Von Peter Hossli
Schweizer Uhren ticken nicht mehr rund. Einen Drittel weniger Zeitmesser exportierte die edle Branche im ersten Halbjahr. Um 2,2 Milliarden Franken brach der Umsatz ein. Welsche Uhrmacher, jüngst noch die Helden eines fünf Jahre anhaltenden Exportwunders, drehen neuerdings Daumen. Tristesse regiert von Le Locle bis La Chaux-de-Fonds. Im Kanton Neuenburg verloren an einem einzigen Tag im Juni 120 Personen ihren Job an der Werkbank. Fertigten vor Jahresfrist noch 53 000 Beschäftigte feinste Uhren «made in Switzerland », sind es heute 3500 weniger.
Es trifft grosse wie kleine Manufakturen. Kurzarbeit wird bei drei Töchtern der Swatch Group geleistet. Fils d’Arnold Linder, hinten im Jura ein Fabrikant von Zifferblättern, trennt sich von 40 Leuten, die Richemont-Marke Roger Dubuis von 70, ebenso das Traditionshaus Zenith. Wobei hier zusätzlich der Chef geht.
Schuld daran seien – da sind sich alle einig – die amerikanische Finanz- und die daraus erwachsene weltweite Wirtschaftskrise. Die Beklommenheit an den Börsen hält manchen davon ab, eine neue Uhr zu kaufen. Ebenso klemmen arabische Ölmagnaten am Golf und Finanzjongleure in Singapur. Um 43 Prozent ging etwa der Absatz in den USA zurück, um beinahe 30 Prozent in Saudi-Arabien und um 22 Prozent in Hongkong, dem wichtigsten Absatzmarkt für Schweizer Uhren.
«Wir wissen nicht, wann die Krise zu Ende ist», sagt der Vorsteher beim Branchenverband der Uhrenindustrie, Jean-Daniel Pasche. Die betuchten Uhrenkönige, kürzlich noch verehrt und landesweit bewundert, schlagen leisere Töne an. Drei reden erstaunlich offen.
Beim Gespräch geben sie sich zuversichtlich. Optimist Jean-Claude Biver, Chef von Hublot, wittert beim Treffen am Flughafen in der grossen Krise die grosse Chance. Peter Stas, Chef von Frédérique Constant, erhofft sich eine Rückbesinnung auf die Tradition. Ebenso TAG-Heuer-Chef Jean-Christophe Babin, der die Branche als «innovativ wie nie» lobt.
JEAN-CLAUDE BIVER, 59, CEO HUBLOT
Der Chef des Genfer Uhrenherstellers Hublot führt 136 Leute. Im Jahr 2008 erzielte die zum Luxusriesen LVHM gehörende Firma laut Schätzungen 220 Millionen Franken Umsatz und verkaufte in 35 Ländern rund 24 000 Uhren.
«Die Krise hat nur die überrascht, die das Metier nicht gut kennen. Auf fette Jahre folgen ja stets magere. Die Uhrenbranche blickt auf fünf ausgesprochen einträgliche Jahre zurück. 2008 verzeichnete sie den höchsten Umsatz der 450-jährigen Geschichte. Fällt man vom Gipfel, ist der Fall stets etwas spektakulärer. Dabei steht die Branche heute dort, wo wir 2006 waren. Das war ein gutes Jahr.
Dramatisch ist die Lage ohnehin nicht, da die Krise nicht strukturell zu erklären ist. Die Branche selbst hat wenige Fehler gemacht. Der Einbruch beim Konsum hat den Umsatz gedrückt. Wir leiden weniger als der Finanzplatz oder die Maschinenindustrie. Deshalb bringt uns staatliche Hilfe nicht viel. Öffnet der Bundesrat die Schatullen, verführt das keinen einzigen Kunden zum Kauf einer neuen Uhr. Die Lösung ist einfach: Wir müssen vermehrt Uhren fabrizieren, die Käufer finden.
Am besten kontern jene Firmen die Krise, die sich darauf vorbereitet und rechtzeitig Reserven angelegt haben. Uns beschert sie die Möglichkeit, die Konkurrenz abzuhängen. Es ist wie bei der steilsten Bergetappe an der Tour de France. Die bereits Starken sind am Hang noch stärker. Sie erhöhen den Vorsprung.
