Kalter Krieg mit andern Mitteln

Der virtuelle Feind sitzt im Osten. Krieg soll nun auch virtuell geführt werden, wie die Drohung chinesischer Hacker gegen die USA zeigt. Die Nationen rüsten gegen den Cyberkrieg und Attentate im Netz.

Von Peter Hossli

Eine Nation atmet auf. Die Computer rechnen noch. Das Internet ist intakt, der angekündigte Crash vorerst abgewendet.

Erst vergangene Woche prophezeite die US-Bundespolizei FBI die digitale Apokalypse. Von der chinesischen Regierung orchestrierte Hacker würden Anfang Mai lästige Computerviren auf US-Netze loslassen. Mit so genannten Denial-of-Service-Attacken würden sie staatliche Websites und die Rechner grosser amerikanischer Firmen zuerst überfordern und dann lahm legen. Nationalistisch gesinnte Chinesen rächten sich so für die Kollision zwischen einem US-Spionageflugzeug und einem chinesischen Abfangjäger im März.

Vor einem elektronischen Angriff wird seit zehn Jahren gewarnt

Der «erste Cyberkrieg bricht aus», schrieben aufgeregt die Journalisten des Computermagazins «Wired». Auf einer – militärisch unwichtigen – Site der US Navy erschienen tatsächlich pro-chinesische Slogans. «Es besteht keine Frage, diese Angriffe werden von China finanziert», sagte der Berater der nationalen Sicherheitsbehörde der USA, James Adams. Im Gegenzug platzierten amerikanische Hacker auf hunderten China-Sites Webgraffiti, meist plumpe Propaganda. Die US-Hacker agierten privat, erklärte Adams, die chinesischen hingegen stünden im Staatsdienst.

Schliesslich bliebs bei harmlosen Zwischenfällen und Megafon-Diplomatie. Trotzdem unterstreichen vornehmlich US-Sicherheitsexperten: Der Krieg der Grossmächte, der bis vor kurzem noch ein kalter war, werde nun virtuell gefochten. Vor einem «elektronischen Pearl Harbor» wird in den USA seit dem Anfang der Neunzigerjahre gewarnt. So, wie vor sechzig Jahren die japanischen Flieger auf Hawaii die US-Navy angreifen konnten, könnten heute Cyber-Terroristen gezielt die Lebensadern der digitalen Gesellschaft angreifen und massiv schädigen. Parallel zur Vernetzung nähme die enorme Anfälligkeit der Netze zu. Bedroht seien etwa die Energieversorgung oder das Telekommunkationssystem.

Hatten bis anhin Staaten die Waffengewalt, so verwaltet beim Cyberkrieg theoretisch jeder Internetnutzer ein unendlich grosses Arsenal hoch wirksamer Projektile. Unkontrolliert können nationalistische und den Regierungen technisch meist überlegene Hackergruppen Angriffe auf andere Länder oder multinationale Unternehmen lostreten oder Kleinkriege mit weit reichender Wirkung führen. Diplomatie und Handelsorganisationen hingegen fehlen geeignete Abwehrmittel.

Bürgerrechtler fürchten eine Zensur des digitalen Raums

Regierungen wie Unternehmen investieren deshalb weltweit Milliarden von Dollar, um ihre anfälligen Computersysteme zu schützen. Bürgerrechtler hingegen monieren, der drohende Cyberkrieg sei eine Übertreibung und nur Vorwand, um den digitalen Raum einzuengen und zu zensurieren.

Die Tatorte der hacker

Davos, Januar 2001
Problemlos gelang es im Januar Unbefugten, in die Datenbank des Davoser Wirtschaftsforums einzudringen. Die Hacker «Virtual Monkeywrench» hatten den Server geknackt und der «SonntagsZeitung» eine CD mit E-Mail-Adressen, Passwörtern, Telefon- und Kreditkartennummern zugestellt. Die gehörten den Notablen der Polit- und Wirtschaftswelt. Schwierig seis nicht gewesen. Die Daten, sagten die Hacker der «SonntagsZeitung», «lagen im Schaufenster». Der Hack sei wie «Spazieren im offenen Hof» gewesen.

I Love You, Mai 2000
Weltweit verheerende Schäden richtete am 4. Mai 2000 das Computervirus «I Love You» an. Innerhalb weniger Stunden infizierte es Millionen von Computern und legte E-Mail-Systeme von Behörden und Unternehmen lahm. Der Schaden wird auf zehn Milliarden Dollar geschätzt. Als Urheber gilt der 23-jährige philippinische Informatikstudent Onel de Guzman. Er gestand später, das Virus möglicherweise versehentlich versandt zu haben. Böse Absicht seis nicht gewesen. Die Anklage wurde fallen gelassen.

Amazon, eBay, Yahoo, CNN, Februar 2000
Acht der meistbesuchten Websites stiegen im Februar 2000 zwei bis fünf Stunden aus. Dazu gehörten CNN, Amazon.com, eBay, Yahoo oder die Brokerfirma E-Trade. Mit so genannten Denial-of-Service-Attacken wurden die Sites mit Millionen von Anfragen überhäuft, die sie restlos überforderten. Der mutmassliche kanadische Hacker namens MafiaBoy benutzte den Server der University of California in Santa Barbara. Der kolossale Angriff veranlasste Präsident Bill Clinton, eine Konferenz zur Internet-Sicherheit einzuberufen.

Die grössten Hacks aller Zeiten
Die Tonfrequenz einer Spielzeugpfeife erlaubte es 1972 John Draper, kostenlose Telefongespräche zu führen. 1981 brach Ian Murphy bei AT&T ein und änderte die Gesprächsraten – am Tag wurde es billig, um Mitternacht teuer. 1988 legte Robert Morris zehn Prozent des Internets lahm, damals rund 6000 Computer. 1995 brachte der Russe Wladimir Lewin die Citibank dazu, ihm 10 Millionen Dollar zu überweisen. Übrigens: Apple-Mitgründer Steve Wozniak oder Linux-Erfinder Linus Torvalds begannen als Hacker.