe «Frau Riefenstahl sehr seriös und gut gefunden», schreibt die Sekretärin.

Riefenstahl fasst sich kurz. Wie geht es Ihnen? «Nicht sehr gut.» Nichts über die Schmerzmittel, die sie angeblich nehmen muss, den Helikopterabsturz von vor zwei Jahren im Sudan, die Rippenbrüche. «Ich habe immer sehr gesund gelebt, nicht geraucht und wenig getrunken», darum sei sie 100 Jahre alt geworden. Zudem habe sie «viel und gerne gearbeitet».

Noch immer gestalte sie ihren Alltag «zum grössten Teil mit Arbeit». Sicher, das hohe Alter empfindet sie als «eine Belastung». Und zum Geburtstag wünscht sie sich «eine Linderung meiner körperlichen Beschwerden.» Ihre Ziele sind nicht bescheidener geworden. Sie will «möglichst aktiv arbeiten können.» Hat sie denn Angst vor dem Tod? «Nein.»

Ein bisschen knapp, Riefenstahls Aussagen. Doch den per E-Mail geäusserten Wunsch, etwas auszuführen, schlägt sie aus. «Leider ist es Frau Riefenstahl aus Zeitgründen nicht mehr möglich, auf die eine oder andere Ihrer vielen Fragen nochmals einzugehen», so die Sekretärin.

100-jährig, kein bisschen müde – und noch immer im Stress. Ruhestand? Den verschmäht sie. «Ein Leben in Ruhe wäre doch langweilig, sogar unerträglich.»
In der Kürze ihrer Antworten blitzt zuweilen etwas Schalk auf:

Wen wählen Sie im Herbst fürs Kanzleramt?
Riefenstahl: Das darf man doch nicht verraten.

Welcher zeitgenössische Politiker imponiert Ihnen? Und Warum?
Riefenstahl: Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber, weil er sehr kämpferisch und aktiv ist.

An ihrem Geburtstag gelangt der erste neue Riefenstahl-Film seit 48 Jahren in deutsche Kinos – «Impressionen unter Wasser», aufgenommen während 2000 Tauchgängen in Korallenriffen. Mit 73 erst macht sie den Tauchschein – und zog sich unter die Meeresoberfläche zurück.

Der mit Giorgio Moroders Klängen unterlegte Film handle von den «Wundern der Unterwasserwelt», schreibt sie. An ihr bestehendes Werk knüpfe er an, «weil die Gestaltung vor allem auf dem Optischen liegt».

Das Optische, das Schöne, Starke bedeutet ihr alles, ob stramme Nazis, muskulöse Afrikaner oder eben bunte Fische und Korallen im Salzwasser. «Wenn ich einen roten, einen blauen und einen grauen Fisch sehe», sagt sie vor zehn Jahren zu «Vanity Fair», «ziehe ich den roten und blauen Fisch dem grauen Fisch vor.»

Kritiker wie Susan Sonntag oder der Filmer Erwin Leiser warfen ihr stets vor, während der Naziherrschaft genauso wählerisch gewesen zu sein – zwischen hässlichen und schönen, «rassisch minderwertigen» und «arischen», schwachen und starken, gesunden und kranken Menschen. «Leni Riefenstahl ist keine Kriegsverbrecherin im eigentlichen Sinne des Wortes, an ihren Händen klebt kein Blut. Aber sie trug dazu bei, mehr als irgendein anderer Propagandist, das Ideal der Herrenrasse, der das Recht, die Welt zu beherrschen, zustand, im Bewusstsein der Deutschen zu verankern», schrieb Leiser.

Nicht die Inhalte, die Bildgestaltung hätten sie interessiert. Also nicht was Hitlers Schlägertruppen tun, sondern dass die Truppen gerade marschieren. Für Inhalte ist die visuelle Perfektionistin blind.

Am meisten stolz sei sie «auf die Filme über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin», zwei Filme, die die Werbeästhetik noch immer dominieren und am Anfang moderner Sportübertragungen stehen.

