Mit «Amistad» ist Spielberg gescheitert

70 Millionen Dollar hat Steven Spielbergs Sklavenepos «Amistad» gekostet. Es zeigt: Amerikas Weisse kommen mit den Schwarzen nicht zurecht.

Von Peter Hossli

Gen Westen, dem Sonnenuntergang entgegen, können weisse Amerikaner erst erhobenen Hauptes reiten, wenn sie das Schwarze überwunden haben. «Um frei zu sein», erklärt Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison amerikanische Erzählweisen, «braucht jeder weisse Held die katharsische Begegnung mit einem Schwarzen.»

Regiewunderkind und Milliardär Steven Spielberg hatte seine Katharsis vor drei Jahren. Mit dem Holocaust-Film «Schindler’s List» befreite er sich damals als Mensch. Jetzt befreit er sich, wieder mit kolossalem Kino, als Amerikaner.

Letzte Woche feierte sein «Amistad» in den USA Premiere. Ein fast dreistündiges filmisches Monument über die Unmenschlichkeit der Sklaverei, dem «Loch in der amerikanischen Seele», wie der schwarze Bürgerrechtler Jesse Jackson Amerikas Unbehagen mit dem ver-drängten Kapitel der US-Geschichte beschreibt.

Spielberg scheiterte auf hohem Niveau.

Zwar löste «Amistad» in den USA eine Debatte über die «langen Schatten der Sklaverei» («Newsweek») aus. Der «wichtige, aber missglückte Film» («New York Times») verdeutlicht eines: Die Unfähigkeit des weissen Amerika, mit den Schwarzen klar zu kommen. Nach wie vor bleiben die Rassen strikte getrennt.

Bunt bebildert schildert Spielberg eine wahre Geschichte: 1839 meuterten 53 wie Tiere gehaltene Afrikaner und Afrikanerinnen auf dem spanischen Schoner «La Amistad». Sie töteten die Besatzung, versuchten, nach Afrika zu segeln, landeten nach einer Irrfahrt aber an der US-Ostküste vor Long Island. Dort gerieten sie in Verstrickungen der noch jungen amerikanischen Justiz. Gerechtigkeit erfuhr ihnen erst am Obersten Gerichtshof. Ex-Präsident John Quincy Adams hielt im hohen Alter ein bahnbrechendes Plädoyer für die Abschaffung der Menschen verachtenden Sklaverei.

«Amistad» sollte in Amerika für die Schwarzen denselben Effekt haben wie «Schindler’s List» für den Holocaust – Aufarbeitung und Erinnerung. Ein Film gegen die Verdrängung der weissen Schuld und des schwarzen Schmerzes.

An diesem Anspruch konnte Regisseur Spielberg, der gute Mann der Kulturindustrie, nur scheitern. Er ist weiss, und er ist Jude. Für viele schwarze Intellektuelle Gründe genug, dem «E.T.»-Macher das Recht abzusprechen, ihre Geschichte bombastisch im Kino zu erzählen. «Es ist eine Schande, dass Spielberg den ersten Film über die «Amistad» drehte», sagt der schwarze Autor Haki Madubuti.

Keiner sonst bekäme 70 Millionen Dollar für einen Film über Sklaverei, ein Thema, das von Hollywood fast unangetastet blieb. Zwar kannten schwarze Regisseure wie Spike Lee oder John Singelton die in keinem Geschichtsbuch erwähnte Story. An das teure Projekt wagten sie sich nicht. «Ein Schwarzer kann so etwas nie finanzieren», sagt Lee.

Einmal mehr fühlen sich viele Schwarze ihrer Kultur beraubt. Erinnerungen an die zwanziger und dreissiger Jahre werden wach. Damals kontrollierten jüdische Agenten schwarze Jazz-Musiker. Juden gaben in Harlem Bücher schwarzer Autoren heraus und produzierten schwarzes Kino. Das Geld ging in jüdische Kassen, die Talente waren schwarz. «Genau wie jetzt bei «Amistad»», sagt die schwarze Autorin Barbara Chase-Riboud, die Spielberg vorwirft, er habe ihren Roman «Echo of Lions» plagiiert.

Wie ein vereiterter Stachel steckt die Sklaverei tief im Innern Amerikas. Ein Stachel, der kaum zu ziehen ist. Freiheit, das geistige Fundament des amerikanischen Traums, gehörte nie ins Bewusstsein und erst seit kurzem in die Realität der Schwarzen. Im Gegensatz zum Rest des Meltingpot kamen die Afrikaner als Einzige nicht freiwillig in die Neue Welt. Weisse verschleppten sie.

Einträgliche US-Populärkultur lässt sich aus dieser Ursünde schwerlich zimmern. Sklaverei ist im Fernsehen selten ein Thema. Über zwanzig Jahre liegt die TV-Serie «Roots» zurück. Und «Amistad» ist der erste Hollywood-Film, in dem die brutale Überfahrt der menschlichen Ware von Afrika nach Amerika gezeigt wird.

Öffentliche Debatten darüber finden höchstens alle zwei Jahrzehnte statt. Brechen sie einmal aus, sind sie stets heftig, aber selten ergiebig.