Klar, auch wir verzeichnen Umsatzeinbussen. Wer das jetzt nicht zugibt, der lügt. Allerdings liegt der Einbruch bei Hublot weit unter dem Branchendurchschnitt von 30 Prozent. Seit Beginn der Krise haben wir zusätzlich 40 Leute eingestellt. Anfang Mai nahmen wir eine neue Produktionsstätte in Nyon in Betrieb. Wir kauften Maschinen für 13 Millionen Franken. Um in den Markt zu drängen, haben wir die Spesenbudgets für Reisen, Werbung und Marketing kräftig erhöht. Es verkauft nur, wer präsent ist.
Erfolg hat Hublot, weil ich das Angebot bewusst verknappe. Bestellt ein Händler zehn Uhren, kriegt er sechs. Neue liefern wir erst, nachdem er vier davon verkauft hat. Eine Uhr ist ein Luxusgegenstand. Es darf nicht leicht sein, ihn zu erhalten. Das sorgt für tiefe Lagerbestände, was sich in einer Konsumkrise bewährt.
Zuallererst soll eine Uhr in den Augen eine Gefühlsregung erzielen. Sie muss anziehend und anders sein, und sie muss gefallen. Es gefällt mir, mit Widersprüchen zu spielen, etwa die Tradition des 17. Jahrhunderts auf die Moderne prallen zu lassen. Das gibt einer Uhr unheimliche Energie. Trifft das Plus auf das Minus, fliegen die Funken.
Die Krise geht vorbei. Bereits jetzt steigen die Umsätze in den USA und Asien. Natürlich macht eine Schwalbe noch keinen Sommer. Aber der Winter rückt in die Ferne. In zehn bis zwölf Monaten werden wir das Niveau von 2008 wieder erreichen.»
PETER STAS, 46, MANAGING DIRECTOR FRÉDÉRIQUE CONSTANT
Der Chef des 1988 gegründeten Genfer Unternehmens Frédérique Constant verkaufte 2008 in 75 Ländern etwa 100 000 Uhren. Stas beschäftigt 80 Personen. In den letzten zehn Jahren verzeichnete er ein durchschnittliches Wachstum von jährlich 23 Prozent.
«Mir setzt die Krise sehr zu. Seit zwanzig Jahren bin ich im Geschäft. Jedes Jahr feierte ich Wachstumsraten von mehr als 20 Prozent. Letztes Jahr verkaufte Frédérique Constant 100 000 Uhren. Heuer werden es weniger sein. Tag und Nacht überlege ich mir nun Strategien, der Krise zu trotzen. Klar, die Weltwirtschaft stoppte im Herbst abrupt. Das würgte die Nachfrage ab. Doch die Juwelierläden kauften weiter ein. Ihr Weihnachtsgeschäft fiel dann ins Wasser. Ab Anfang Jahr stornierten sie Bestellungen. Wir blieben auf vielen Uhren sitzen.
Die Branche selbst machte Fehler. Protzige Schweizer Uhren überschwemmten den Luxusmarkt, dazu hässliche zeitgebundene Konzeptgeräte. Verloren gingen Klassik und Tradition. Der Trend schadet der Branche. Menschen betrachten Uhren als Investition, die über Jahre den Wert halten soll. Sie verabscheuen Produkte, die nur kurzzeitig in Mode sind. Frédérique Constant wich der Entwicklung zum Glück aus – wir sind klassisch geblieben.
Unser Luxussegment ist nicht zu teuer. Zuletzt haben wir in Basel die Maxime Manufacture Automatic lanciert. Sie kostet 1950 Euro, ein Preis, der nach wie vor gut läuft. Bereits im Juni legte unser Umsatz um sieben Prozent zu. Zwar stottert der Absatz in Russland, Japan und Südeuropa. Dafür floriert das Geschäft in China mit einem Plus von 40 Prozent. Gut läuft es in der Schweiz und den Benelux-Ländern.
Wir mussten niemanden entlassen, darüber bin ich froh. Bewusst verzichten wir auf Kurzarbeit. Sie entmutigt das Personal. Es ist eine versteckte staatliche Hilfe, die ich grundsätzlich ablehne. Der Markt, nicht der Staat entscheidet, ob eine Firma überlebt.