In einem Werbespot für das Cool-Water-Parfüm etwa kopierte Luxushändler Davidoff die Turmspringsequenz aus «Olympia». Wenn an der Fussball-WM die Kamera am Spielfeldrand entlang braust, geht das auf eine technische Innovation Riefenstahls zurück. Bühnenshows von Rocker wie den Rollling Stones erinnern an «Triumph des Willens». Dessen Gestaltung inspiriert Filmer noch immer.

Riefenstahl selbst will noch «Mein Leben mit den Nuba» drehen, ein Dokumentarfilm über den von Kriegswirren bedrohten Stamm der Nubier im Sudan, und den Kleist-Film «Penthesilea».

Sie liebt das Kino, nach wie vor. «Eine wichtige Rolle» misst sie ihm zu, «vor allem [zur] Entspannung von den täglichen Sorgen.» Etwas enttäuschend, dass jene Person, die das Kino wie nur wenige geprägt hat, fast nichts über das Kino sagen kann – oder will. Aber auch typisch Riefenstahl. Sie redet dann wenig, wenns brenzlig oder spannend wäre – und holte in der Leere des Raums bis ins Detail aus.

Vornehmlich schaue sie sich heute «Natur- und wissenschaftliche Filme an – weil es das Wissen erweitert.» Und betont, wie sehr Film bei ihr durch die Form, nicht den Inhalt bestimmt werde. Jungen Regisseuren rät sie sodann «als erstes die Filmtechnik zu erlernen.»

Kurz und doch nuanciert charakterisiert sie grosse zeitgenössische Regisseure, die sie allesamt in irgendeiner Form beeinflusst hat. Francis Ford Coppola? «Ein genial begabter Regisseur.» George Lucas? «Überdurchschnittlich gut.» Steven Spielberg?«Ein Regisseur der Spitzenklasse.» Martin Scorsese? «Begabt.» Woody Allen? «Sehr begabt.» Auch Luc Besson findet sie «sehr begabt».

Ihre Vorliebe gilt verstorbenen Grössen. «Besonders verehre ich [Josef von] Sternberg, [Vittorio] de Sica und [David] Lean.» Dazu noch «Billy Wilder, Walt Disney, [Federico] Fellini, Fred Zimmermann, [Roberto] Rossellini, [John] Huston – weil die Geschehnisse, d.h. die Handlung ins Filmische gestaltet wird.» Bis zum letzten Atemzug und unverwüstlich setzt sie die Form vor den Inhalt.
Und das aktuelle deutsche Kino? «Bringt fast nur mässige Filme.»

Das zumindest kann ihrem Werk nur schwerlich vorgeworfen werden. Kinokenner verehren sie als grosse Ästhetin, als Meisterin der Bildgestaltung und des Schnitts. Gar als «Regie-Genie» bezeichnete sie unlängst die sonst um Superlative eher verlegene NZZ. Die alte Damen bleibt trotz des Lobes bescheiden. «Eine Anerkennung und ein Lob ist immer wohltuend, aber wenn es zu überschwänglich ist, dann fühle ich mich bedrückt.» Sie sei «eine ehrgeizige Filmemacherin», mehr nicht. Ausserdem, «bedauere ich, dass man die Art meiner Filmgestaltung faschistisch nennt.»

Am eingängigsten wies die Essayistin Susan Sontag in ihrem Aufsatz «Faszinierender Faschismus» 1977 in Riefenstahls Ästhetik den Faschismus nach. In ihrem Aufsatz «Faszinierender Faschismus» zeigte die amerikanische Essayistin 1977, dass die Fotografie-Bände, welche Riefenstahl zuvor über den afrikanischen Stamm der Nuba veröffentlicht hatte, demselben faschistischen Kunstverständnis entsprechen wie ihre Filme: die Schönheit männlicher Körper, der Bezug zur Natur, die Wiedergeburt der Gemeinschaft, der Gegensatz von Rein und Unrein, der Kampf.

Feministinnen haben sich an ihr stets aufgerieben. Während eine Fraktion Riefenstahl verurteilte, verurteilte die andere die angebliche Hexenjagd und feierte sie als einzige Regisseurin von Weltruf. Sie selbst «weiss nicht», warum Frauen Mühe bekunden im Filmgeschäft. Es brauche nur «Durchsetzungskraft». Hätte jedoch ein Mann «Triumph des Willens» und «Olympia» gedreht, «würde er bestimmt nicht so angegriffen worden sein wie ich es wurde», schreibt sie.

