Klappe für die Klappe

Grossmaul auf Grossleinwand: Ein Film über den beliebtesten Radiomacher der USA, Howard Stern, kommt in Schweizer Kinos. Nichts für Sensible.

Von Peter Hossli

Hemmungslos schmückt US-Radiomoderator Howard Stern die Sätze seiner Morgensendungen mit «baumlangen Penissen», noch «warmer Kacke» oder «duftenden Pussys» aus. Besucht ihn eine Frau im Studio, hat er schon mal oralen Live-Sex am Radio. Anrufer schimpft er «Schwächling», «Neger» oder «Schwulensau». Rücksicht auf das Schamgefühl der Hörer und Hörerinnen kennt er nicht. Politische Korrektheit ist ihm fremd. Nicht links, nicht nett.

Warum auch. Howard Stern, 43, ist der beliebteste Radiomacher der USA. Keiner erreicht höhere Einschaltquoten als der selbsternannte «King of all Media», der König aller Medien.

Jetzt gelangt der in Europa weitgehend unbekannte Stern in die Kinos. Ab nächster Woche läuft Regisseurin Betty Thomas’ aberwitziger und liebevoller Film «Private Parts», eine biografische Annäherung an das Leben des fast zwei Meter langen, schlaksigen Mannes mit den vielen Kopfhaaren.

Stern spielt Stern. Mit Ausnahme der paar Sequenzen aus seiner Kindheit verkörpert der seit Jahren von religiösen Fanatikern und Moralaposteln gehasste Multimillionär stets sich selbst: den unsicheren, sexuell unbefriedigten Teenager, den unerfahrenen Radiomann, den Superstar, das Sexsymbol.

Im Kino zu Wort kommt ein vorlauter, egomanischer und selbstverliebter Schwätzer, der smart und vulgär vor sich hin redet. Profanes Ziel des endlosen wie genialen Gequassels: Stern versucht, mit Neurosen, sexuellen Obsessionen und einem angeblich viel zu klein geratenen Penis fertig zu werden. Eine Mischung aus Muhammad Ali und Woody Allen.

Howard Stern wächst in einem jüdischen Viertel im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Obwohl der Vater in Manhattan arbeitet, will er um keinen Preis in die richtige Stadt ziehen. Jugend in Suburbia. Bei «Halt die Klappe, Howie!» enden die Diskussionen in der dysfunktionalen Familie. Beim Duschen nach dem Turnen fallen dem schmächtigen Knaben die grossen und behaarten Schwänze der Mitschüler auf. Dass dereinst eine Frau mit ihm schlafen würde, bezweifelt er. Später, auf der High School, weigert sich auf dem Pausenplatz selbst eine Blinde, mit ihm auszugehen; sie hat eben sein langes Gesicht und den zu gross geratenen Lockenkopf betastet.

Erst am Radio legt er den Minderwertigkeitskomplex ab. An der Boston University sitzt Stern in den siebziger Jahren erstmals hinter einem Mikrofon. Er moderiert den Studentenfunk. Und blüht auf.

Nach der Uni talkt er sich von kleinen über mittlere bis zu ganz grossen Radiostationen. Grösser und bedeutender werden die Städte, aus denen Stern sendet: Auf Boston folgt Detroit, dann Washington D.C. und schliesslich New York City. Zwar wollen ihn die meisten Programmleiter bald wieder loswerden. Dauernd verletzen Sterns Verbalinjurien die Richtlinien der nationalen Radioverbände. Das Wort «Penis» gehöre auf den Index, nicht in den Äther, begründen Sendeleiter ihre angedrohten Kündigungen. Die Einschaltquoten aber geben Stern recht. Bald hören 18 Millionen Leute seine an der Ost- und Westküste ausgestrahlten Sendungen. Der Penis ist ihnen so lang wie breit.

Mit der Fangemeinde steigt das Salär. Howard Stern – sein Vermögen wird auf 50 bis 100 Millionen Dollar geschätzt – ist ein von Hollywood perfekt vermarkteter Popstar. Seit «Private Parts» kennen Stern selbst Leute, die nie Radio hören. Das US-Magazin «Rolling Stone», die Enzyklopädie der Rockmusik, hievte ihn auf die Titelseite. Der «New Yorker» und der «Playboy» porträtierten ihn seitenlang. Amerikanische Hausfrauen erfuhren im «TV Guide», der meistgelesenen Zeitschrift der USA, alles über Howard Stern. An zahlreichen Universitäten entstehen Doktorarbeiten über die Semiotik seiner Radiosendungen. Eine dreissig Meter hohe, aufblasbare Howard-Stern-Puppe ankerte am Filmfestival in Cannes vor der Côte d’Azur – zum Unwillen Jacques Chiracs; der französische Präsident schimpft den Promotions-Gag als «amerikanischen Kulturimperialismus».