Jetzt ist wieder so ein Moment. «Newsweek» titelt. Das Fernsehen zeigt Dokumentarfilme. Im Internet wird in Chat-Foren diskutiert. Museen in Detroit und Cincinnati stellen aus. Drei historische Abhandlungen zum Thema liegen in den Buchläden. Eine schwarze Theatertruppe singt in Chicago eine «Amistad»-Oper. Präsident Clinton empfängt Regisseur Spielberg und seine Crew im Weissen Haus. Washingtons Politiker diskutieren, ob neben dem Vietnam- und dem Holocaust-Denkmal eine Gedänkstätte für die Opfer der Sklaverei errichtet werden soll.

Die amerikanische Filmkritik lobt einhellig Spielbergs Verdienst, eine kaum bekannte historische Episode endlich ins Rampenlicht gerückt zu haben. Das sei ehrenwert – selbst wenn die Ausführung ebenso einhellig als gescheitert beurteilt wird. In Ohio debattieren Historiker über die Folgen des weiss-schwarzen Herren-Knecht-Verhältnisses. In Hollywood entstehen zwei Filme über Sklaverei. Und der Gerichtssender CourtTV überträgt live die Anhörung der schwarzen Autorin Chase-Riboud, die wegen Ideenklaus von Spielberg zehn Millionen Dollar verlangt.

Gestellt wird stets dieselbe Frage: Wie soll Amerika mit dem schwärzesten Kapitel seiner Geschichte umgehen? Eine Entschuldigung bringe wenig, meinen die einen, und schüre noch mehr Zwietracht zwischen Schwarz und Weiss.

«Man muss aufhören, die Narben wieder aufzureissen», sagt der konservative schwarze Politiker Robert Woodsen.

«Amerika wird mit der Sklaverei nie zurecht kommen», entgegnet Jesse Jackson im Hinblick auf erneut auftretende Spannungen im ganzen Land. «Die Überreste der Sklaverei sind überall.»

So verlangen Schwarze die Umbenennung öffentlicher Gebäude. George Washington, erster Präsident der USA, habe Sklaven besessen. Es sei ein Hohn, ihm Schulen oder Museen zu widmen.

Trotz des von Spielbergs Marketingabteilung rechtzeitig auf den Filmstart ausgelösten Rummels hält sich das Interesse des Publikums am Diskurs in Grenzen. «Über Sklaverei denken gebildete Menschen nur in New York und Los Angeles nach», sagt ein Professor für afrikanische Geschichte an der New York University. «Im Süden oder im Mittleren Westen muss man froh sein, wenn Spielbergs Film überhaupt gezeigt wird.»

Das Echo in den wichtigen US-Medien fällt geringer als erwartet aus. CNN-Mann Larry King, populärster politischer Talker des Landes und am Kino sehr interessiert, griff das Thema nicht auf. Die «New York Times», die bei jedem politischen Film leitartikelt, beliess es bei einer Filmkritik.

Bei «Schindler’s List» war das anders. Endlich gabs einen Film, der das Unfassbare des Holocausts anschaulich an den Pranger stellte, jubelten die jüdischen Journalisten und berichteten eifrig.

Den Schwarzen fehlt eine solche Lobby. Und «Amistad» fehlt die Qualität.

Spielbergs Film ist zerredet. Er folgt der Hollywood-Logik und preist das amerikanische Justizsystem: Recht siegt über Unrecht, selbst wenn die Geschichte das Gegenteil lehrt. Der positive Einzelfall überragt die Masse der Verbrechen. Ein Entscheid gegen die Sklaverei, der 1839, fast 30 Jahre vor dem Sezessionskrieg, fiel, verdrängt die Schrecken davor, verschweigt die schon um 1890 eingeführten Rassengesetze, die Segregation, die erst 1965 endete, oder den sozialen Verfall der schwarzen Innenstädte im Amerika am Rand des 21. Jahrhunderts.

Spielberg erteilt eine didaktische, humorlose Lektion. Fein säuberlich, ohne das Publikum mit mehr als einem Gedanken zu überfordern, führt er die Protagonisten ein und wieder aus. Der gute Sklave aus Afrika. Die schlechten Händler aus Spanien und Portugal. Der gute Sklavenanwalt. Der schlechte und der gute Präsident. Das Gericht als Hort der Gerechtigkeit.

Die Lehrer wirds freuen – «Amistad» ist perfekt gemachtes Schulfernsehen.

Was fehlt, ist der Held. «Amistad» hat keinen Oskar Schindler, keine komplexe Identifikationsfigur, die Gutes tut.

Hierin liegt Spielbergs Dilemma. Hätte er einen Schwarzen ins Zentrum gerückt, hätte er das weisse Publikum verärgert und vom Kinobesuch abgehalten. Ein schwarzer Held aber wäre ahistorisch gewesen. Schwarze hatten keine Handlungs-, Rede- und Gedankenfreiheit – alles Voraussetzungen für einen Kinohelden. Den Film publikumswirksam aus der Sicht eines Angelsachsen zu erzählen, das getraute sich Spielberg aber nicht. Zu Recht fürchtete er Proteste der Schwarzen.

Die Symbolik des letzten Bildes aber, die hat Spielberg bestens begriffen: Erhobenen Hauptes segelt der befreite Schwarze am Schluss gen Osten. Nach Afrika, dorthin, wo die Sonne aufgeht.