Oft waren Sie in den Alpen. Was haben Sie für ein Verhältnis zur Schweiz?
Riefenstahl: Die Schweiz erscheint mir wie ein kleines Paradies.

Sie sind vielen einflussreichen wie faszinierenden Menschen begegnet. Was zieht Sie bei einer Person ab?
Riefenstahl: Wenn eine Person bescheiden ist.

Was stösst sie ab?
Riefenstahl: Wenn man von sich selbst zu überzeugt ist.

Haben Sie geliebt?
Riefenstahl: Über mein privates Leben möchte ich mich nicht äussern.

Warum haben Sie keine Kinder?
Riefenstahl: Weil mir der Mann, von dem ich gern Kinder gehabt hätte, nicht begegnet ist.

Aufregend, das war ihr Leben. Jodie Foster will es verfilmen. Bereits vor Jahren hat sich ihre Produktionsfirma die Rechte an Riefenstahls Memoiren gesichert. Angeblich weil die Amerikanerin der Deutschen kein Vetorecht eingestehen will, kommt das Projekt kaum vom Fleck. Riefenstahl gibt sich wortkarg. «Ich bewundere Jodie Foster als grossartige Schauspielerin», schreibt sie über die Aussicht, von Foster dargestellt zu werden. «Über das Filmprojekt selbst möchte ich nicht sprechen, weil es sich erst in der Vorbereitung befindet.»

Was braucht es, damit Hollywood – mit Vorliebe schnurgeraden Erzählmustern verschrieben – ihrem komplexen Leben gerecht wird? «[Hollywood ] muss sich an die Wahrheit halten, die in meinen Memoiren aufgezeichnet ist.» Sie habe sich «noch nicht damit befasst», welche Hollywood-Stars Figuren wie Goebbels oder Hitler verkörpern sollen.

Auf was sind Sie stolz im Leben?
Riefenstahl: Ich habe mich immer bemüht, das Beste zu erreichen ohne dabei ein Gefühl von Stolz zu haben.

Was bereuen Sie?
Riefenstahl: Dass ich in meinem Leben Hitler begegnet bin.

Was macht Sie glücklich?
Riefenstahl: Wenn ich mit einer meiner Arbeiten zufrieden bin.

Was bedeutet Ihnen Geld?
Riefenstahl: Geld spielt bei mir nicht die wichtigste Rolle.

Sie selbst scheint sich unsterblich zu fühlen. So sei «die Angelegenheit noch nicht geklärt», was mit ihrem Vermächtnis, den Rechten an ihren Filmen und Fotografien, nach dem Tod geschehen soll – als ob sie noch reichlich Zeit hätte.

Erwartet die Jubilarin von ihren Kritikern nun ein Versöhnungsangebot? «Ich glaube kaum, dass mein 100. Geburtstag ihre Meinung ändert.» Hat sie selbst denn genug unternommen? «Bei seriösen Zeitungen habe ich versucht, Irrtümer aufzuklären und wo ich mich zu einer Verhandlungsklage gezwungen sah, habe ich jeden dieser Prozesse gewonnen.»

Sie wird sich nie dazu bekennen, was ihre Ankläger sagen – ihre Filme dürften keinesfalls als «reine Dokumentarfilme» betrachtet werden; sie dienten einem Terrorstaat. Das will sie nicht wahrhaben.

«Ich war sehr Heimat bezogen», darum habe sie im Gegensatz zu den Kollegen aus der Filmbranche – Marlene Dietrich, Josef von Sternberg – Deutschland nicht Richtung USA verlassen. Sie war die Propagandistin in der Hitler-Heimat.

Ihrem später Ruhm in den USA schadete es nicht. Ihre Bücher werden dort oft neu verlegt, jede bessere Videothek vermietet ihre Filme, in Filmschule studieren angehende Regisseure «Triumph des Willens». Sie komme in den USA an, «weil dort wenig Vorurteile vorhanden sind». Deutschland hat sie nie allein als grosse Künstlerin akzeptiert. Warum? «Das weiss ich nicht, ich frage Sie!»