Wer Howard Stern nur im Kino erlebt, erhält ein verzerrtes Bild. Während ihn der Biografiefilm «Private Parts» zum liebevollen Familienmenschen stilisiert, der seine verkorkste Jugend mit der treuherzigen Ehefrau Allison und einer grossen Klappe verarbeitet, bewegt sich der reale Stern auf schmalem Grat: nahe an der Menschen verachtenden Geschmacklosigkeit. Zu den bevorzugten Zielen seiner verbalen Rundumschläge gehören Schwarze, Schwule und Lesben, Asiaten oder Behinderte. Skrupel kennt er keine. Bereits ein paar Stunden nach der Ermordung der Chicano-Sängerin Selena machte er sich über sie lustig. Kritiker werfen ihm vor, die Schwächsten schwächer aussehen zu lassen. Zuweilen fallen Vorwürfe, Stern sei faschistoid und frauenfeindlich.

Sterns Bücher geben ein anderes Bild ab. Der Autor entpuppt sich als feiner Beobachter der amerikanischen Populärkultur. Ein genialer Komiker, der die geheimen Gelüste nach Perversion befriedigt und ihnen eine Spielwiese in den Mainstream-Medien gibt. Mit bitterbösen politischen Bemerkungen über US-Präsidenten, Saddam Hussein oder biedere Regionalpolitiker ebnete Howard Stern etwa den Weg für Beavis and Butthead, den animierten MTV-Zynikern und vielleicht schärfsten Beobachtern des Zeitgeschehens in den USA.

Trotz Präsenz in allen Medien bleibt Stern dem Radio treu. Täglich ist er auf Sendung. Seine Sendung verkauft sich in 35 Regionen der USA. Jede Station, die ihn aufschaltet, bezahlt jährlich mehrere hunderttausend Dollar. Seine beiden Bücher, die Autobiografie «Private Parts» und die Anekdotensammlung «Miss America», standen während Monaten an erster Stelle der Bestsellerlisten. Paramount Pictures zahlte Stern eine Million Dollar für die Rechte an «Private Parts». Weltweit spielte der Film bereits über 60 Millionen Dollar ein – ein hervorragendes Ergebnis für einen derart unkonventionellen Stoff.

Geld spielt keine Rolle mehr, sagte Stern in einem Interview. «Mich ärgert bloss, wenn andere Radioleute mit meinen Ideen reich werden. Und ich bin frustriert, dass ich noch immer nicht im ganzen Land zu hören bin.»

Linie frei für den Frust

Radio erlebt in den USA eine Renaissance – als Sammelbecken für verirrte Seelen.

So effizient wie Radio ist kein Propagandamittel. Es ist billig, schnell und kann von extrem vielen Leuten mitverfolgt werden. Besonders erfolgreich genutzt wird es in den USA von ultrakonservativen Gruppierungen. Mit Talk-Radio-Stationen haben sie dem veralteten Medium seit Beginn der neunziger Jahre zu einer Renaissance verholfen. Ihre Moderatoren geben einem Heer von Enttäuschten und Unzufriedenen eine Stimme. Leute wie der schwergewichtige, reaktionäre Maulheld Rush Limbaugh öffnen Millionen von Hörern das Mikrofon, das angestauten Frust aufnimmt und weitergibt.

Wer anruft, ist meist weiss, männlich, nicht behindert und heterosexuell. Am Radio erläutern sie, wie falsch es sei, wenn die Gesellschaft Schwarze, Lesben oder Rollstuhlfahrer gleichberechtigt behandelt. Ein Sammelbecken für verirrte Seelen.

Im Sog von Rush Limbaugh hat sich die Zahl reiner Talk-Stationen seit 1989 auf fast 700 verdoppelt. Das Radio ist keine Jukebox mehr, es wird zu einem verlängerten Telefon. Natürlich talken auch aufgeklärte, liberale Geister. Ihre Einschaltquoten sind aber viel tiefer – angeblich wegen Langeweile.

Aber ein Ende des Talk-Radios ist absehbar. Chat-Boxen im Internet übernehmen zunehmend die Funktion. Dort kann man weltumspannend gegen die Welt wettern.