Wir motivieren das Personal mittels Boni. Alle sind beteiligt, selbst die Empfangsdame. Jeden Monat präsentieren wir den Angestellten neue Absatzzahlen.
Die Talsohle ist erreicht. Allerdings dauert es noch bis Mitte 2010, bis die Umsätze wieder steigen. Dann hat sich die Industrie verändert. Verrückte Kollektionen wird es weniger geben. Kleinere Hersteller, die auf Konzeptuhren gesetzt haben, gehen ein. Bei den ganz Grossen gibt es ebenfalls Fabrikanten, die ihre Strategie ändern sollten, sonst droht ihnen das Schlimmste. Wen es treffen könnte, sage ich Ihnen nicht.»
JEAN-CHRISTOPHE BABIN, 50, CEO TAG HEUER
Von La Chaux-de-Fonds aus führt der französische CEO des 1860 gegründeten Traditionshauses TAG Heuer weltweit 1000 Angestellte. 2008 setzte der Konzern 800 000 Zeitmesser in 110 Ländern ab.
«Der Umsatz wächst in Amerika und Asien wieder. Schwierig bleiben Russland und der Nahe Osten. Dort hängt der Reichtum am Rohöl. Die weltweite Arbeitslosigkeit macht mir Sorgen. Ohne Job und Perspektive kauft keiner Luxusgüter. Noch verdienen aber 90 Prozent der Kunden so viel wie letztes Jahr. Erzeugen wir wieder Träume mit Uhren, erholt sie sich.
Zumal die Schweizer Uhrenindustrie so innovativ ist wie nie zuvor. Die globalen Marken sind Ikonen. Ihr Design und die Technologie überragen alle anderen.
Brutal ist die Krise, weil sie weltweit zuschlägt. Finanzjongleure und nicht wir sind dafür verantwortlich. Das bringt viele Leute weg von den Börsen hin zu realen Werten – für uns eine riesige Chance. Schweizer Uhren sind ja Anlagen, deren Wert wächst. Eine TAG Heuer Monaco aus den Siebzigerjahren ist heute doppelt so teuer wie eine neue Monaco. Ihr Preis hat sich verzehnfacht.
Ich musste 29 Stellen abbauen. Das tat weh. Bald stellen wir aber wieder Uhrmacher ein. In Cornol im Jura entsteht eine neue Fabrik. Ab Ende 2009 fabrizieren wir dort hochwertige mechanische Uhren. Zudem eröffnen wir 20 neue Boutiquen, die meisten davon in Asien. Wir fokussieren aufs Preissegment zwischen 1500 und 7500 Franken. Da ist TAG Heuer klarer Leader. Stars wie Tiger Woods, Maria Sharapova und Leonardo DiCaprio setzen wir noch gezielter ein.
Es ist derzeit wichtig, oft mit dem Personal zu reden. In den ersten sieben Monaten des Jahres war ich 110 Tage unterwegs und habe in 20 Ländern über 400 Verkaufsläden besucht. Allen lege ich dar, wie robust und gut positioniert wir sind und dass mit uns hohe Umsätze zu erzielen sind. Uhrenfabrikanten sollen bescheidener auftreten und mit Juwelieren mitfühlender umgehen.
Der Bund ist ja Teilhaber bei einer grossen Schweizer Bank. Ich habe Bundesrätin Doris Leuthard gefragt, Zulieferer der Uhrenbranche mit Krediten zu versorgen – wozu sie diese Bank nicht drängt. Sie haben sehr wenige Aufträge. Sie brauchen Geld. Leider reagiert der Bundesrat nicht.
Bald kehren wir zum Erfolg zurück. Goldman Sachs sagt, wir hätten an der Uhrenmesse in Basel die vielversprechendsten Produkte lanciert. Die Investmentbank bescheinigt Rolex, Omega, Cartier und TAG Heuer beste Aussichten. Ich zähle Zenith, Breguet, Patek Philippe und Vacheron dazu. Es sind historisch gewachsene Hersteller, die bei der Qualität keine Kompromisse zulassen. Zentral ist der Preis. Fürs Geld müssen wir Werte bieten.»